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Die Markgr al schaf t
Mit dem Augenblick, da Großherzog Friedrich
I. die Augen schloß und sein Sohn den Thron
bestieg, wuchs naturgemäß auch für die nunmehrige
Großherzogin der Pflichtenkreis. Manches
blieb, wie es bisher war. Das regierende
Fürstenpaar bewohnte weiterhin das Palais. Das
Eesidenzschloß blieb die Wohnstätte für die
Großherzogin Luise. Diese hatte auch den allergrößten
Teil ihrer Wohlfahrtsarbeiten in Händen
behalten. Großherzogin Hilda nahm daa in ihrem
bescheidenen Sinn und in der stets geübten
Bereitschaft, zurückzustehen, gerne hin, anerkannte
sie doch auch rückhaltlos die überragende
Größe der bisherigen Landesmutter, der an Erfahrung
und Organisationsgabe kaum jemand
gleichkam. Sie hätte sich auch nie dazu bereitgefunden
, dieser etwas aus der Hand zu nehmen,
was einen großen Teil von deren Lebensinhalt
ausmachte. Indes hat Großherzogin Luise gferade
in diesen Jahren großen, spürbaren Wert darauf
gelegt, die Stellung der regierenden Fürstin in
ihrem öffentlichen Heraustreten dadurch noch
mehr zur Geltung kommen zu lassen, daß sie
selbst solchen Anlässen fern blieb. Hierbei kam
das liebevolle Wetteifern oft zum Ausdruck.
Großherzogin Hilda stellte sich dabei ihrem Gatten
in seiner Selbstlosigkeit bewußt und freudig
zur Seite.
Der Weltkrieg brachte neue Aufgaben in ungewohntem
Ausmaß. Der hochbetagten Mutter
in der Hauptsache die Arbeit in Karlsruhe überlassend
, besuchte die Großherzogin in Begleitung
ihres Hofmarschalls und ihrer Hofdame die
Lazarette in dem langgestreckten' Land oft in
weiten und anstrengenden Fahrten. Dazu traten
dann für sie doch auch noch mit Großherzogin
Luise zusammen die Teilnahme an den Sitzungen
des „Roten Kreuzes", die Begrüßungen durchgehender
Verwundetentransporte und die Verabschiedungen
der ins Feld ziehenden Krankenschwestern
. Es war ein frisches Leben in diesem
von vaterländischer Begeisterung getragenen
Dienst. Der Gedanke, ob solche Arbeit leicht oder
schwer falle, ob sie eine Lust oder eine Last sei,
trat dabei vollkommen in den Hintergrund. Auch
für Großherzogin Hilda war das ihrer ganzen
Lebensauffassung nach selbstverständliche Pflicht.
Der Ausbruch der Revolution und der Umsturz
des 9 .November 1918 bereiteten dem allem
ein jähes Ende. In der Nacht des 11. November
•mußte die großherzogliche Familie Karlsruhe
„Die Markgrafschaft"
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verlassen, am 19. desselben Monats Schloß
Zwingenberg, wo sie die erste Zuflucht gefunden
hatten. Von Schloß Langenstein aus, in dem sie
alle, Großherzogin Luise, das Großherzogspaar,
die Königin Victoria von Schweden mit Begleitung
, bei dem Grafen Douglas für Monate gastliche
Aufnahme fanden, erfolgte der Thronver-
zicht des Großherzogs.
Damit begann die letzte Periode des gemeinsamen
Lebens für unser Fürstenpaar, ein Leben
in stiller Zurückgezogenheit. Nach Ostern 1919
hatte unangefochten die Rückkehr der „Ver-
bannten" in die Heimstätten, die ihnen geblieben
waren, stattfinden können. Für Großherzogin
Hilda aber begann die Zeit, in der von ihrem
Frauentum noch in ganz anderem Maße als zuvor
, mit den zunehmenden Jahren wachsend, der
hingebende, selbstlose Dienst treuer Fürsorge für
den Gatten gefordert wurde. Noch war zunächst
lichtere und leichtere Zeit. In dieser wurde die
Not der NachkriegSr- und Inflationsjähre mit dem
ganzen Volk getragen in allerlei Entbehrung, wie
ja auch Opfer und Entbehrungen in der Kriegszeit
zuvor willig und unerleichtert mitgeleistet
und ertragen worden waren als vaterländische
Pflicht aller. In dem allem erwies sich Großherzogin
Hilda als sorgliche Hausfrau, die alles
überwachte, aber vor allem den Blick darauf
gerichtet hielt, daß wenigstens ein behagliches
Wohnen für den Großherzog, dem so viel anderes
versagt war, gesichert sei. Wie verstand sie es
mit Geschick und Kunstsinn das Heim zu
schmücken, oft mit wenigen Mitteln den veränderten
Verhältnissen entsprechend.
Nach Großherzogin Luisens Heimgang bot sich
ihr dann und wann auch wieder die gern von
ihr ergriffene Gelegenheit, der Allgemeinheit zu
dienen; aber die Hauptsorge galt dem Gatten,
dessen leidender Zustand sich trotz aller ärztlichen
Hilfe und aller beobachteten Vorsicht
langsam verschlimmerte. Die in den letzten
Jahren noch eingetretene fast völlige Erblindung
des Großherzogs vermehrte dessen Pflegebedürftigkeit
. Aber mit dieser wuchs auch die Kraft
der Hingabe seiner Gattin, die es sich durch viele
Monate hindurch nicht nehmen ließ, ihm jeden
Dienst zu leisten bei Tag und bei Nacht. Aus
keiner Hand nahm ihn der Leidende lieber entgegen
als aus der ihrigen. Seitdem die Augen
des Großherzogs ihren Dienst versagten, las die
Großherzogin ihm oftmals vor und schrieb für
ihn auch nach Diktat alles, was vertraulichen
Charakters war. Manch kleiner Zug verriet, wie
ihr das vor allem lieb und erwünscht gewesen
ist, was dem Großherzog zuträglich war oder
ihm Freude bereitete. Duftende Blumen waren
ihr besonders lieb in jenen Zeiten, weil er ja nur
solche Gaben genießen konnte; ihre Farbenpracht
vermochte er nicht mehr zu sehen. Wandern in
rüstigem Schritt war ihr ein Bedürfnis; umweht
sein von frischem Wind war ihr Hochgenuß. Der
Großherzog war empfindlich gegen jeden Luftzug
, Fahrten im geschlossenen Kraftwagen, langsamstes
Gehen Schritt um Schritt waren für ihn
strengstes Gebot. Das bedeutete für die Groß-
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