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Die Markgrafschaft
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Zum Hebeltaig 1954
Wer seinen Hebel kennt, dem ist die „Lange
Kriegsfuhr" aus dem Hausfreund auf 1812 vertraut
, wo der Knecht in den bösen Kriegsläuften
mit Wagen und Gespann seines Meisters mit den
fremden Soldaten mitziehen muß, in den sechs
Jahren seiner Abwesenheit für den Meister ein
ganzes Fäßlein voll Taler und Dukaten verdient
und nach der Heimkehr wie ein Kind des Hauses
empfangen wird, aber nichts als den ausstehenden
Lohn und für das Pferd Jockli den Ruhestand
begehrt und ohne viel Worte seine alte
Arbeit im Stalle wieder aufnimmt, als ob er nie
weggewesen wäre. Hebel läßt die Geschichte
während des Dreißigjährigen Krieges spielen.
Doch der Schauplatz ist der „Wiesenkreis", also
seine eigene Heimat. Der Knecht heißt auch
Jobbi, also gleich wie der Dragunerjobbi, das
heißt Hebels Vater, der als Bursche den Basler
Major und Brigadier Iselin-Ryhiner in Garnisonen
und Feldzüge begleitet hatte und oft nach
langer Frist erst wieder ins Haus der Dienstherrschaft
in der St. Johannvorstadt und auf das
Landgut vor dem St. Johanntor zurückkehrte. An
den Vater hat Hebel sicher gedacht, obwohl er
ihn schon als Zweijähriger verloren hatte. Ebenso
sicher steht hinter den Meistersleuten des Jobbi
das Iselin'sche Ehepaar, bei dem auch Hebels
Mutter diente und ihren Gatten gefunden hatte
und von dem die Frau den beiden Dienstleuten
die Hochzeit ausrichtete und der Herr der so
früh verwitweten Magd das Legat vermachte,
das deren bald ganz verwaistem Kinde mit zur
Weiterschulung und zum Studium verhalf.
Geht also die Kalendergeschichte zurück auf
das, was einst die Mutter dem Knaben von
schönsten menschlichen Beziehungen zwischen
Diensten und Meistersleuten erzählte, so hat
später der reife Mann Gleiches selber erlebt und
selber geübt. Wir wissen es nur aus einer! Erwähnung
im „Hausfreund" auf 1815, aus ein paar
kurzen Briefstellen und aus einem Blatt in einem
Bändchen der „Alemannischen Gedichte". Aber
aus diesen kargen Zeugnissen ersteht eine ähnliche
und doch wieder verschiedene Geschichte,
und ihr Held ist nicht der keusch verhüllte
Dragunerjobbi, sondern der mit seinem wirklichen
Namen genannte „Herr Stephan".
Als junger Präzeptoratsvikar hatte Hebel
manchen schönen Feierabend und manch vergnügtes
Wochenende bei den Freunden Günttert
und der Freundin Gustave im Weiler Pfarrhaus
verbracht. Seit Jahren weilte er aber schon
ämterbelastet im fernen Karlsruhe, als der noch
nicht 15 jährige Weiler Bürgerssohn Stephan
Schönin 1808, also zur Rheinbundzeit des von
Napoleon zum Großherzogtum erhobenen Baden,
als Rekrut in Mannheim diente. Die Fäden zwischen
Unterland und Oberland waren jedoch
nicht abgerissen. Hin und her gingen die Briefe,
von denen wir leider nur den Hebel'schen Teil,
die launigen und oft sogar derben an den „Herrn
Vogt" und die „Frau Vögtin" und die von Poesie
und heimlichem Zugetansein erfüllten an die
„Jungfer Gustave" besitzen, und sie zeigen, daß
was den Weiler Freunden am Herzen lag, auch
für Hebel ein Anliegen bedeutete.
So war es ihm selbstverständlicher Freundschaftsdienst
, den Rekruten an den einstigen
Lörracher Friedrich August Nüßlin, den nunmehrigen
Direktor des Mannheimer Lyzeums, zu
empfehlen. Er verwendete sich persönlich bei
einem hohen Militär und konnte Nüßlin zu Händen
des jungen Stephan berichten, daß der einflußreiche
Mann ein Papierlein ausfertigte, dessen
Namen in seine Tabaksdose legte und die „Auslösung
", also die Entlassung vom Dienst, in fünf
Tagen versprach. Und was ihn besonders freute,
das war die Anteilnahme der Weiler Pfarrsleute
am Schicksal des bescheidenen Angehörigen ihrer
Gemeinde: „Es ist gar zu lieblich, gute Menschen
in Herren- und Knechtsgestalt so gegeneinander-
über zu sehen". Stephan mußte in der Tat nicht
mit nach Spanien. Er durfte heimkehren und
wurde, nachdem er offenbar schon früher dort
allerlei Dienste versehen hatte, 1811 eigentlicher
Knecht im Pfarrhause, zu dem neben dem großen
Garten eine Landwirtschaft gehörte und
wo auch der Haushalt gelegentlich eine männliche
Hilfe benötigte.
Wie aber nach der russischen Katastrophe
Napoleon neue Truppen brauchte und Baden
seine Kontingente stellen und diesmal der „Herr
Stephan", wie er jetzt trotz seiner Knechtsstellung
heißt, gleichfalls mit mußte, das erfährt
Gustave im August 1813: „ ... am 6ten marschieren
wir. Herr Stefan lacht dazu und freut sich
auf den Urlaub", und Ende Oktober, nach der
Nachricht von dem für Napoleon unglücklichen
Treffen bei Erfurt, heißt es: „Der Herr Stephan
läßt sie alle grüßen". Doch dann folgt auch in
Baden der Umschwung, und mit dem Zerfall des
Rheinbundes wird es aus dem Verbündeten des
großen Korsen dessen Gegner. Wieder, wie 1813,
wimmelte es im Frühjahr 1814 in Karlsruhe von
Rekruten, und wieder waltete Hebel als „Geschäftsträger
des Oberlandes", während vom
Kalender auf 1815 erst ein Bogen bereitlag. Wie
der Kalender aber um die Messezeit bei den
Weiler Freunden eintraf, da war es für sie ein
ähnliches Erlebnis wie für einen heutigen Radiohörer
eine ihn persönlich angehende Botschaft
oder Anspielung, als sie im Rückblick auf die
Weltbegebenheiten bei der Schilderung der letz-4
ten Kämpfe um Paris und der Kapitulation der
Stadt am 30. März 1814 lasen: „Damals hatte auf
dem Pariser Weg der letzte geschossen, vielleicht
gar ein Tannenkircher, vielleicht gar der Herr
Stephan, ein guter Bekannter des Hausfreunds".
Mit dem Kalender auf 1815 hatte es übrigens
seine besondere Bewandtnis gehabt. Wegen der
Erzählung „Der fromme Rat" war er beschlagnahmt
und erst nach Entfernung des beanstande-
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