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Die Markgrafschaft
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Im Osten verläuft die Grenzlinie im allge- Empfang. Das Anwesen kam später in den Besitz
meinen der Kammlinie entlang. Aber bei der der Stadt Kandern, von der es der Jugend-
Scheideck (543 m ü. d. M.) biegt sie nach Osten herbergsverband erwarb.
aus, um den Platzhof einzuschließen, der auf der Die Gemarkung Kandern umfaßte am 1.1.1933
östlichen Seite (519 m ü. d. M.) liegt. Heute ist rund 70 ha Ackerland, 3 ha Reben, 280 ha Wiesen
der Platzhof (3) Jugendherberge. Seinen Namen und 1065 ha Wald, zusammen 1508 ha 29 a 80 qm.
hat er im Zusammenhang mit dem Kanderner Ein Vergleich mit den umliegenden Gemeinden
Eisenwerk erhalten. Einstmals wohnte „auf dem gibt folgendes Bild: Wollbach 1859 ha; Malsburg
Platz" ein Erzmesser. Bis hierher wurde vom 1726 ha; Endenburg 1063 ha; Riedlingen 599 ha;
Kanderner Eisenwerk Erz und Roheisen geliefert. Tannnenkirch 753 ha; Holzen 721ha; Feuerbach
Auf dem (Erz)Platz nahmen es die Hausener in 397 ha und Sitzenkirch 385 ha. A. Eisele
,jbit gute alte ?eft*
Gab es wirklich einmal so etwas? Lebten die
Menschen in unseren Breiten tatsächlich einmal
in einer Epoche, die das Prädikat „gut" verdient
hätte?
Wer sich die Mühe nimmt, jene Zeit — gemeint
ist der Zeitabschnitt um 1860 bis 1914 —
genauer zu betrachten, der wird sehn bald finden,
daß dem nicht ganz so ist, vorab nicht, wenn die
soziale Seite dieser sechs Dezennien beleuchtet
wird. Hier erblaßt das Bild von der guten alten
Zeit sehr bald und entpuppt sich als eine arge
Täuschung.
Zweifellos aber hatte jene Epoche auch ihre
positive Seite: Die Menschen kannten das Getriebensein
und die Hetze unserer Tage nicht. Man
hatte wirklich Zeit! Zeit für sich, Zeit auch für
andere.
Der Handwerksmeister konnte in Ruhe seiner
Arbeit nachgehen. Aufträge, die heute hereingenommen
wurden, mußten nicht gestern schon
fertig sein. Allerdings nahm sich auch der Kunde
Zeit, viel Zeit sogar, die Rechnungen des Handwerkers
zu bezahlen. War es damals doch Usus,
die Rechnungen nur auf Jahresende vorzulegen.
Bezahlt wurde aber erst nach Ablauf des folgenden
Jahres. vDer Rechnungsbetrag mußte dem
reichen Kunden erst noch den vorgesehenen
Zinsertrag abwerfen, ehe er mit vielen Bücklingen
vom Handwerker in Empfang genommen
werden konnte. Wie er unterdessen mit dem
Leben fertig wurde, interessierte den Kunden
nicht besonders. Als weiterer Vorzug mag auch
gelten, daß die Menschen nicht mit diesem
Leichtsinn, und dieser Gier wie heute nach dem
Vergnügen griffen. Man tat sich schwerer in diesen
Dingen. Die Feste waren seltenere Gäste.
Der wirtschaftliche Aufstieg nach dem Siebzigerkrieg
, die sogenannten Gründer jähre, brachten
in manche der schon ehedem begüterten
Familien unserer Stadt zum Teil weiteren mühelosen
Reichtum. Die bereits vorhandenen großen
Kapitalien wurden in Aktien der aufstrebenden
Industrie angelegt. Das Vermögen vermehrte sich
um ein Vielfaches. Der Wohlstand dieser Schicht
wuchs und bildete — so schien es wenigstens —
die unantastbare Grundlage ihres Daseins.
Der Zusammenbruch 1918 und die darauf
folgende Inflation belehrten jedoch diese Leute,
daß dieser Erde Güter sehr unsichere Faktoren
sind.
Daß man dann in jenen mageren Jahren'
gerne und mit Sehnsucht auf die fetten Jahre
zurückschaute und sie deshalb „die gute alte
Zeit" nannte, ist nur zu verständlich.
Wie erlebten nun die ärmeren Leute jene
„gute alte Zeit"?
Des Verständnisses wegen müssen wir in
unserer Betrachtung in die Fünfziger jähre des
vorigen Jahrhunderts zurückgehen. Die Müll-
heimer Chronik meldet aus jenen Jahren schwere
Überschwemmungen und Mißwachs. Erst der
Sommer des Jahres 1857 brachte eine Wende.
Die Not aber der vergangenen sieben Jahre hatte
viele um Hab und Gut gebracht. Für einen Laib
Brot gab man damals Felder und Wiesen. Viele
stillten ihren Hunger mit Wurzeln und Baumrinde
:
Als dann endlich das Jahr 1857 bessere Zeiten
einleitete, sah sich mancher unserer kleinen
Bauern um seine Felder betrogen, weil er sie,
um sich und die Seinen vor dem Hunger zu
schützen, für billigste Werte hergegeben hatte.
Nicht wenige wanderten in jener Zeit nach
Übersee aus.
Damals, so erzählen noch heute die alten
Leute, hätten manche der Reichen ihren Grundbesitz
erheblich vermehrt und bedenkenlos das
Gut der ärmeren Bevölkerungsschicht an sich
gezogen.
Wir wenden uns nun den Achtziger jähren zu.
Hieri interessiert uns nun einmal zunächst, welche
Verdienstmöglichkeiten vorhanden waren und
wie die Leute entlohnt wurden.
Verdienstmöglichkeiten boten damals außer
dem Handwerk nur die großen Höfe, deren eine
ganze Anzahl in Müllheim betrieben wurden
und deren stattliche Gebäude — wir wollen dies
ganz offen bekennen — der Stolz Müllheims
waren und noch heute sind.
Wie stand es aber mit der Entlohnung der auf
diesen Höfen Beschäftigten?
Lieber Leser, verhülle dein Angesicht; denn
das, wasi hierüber berichtet werden muß, ist für
die Spezies Mensch geradezu beschämend.
Der Taglohn für einen Drescher war 60 bis
70 Pfennig. Einem Melker gab man 5 Mark in
der Woche, einem Rosser vielleicht 6 Mark. Das
Dienstverhältnis einer Magd erbrachte einen
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