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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-07/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 7/6. Jahrgang

Monatszeitschrift des Hebelbundes

Juli 1954

Dum uufe!

Der Basler ist gemeinhin bekannt dafür, daß
er sich zwei F im Jahre nicht entgehen läßt: die
Fasnacht und die Ferien. Und er tut gut daran.
So verschieden nun auch das winterliche Maskentreiben
und das sommerliche Ausspannen voneinander
sind, sie haben doch immerhin ein
Gleiches: das menschlich begreifliche Begehren,
einmal anders zu sein als der Alltagsmensch,
herauszukommen aus der Tretmühle des Werktags
, es ist der Drang nach dem „Drus uuse!"

Aber während die Fasnacht nur für kurze
Tage diesen Schein des Andersseins vorgaukelt,
vermögen doch die vierwöchigen Ferien des
Sommers, wenn sie recht angewendet werden,
tatsächlich ein Anderswerden zu bewirken für
Leib, Seele und Geist. Und darin ist unser Hebel
ein echter Sohn seiner Geburtsstadt, gewesen und
könnte uns damit geradezu vorbildlich sein, daß
er sich wie ein Kind immer auf seine Ferien
gefreut und sie köstlich auszunützen verstanden
hat. Und es ist ja auch kein Wunder bei dem
Schulmann hinter dem Katheder, der „sein Leben
lang deutsche Knäblein Hebräisch und die hebräischen
Knäblein deutsch lehren" muß, bei dem
Junggesellen hinter düsteren Stadtmauern und
zwischen steifen Möbeln, bei dem Kirchenrat im
Aktenstaub und sonderlich bei dem naturhungrigen
Dichter.

Und so macht er alljährlich schon von Ostern
an seine Pläne für die großen Sommerferien, die
immer nach zweierlei Richtung hin tendieren: er
sucht schöne Natur und Umgang mit lieben Menschen
. Das Ideale wäre für ihn alljährlich eine
Reise in sein Oberland gewesen, wo er gewiß
sein konnte, beides zu finden, aber verhältnismäßig
selten wird ihm dies Glück zuteil, in den
letzten vierzehn Jahren seines Lebens überhaupt
nicht mehr. Aber auch wenn ihm seine Pläne
durchkreuzt werden, wird ihm doch immer in
seinem Urlaub ein besonderes Erlebnis zuteil.
So wird ja' im Sommer 1799 auf dem Dobel bei
Herrenalb die Begegnung mit dem Schweizer
Ehepaar ihm zum Anlaß, sich in alemannischer
Dichtung zu versuchen, und seinen dienstlichen
Auftrag, Gebete für den Wochengottesdienst zu
schreiben, führt er nicht aus. Oder vor 150 Jahren,
im Sommer 1804, trifft er in Baden-Baden zu
seinem großen Entzücken auf Heinrich Jung-
Stilling. Ein andermal trefen wir ihn auf einer
Fahrt den Rhein abwärts, und die Weinberge um
Bingen und Rüdesheim erinnern ihn an die Rebhügel
des Markgräflerlandes. Dann wieder trifft
er sich mit Sophie Haufe und deren Familie aus
Straßburg auf der Bühler Höhe und verbringt in
diesem lieben Familienkreis köstlich erquickende

Ferientage. Es sind fast immer kleine freundliche
Begegnungen, die unserem Hebel in den Ferien
zufallen und von denen er dann wieder lange zu
zehren hat.

Es ist schon für uns nötig, und für uns Menschen
dieser Gegenwart doppelt wichtig, daß wir
den Entschluß zu diesem „Drus uuse" fassen, drus
uuse nämlich aus dem gleichen, uns so ermüdenden
Trab des Alltags, der heute schon mehr ein
Galopp ist, heraus aus der uns noch so lieben
Umgebung unseres Daheims, weg auch selbst von
Menschen, die uns lieb sind, denn auch die besten
Menschen müssen bisweilen voneinander Urlaub
haben — und weg von des Dienstes ewig gleichgestellter
Uhr. Und wenn dies „Drus uuse" auch
nur negativ klingt und schier gar einer Flucht
gleich sieht, die positive Seite, die wir Erholung
nennen, wird uns dann schon von selbst geschenkt
werden. Und es wird gut sein, nicht diese Ferientage
oder -wochen mit zu viel Plänen vollzustopfen
und zu belasten, sondern sich einmal einfach
dem sogenannten Zufall zu überlassen, sich
Erlebnisse schenken zu lassen. Nur die eine
Zweckbestimmung und das eine Ziel, das aber
nirgends auf Wegweisern steht, sollten wir im
Urlaub verfolgen: wieder Höhenluft zu atmen,
drüberzustehen.

Es ist gewiß jetzt schon ein Vierteljahrhun-
dert her, als ich bei der Eröffnung eines Ferienlagers
vom Leiter dieses Lagers den sehr bedeutungsvollen
Aufruf hörte, der mir für alle meine
Ferien geblieben ist: Excelsior! Höher hinauf!
Das wäre ein gesundes Motto für uns. Denn
unser Leben mit der Drangsal seiner Verpflichtungen
und mit dem Tempo der modernen Technik
hat' esi darauf abgesehen, uns unter die Räder
zu bringen. Wir lesen täglich gerade genug von
den häufigen Unglücksfällen des heutigen Verkehrs
, aber nur wenig wird laut über die seelischen
Kollisionen, die Nervenzusammenbrüche
und die Kollapse der heutigen Menschen, aber
die Nervenärzte und die Seelenheilkundigen
könnten uns Bände darüber schreiben. Darum
beizeiten für jeden, der es irgend sich erlauben
kann: Drus uuse! und Excelsior!

Das war es doch im Grunde, was auch Hebel
immer in seinem Urlaub gesucht und gefunden
hat. Und wie wäre es, wenn wir als Ferienlektüre
Hebels alemannische Gedichte mitnähmen und
sie einmal in der Ruhe und dem Frieden uns zu
Gemüte führten, den sie selbst atmen. Mit solch
guten Wünschen allen lieben Hebelfreunden
segensreiche Ferienzeit!

Richard Nutzinger


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