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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-07/0016
14 Die Markgrafschaft

brachte sie Lieschen zu Bett, die gleich darauf
fest einschlief.

Im Juni, als sie wieder in die Ferien kommen
durfte, standen drei irdene Schüsseln, so groß
wie Mutters große Teigschüssel, voll süßer Erdbeeren
auf der Fensterbank. Soviel hatte Liesel
noch nie gesehen. Die Tante nahm sie später zum
pflücken mit und wies ihr an, wo sie nach Herzenslust
schmausen durfte. Da kam ein Neffe von
ihr zu Besuch, ein starker Bursche mit einer
grünen Sextanermütze, den Liesel respektvoll
begrüßte. Die Tante ließ Brot, Milch und ein
Stück ihrer herrlichen Nußbutter bringen. Unter
die Butter waren geriebene Walnußkerne geknetet
, diese wurde in eine geschnitzte Holzform
gepreßt, gestürzt und schmeckte köstlich zu dem
selbstgebackenen Bauernbrot. Aber Lieschens
Augen wurden kugelrund, als sie den Vetter das
Brot zur Butter essen sah, anstatt die Butter zum
Brot. Jedenfalls war bald nur noch ein kleines
Stückchen Butter übrig und sie sah bedauernd
auf den kümmerlichen Rest. Er aber lachte, als
er ihre großen vorwurfsvollen Augen sah und
meinte, die Tante habe sicher noch mehr davon.
Als diese kam, schickte sie Lieschen mit ihm
hinaus, den großen Garten zu zeigen. Absichtlich
spazierte sie mit ihm hinten an den schönen Tannen
vorbei, um ihn die Erdbeerbeete nicht
sehen zu lassen, denn das schien ihr bedenklich.
Er aber strebte gerade dorthin, denn er mochte
sie schon beim Eingang zum Hof entdeckt haben.
Die reifen waren bereits abgenommen und sie
zeigte ihm das Beet, von dem ihr zu essen erlaubt
war. Er aber stand bald in dem vollen Beet vor
dem großen Bienenhaus, weil hier tagsüber
niemand pflücken wollte. Der Onkel Doktor hatte
hier bei den Bienen manche freie Stunde verbracht
, und dabei rauchte er eine große Pfeife,
wie Lieschen staunend bemerkt hatte. Sie sagte
dem Vetter, daß man von da keine Beeren nehmen
dürfe, und daß außerdem die Bienen heute
stechlustig seien. Er aber lachte und meinte, sie
sei ein kleiner Angsthase. Doch auf einmal fielen
die Bienen über ihn her. Er schlug mit seinen
langen Armen um sich und flüchtete mit großen
Sprüngen aus dem Garten. Langsam folgte ihm
Liesel und gönnte ihm eigentlich, daß sie ihn so
gezeichnet hatten. Am Kopf und den Händen zog
ihm der schnell herbeigeholte Doktor die Stacheln
heraus und legte ihm eine schmerzstillende Salbe
auf. Sein Kopf schwoll so an, daß er drei Tage
nicht zur Schule konnte.

Ein besonderer Festtag war für Liesel die
Ausfahrt mit der Tante. Da kam Fritz mit der
Chaise, oder gar mit dem Landauer. Lieschen
war mit ihm gut bekannt, denn er hatte zuvor
lange Jahre bei ihrem Großvater gedient. Berta
hatte ihr oben und unten in die langen Zöpfe
eine breite rosa Schleife gebunden. Eine hübsche
weiße Batistschürze trug sie über ihr rosa Kleidchen
. Die Tante musterte sie als sie fertig war,
denn sie hatte sich für diesen Nachmittag viel
vorgenommen. Sie selbst trug einen kleinen
schwarzen Kapotthut, der vorne unter dem Kinn
gebunden wurde. Dazu eine weiße Mantille und
ihr schwarzes Seidenkleid. Lieschen mußte dem

Kutscher einen Schoppen guten Wein hinausbringen
, denn er wollte nicht von den unruhig
scharrenden Pferden weggehen. Nun kam die
Tante, und Lieschen hatte sich hübsch sittsam
neben sie in die Polster zu setzen. Viel lieber
wäre sie zu Fritz auf den Bock gestiegen, aber
das lehnte die Tante als unpassend ab. Berta
legte eine gemusterte Decke über die Knie und
nun gings in scharfem Trab zum Hof hinaus. Da
wohnte gleich der Hafner, wo sich Lieschen das
hübscheste Puppengeschirr kaufen durfte. Aber
heute gings hinunter zum Friedhof, und die Leute
blieben stehen und grüßten, die Männer zogen
respektvoll die Hüte und sie dankte freundlich.
Auf dem Friedhof waren die Gräber ihrer Lieben,
ihres Mannes, den sie früh verlor, ihrer einzigen
Tochter, welche mit zwanzig Jahren als glückliche
Braut an einer schweren Erkrankung starb,
und ihres einzigen Sohnes, der ihr als Student
jäh entrissen wurde. So kam es, daß sie einsam
und auf sich selbst gestellt, die schwierige Verwaltung
des großen Hofgutes, der dazugehörigen
Häuser und der Mühle in die Hand nehmen
mußte. So kam es auch, daß sie sich eines elternlosen
Knaben, des späteren Arztes und Bürgermeisters
der Stadt annahm, ihn studieren ließ
und ihm eine Heimat bot. Die Gräber schmückte
sie mit frischen Blumen und sah auch nach der
Eltern und Verwandten Grabstätten. Dann nahm
sie Lieschen schweigend bei der Hand und ging
mit ihr zum wartenden Wagen. Sie hatte sich bei
Verwandten zum Kaffee angesagt, wo auch Lieschen
an Ostern Ostereier suchen oder sonst im
Jahr mit einem hübschen Geschenk bedacht
wurde. Hatte die Tante noch zwei oder drei
kürzere Besuche hinter sich, durfte Lieschen zu
Fritz auf den Bock klettern. Daheim angekommen
, bekam er ein schönes Trinkgeld. Nachher
saß sie dann noch eine Weile bei der Tante, die
ihr aufgeräumt die Verwandtschaft erklärte, was
sie sich aber leider noch nicht merken konnte.

Die Tante liebte die Tiere sehr und fütterte
Haustiere selbst. Erst wurden die sechs Hunde
und dann die unzähligen Katzen gefüttert, die
von allen Seiten kamen und sich von der Tante
auf die Schulter setzen ließen. Einer der Lieblingshunde
ihres Mannes war in einem gläsernen
Kasten schlafend präpariert und davor hatte sie
immer ein unbehagliches Gefühl. Lieber war ihr
der Duft der Vorratskammer, wo im Herbst oder
um Weihnachten die saftigen Äpfel und Birnen
lagerten, die Fasanen, Hasen, Puten, Enten und
was die Jagd oder der Geflügelhof bot, aufgehängt
waren.

Am Abend fand die Tante Zeit, Liesels Erlebnisse
des Tages zu hören, gab ihr Bilderbücher
und schrieb dann alles, was auf dem Hof getan
wurde, in ihr Tagebuch ein, wie Lieschen es von
ihrem Vater auch gewohnt war. Dann brachte sie
Lieschen zu Bett, betete mit ihr und vergaß auch
der Armen und Kranken nicht, welchen ihre
ganze. Fürsorge galt. Auch die Dienstboten hielt
sie wie eine Mutter. Aber wenn diese Liebe
schlecht vergolten wurde, wie sie es immer wieder
erleben mußte, tat es ihr weh und sie kam
darüber lange nicht zur Ruhe. Paula Hollenweger


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