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Die Markgrafschaft
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so gut er konnte. Und möglicherweise ist unser
persönlicher Gegner ein urteilsfertiger, hitze-
blitziger Mann, aber gestehen wir es uns zunächst
selber ein, daß er ein recht begabter,
tüchtiger Mensch ist. Das ist es: sich selbst erst
die ganze, die möglichst ganze Wahrheit zu sagen,
sie einzugestehen wider eigene Neigung, und
dann erst die Wahrheit bekennen, dann wird man
uns Gerechtigkeit nicht ganz absprechen können.
Und wenn Gerechtigkeit das Fundament der
Königreiche darstellt, dann wird sie wohl auch
für uns ein Lebens-Fundament werden, auf das
wir und unsere Gefährten bauen können.
L. B,
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1555 stand Karl V. in Brüssel vor dem flandrischen
Rate. Vierzig Jahre seiner Regierungszeit
lagen hinter ihm. Er hatte in vier Kriegen gekämpft
gegen Frankreich, er war in Tunis, Algier
und Ungarn gestanden. In den Jahren der Türkenkriege
hatte täglich in Neuenburg und in den
anderen Städten um die Mittagsstunde die Türkenglocke
an die Türkennot der 30er Jahre gemahnt
. In Italien war in seinen Kriegen das Blut
der Deutschen geflossen. Die ganze Peripherie
Europas war in den Flammen des Krieges gestanden
. Nun zog der Kaiser das Resume seines
Lebens. So groß wie der Mann in seinem Kampf
und seinem Fehl war sein Rechenschaftsbericht.
Es erhöht seinen Wert, daß dieser stolze Mann
in Worten voller Demut, die keine sich ergebende
Demut ist, sondern eine klar bekennende und
erkennende, das Fazit seines Lebens zieht. Er
legte die Regierungsgeschäfte des westlichen Teiles
seines Reiches und die der neuen Welt in die
Hände seines Sohnes Philipp, eines Jünglings
von 28 Jahren. Er war gescheitert trotz allen
hohen Gaben und trotz der Anwendung der
modernsten Methoden der Diplomatie, weil er sie
nicht einsetzte im Dienste der neuen Ideen, sondern
im Dienste der Erhaltung des Vergehenden.
So war der1 Widerhall der Schläge an die Klosterpforte
von San Yuste wie der Hall der Sterbeglocke
einer versinkenden Zeit.
Die Stürme der Reformation hatten der römischen
Kirche als Universalkirche einen schweren
Schlag versetzt. Nicht nur, daß die germanische
Welt sich weitgehend von ihr losgesagt hatte,
selbst in der romanischen Welt war ihr Gefüge
ins Wanken geraten. Mit dem Geiste des Individualismus
hatten sich nationalpolitische Momente
verknüpft. Nicht mehr die römische Idee einer
kirchlichen und politischen Universalherrschaft,
wie sie das Mittelalter beherrschte und in dem
Wollen Karls V. noch einmal zum Ausdruck gekommen
war, bildete den tragenden Grundgedanken
, sondern das Selbstbestimmungsrecht der
Persönlichkeit hatte sich zu dem der Nationen
erweitert.
Die Kirche aber begann sich innerlich zu läutern
und so in sich neue Kräfte zu sammeln.
Philipp II. trug die Weltherrschaftsidee seines
Vaters weiter, die er als Hausmachtspolitik betrieb
und nahm auch die Verwirklichung der Worte
Karls V. aus seiner grandiosen Abschiedsrede
auf: „Ehre standhaft die Religion, befestige den
katholischen Glauben aufs neue in seiner Reinheit
". Die deutschen Habsburger schlössen sich
dieser Politik an, und so war der Grund gelegt,
aus welchem dem deutschen Volke der dreißigjährige
Krieg erwuchs.
Durch die Wahl Ferdinands I., des Bruders
Karls V., zum deutschen Kaiser am 25. Februar
1558, war die Trennung des gewaltigen Reiches
vollzogen. Am 21. September 1558 endete das
verdüsterte Leben Karls *V.
Als am 8. Januar 1563 Ferdinand I. von Freiburg
aus, wo er an einem Landtag teilgenommen
hatte, nach Neuenburg geritten kam, war es keinem
der Bürger bewußt, daß dies der letzte Besuch
eines Kaisers in ihrer Stadt sein sollte. Ihr
Gewicht war gesunken-. Nicht mehr die Stadt als
solche mit ihrer starken Lebenskraft interessierte,
nur noch ihre Lage als Stein im Mühlespiel der
Geschichte. Sie hatte ihren Weg vom bloßen
Spielstein in ihrer Gründungszeit bis zum selbstbewußten
Spieler abgeschlossen mit dem Zurücksinken
zum Ausgangspunkt. Ihr Weg vom Objekt
zum Subjekt endete beim Dasein als Objekt im
Spiele der andern.
Während sich diese große Geschichte vollzog,
erschöpfte sich die Kraft der Stadt in unaufhörlichen
Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarorten
diesseits und jenseits des Rheines. Auch die
Wasser des Klemmbachs boten den Grund zu
jahrzehntelangen Reibungen zwischen Neuenburg
und Müllheim. Wegen der Pflege der Zufahrtsstraßen
zu den stadteigenen Steinbrüchen
und Lehmgruben bei Müllheim mußten 1562 und
1578 Entscheidungen des Gerichtes herbeigeführt
werden. Das Geschenk der Adolfinischen Privilegien
, die Rheininseln, brachten Verdruß und
Streit mit Hügelheim, Zienken und Grißheim.
Auch mit Schliengen, Steinenstadt und dem
Bischof von Basel wurde um Rheininseln und um
den Wald im Grün lange ein Ausgleich gesucht.
Mit den elsässischen Nachbargemeinden ging es
desgleichen um Gemarkungsgrenzen, da der
Rhein zu wiederholten Malen die Marksteine
weggerissen hatte.
Im ganzen Verlauf der bisherigen Geschichte
Neuenbürgs fanden wir die Stadt in dauernden
Beziehungen zu Basel. Einmal waren die beiden
Städte verbündet und standen sich in ihren
Kämpfen helfend zur Seite; ein andermal waren
sie durch widrige Umstände in gegenseitige kriegerische
Verwicklungen geraten. Stets waren die
Zeiten der Freundschaft Zeiten der Selbstbestimmung
gewesen, die Zeiten der Feindseligkeiten
aber hatten ihre Quelle in der Übermacht der
Preisgegebenheit. Die Verbindung der Städte
reichte auch bis in das intime persönliche Leben.
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