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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-07/0014
12 Die Markgrafschaft
-————-■_

Zugpflaster auf einen schmerzhaften Karfunkel
zu legen, so daß der alte Hausdoktor im Scherz
zu sagen pflegte, er spüre es allemal an der Frequenz
, wenn das Mädchen aus der Fremde wieder
im Dorf praktiziere.

Die arme, bucklige Margret aber, die sich an
Sonntagen, wenn das Stadtvolk auf dem Wege
war, immer im Hause hielt, weil sie sich ihres
Buckels schämte und die mitleidigen Blicke der
Menschen scheute, sah man an Euphrosynens
Arm durch die Wiesen gehen, als habe das
Leuchten, das um Euphrosyne war, den häßlichen
Buckel fortgezaubert.

Ich stand in den Jahren, in denen man mit
gemischten Gefühlen der Schule Lebewohl sagt,
und hatte soeben mit einem sehr in die Länge
geratenen Gedicht auf den Bergmannsberuf meines
Vaters mein Dichterrößlein zum erstenmal
ernstlich außer Atem gebracht.

Nicht weit vom Hause verlief ein breiter
Hohlweg am Rand eines Zimmerplatzes, an dessen
Steilufer ein alter Wildapfelbaum stand. Der
gedrungene Stamm, nach der Tiefe geneigt, war
rissig und hohl, und die gewaltige Krone von
einem Umfang, der ein Mehrfaches von der Höhe
des Baumes betrug. Unter den mächtigen Wurzeln
hatte der Dachs seinen Bau, der zeitig im
Frühjahr, ehe die Dorfjugend die Ränder des
Hohlweges mit Feuer überzog, das Weite suchte.
Unter dem weit ausladenden Geäst des Baumes
über der Wegschlucht War Euphrosynens Platz,
besonders dann, wenn der Baum im Schmelz seiner
rosafarbenen Blüten, wie eine Wolke aus
Duft und Bienengesumm, in den blauen Himmel
stand.

Da saß ich mit ihr auf einem Balkenstück,
das über zwei Steine gelegt war. Wohl selten hat
ein Menschenpaar mit soviel Andacht und Inbrunst
in das Wunder eines blühenden Baumes
geschaut. Euphrosyne fühlte sich beglückt, auch
im Gedanken daran, daß ihr im Herbst die
herrenlosen Früchte zufielen, da sie sich die
Mühe machte, sie aufzusammeln, während sich
sonst nur die Gassenjungen ihrer annahmen, um
sie sich im Übermut an die Köpfe oder dem
Krämer an das blecherne Ladenschild zu werfen.

Dann raunte sie mir wie alle Jahre ins Ohr:
Junge, die Wildäpfel sind reif! und ich schwang
mich in den Baum, höher und höher hinauf, bis
ich in einem wahren Hochgefühl von Heldenmut
und Lebenslust über der Tiefe schwebte, aus der
ein beladener Heuwagen nicht einmal mit dem
Wagenbaum heraussah, während sich Euphrosyne
über die tieferhängenden Zweige machte.

Zu Hause trug sie dann Holz in der Schürze
die Stiege zu ihrem Giebelstübchen hinauf, öffnete
Tür und Fenster und heizte an. Bald zischte
und brodelte es in allen Töpfen von gezuckertem
Saft, den sie nach dem Wohlgeschmack mit den
Beeren der Eberesche mischte, die im Herbst
unsere Gasse säumen. Der Saft wurde eingedickt
und in Gläsern und Steinguttöpfen unter pergamentenen
Hauben verwahrt. Das Herbe und
Saure der unscheinbaren Wildfrüchte hatte sich
unter Euphrosynens Händen in gaumenlabende
Süße verwandelt, die uns den Winter würzte.

Tagelang währte das Kochen und Dampfen,
und ebenso lange schwirrten die naschhaften
Wespen herein, von den Wohlgerüchen angelockt.
Euphrosyne gönnte ihneni ihr Teil und sagte wohl
mit Bedeuten: Sie nehmen das Henkersmahl,
Junge, und ahnen, daß eine einzige kalte Nacht
ihnen das Leben kostet.

*

Und da ihre Zeit war, die Bäume blühten und
das ganze Tal einer zwitschernden Vogelhecke
glich, ist unser erster Gang an den Hohlweg
. unter den Wildapfelbaum gewesen. Da sitzen wir
nun, hören den Bienen zu, aus dem Eichholz den
Kuckuck rufen und schauen hinauf in den blühenden
Baum. Euphrosyne, die müde und abgespannt
aussieht, meint, der Perserschah sitze nicht
herrlicher auf seinem Pfauenthron als wir zwei
arme Leutchen unter dem blühenden Baum.

Da wickelt sie schweigend, fast feierlich, während
ein verheißungsvolles Lächeln um ihren
Mund zuckt, ein Büchlein aus papierener Hülle
und spricht: Ich habe dir was mitgebracht.

Es ist ein Büchlein mit goldenem, blumenuntermaltem
Titel auf rotem Einband: Johann
Peter Hebels Alemannische Gedichte. Mein Gesicht
muß wohl noch heller als der goldene Titel
geleuchtet haben, und nachdem ich mich einen
Augenblick an der köstlichen Gabe geweidet, beginnt
Euphrosyne mit sanfter Stimme zu lesen:

*

Wo dein lieblicher Odem weht, wie färbt sich der Rasen.
Grüner rechts und links, wie stehen in kräftigem Triebe
neue Kräuter da, wie schießen in prächtigem Wüchse
Blumen an Blumen empor und gelbe, saftige Weide.

Von dem Odem gewürzt, steh'n Tausend und Tausende
roter Erdbeerköpfchen und warten am schattigen Talweg.

Von dem Odem genährt, steht rechts am sonnigen Abhang
goldene! Rübsaat auf in den Feldern, Streifen an Streifen.

Von dem Odem gekühlt, singt hinter dem Busche verborgen
freudig der Hirtenibub, und die Holzaxt tönt in dem
Buchwald...

Dann spricht sie: Bücher gibt's, die den Reisenden
durch Städte und Länder führen. Und
hinter die Dinge, die des Anschauens wert sind,
hat der Schreiber ein Sternchen oder auch ihrer
zweie gesetzt. So ein Allerweltsreisebüchlein, das
zu den kleinsten Dingen führt, die auch uns
armen Leuten feil sind, hat auch der Johann
Peter Hebel geschrieben und gar hinter jedes
Käferlein, jedes Grashälmchen und Tautröpflein,
Spätzlein und Spinnlein, hinter jede Habermusschüssel
und den guten Mond, gar hinter's Irrlicht
im Erlenbruch so ein Sternlein gesetzt— hinter
den blühenden Wildapfelbaum aber ihrer zwei.
WeiPs ja in Wirklichkeit lauter große Dinge
sind, viel größer als die Menschen es ahnen. Ist
somit recht ein Zauberkünstler für uns einfältige
Leut, der Johann Peter, ein Freudenmeister, der
weiß, wo 's Freuen feil ist: Allüberall ist's am
Weg, und wir brauchen uns nur zu bücken, es
aufzuheben. Aber, und das ist die Hauptsache,
daß wir die Freude nicht für uns behalten, sondern
sie fein weitergeben wie gute Münze, die
ihren Wert verliert, wenn sie liegt und rostet.
Rollen muß sie fein unter die Leut, aus einer


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