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Die Markgrafschaft
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berichten. Um die Mittagsstunde des 20. Juni
1576 sahen die Neuenburger auf dem Rheine
ein seltsames Schiff nahen. Im Fackelscheine
waren; 54 wackere Schweizer Bürger der Stadt
Zürich, Ratsherren, Stadtverordnete, Künstler,
Handwerksmeister, sogar ein Theologe, ein
Arzt, Spielleute und geübte Schiffer in den
frühesten Morgenstunden des Mittwoch mit
einem Topf kochendheißen Hirsebreies in ihr
Schiff gestiegen. Sie waren die Limmat und
Aare hinab durch alle Strudel und Schnellen
gefahren und in rascher Fahrt den Rhein
hinabgesteuert. Um zehn Uhr hatte man in
Basel Steuermänner und Ruderer gewechselt,
um die Mittagsstunden passierte man Neuenburg
. Trompetenschall und fröhliche Zurufe
grüßten die überraschten Bürger. Als die
Sonne schon tief über den Vogesen stand,
tauchte die Turmspitze des Straßburger
Münsters auf. Die Schützen Zürichs überbrachten
dem Straßburger Schützenfest, die
Grüße ihrer Gilde und den Topf noch heißen
Hirsebreis. Was für ein Bild sicheren gesättigten
Bürgertums hatte sich plötzlich vor den Augen
der Neuenburger aufgetan wie ein Gruß von
einem glücklicheren Stern und war wieder versunken
, als das Schiff mit seiner Ladung Ubermut
um die Biegung des Stromes gen Breisach
verschwunden und der fröhliche Schall von der
Ferne verschwunden war. Um so gegensätzlicher
wurde der nahe Alltag empfunden.
Durch umherziehende Landsknechtsscharen
war eine große Unsicherheit ins Land gekommen
, die nicht mehr länger ertragen werden
konnte. So wurde in Neuenburg 1587 ein Vertrag
zwischen dem Markgrafen Jakob und der vorder-
österreichischen Regierung abgeschlossen über
die Aufstellung einer Landwehr. Auch Neuenburg
war mit fünfzig Mann in ihr vertreten. Es
gab ein eigenes Fähnlein Neuenburg, 300 Mann
stark, das die Dorfschaften der weiteren Umgebung
umfaßte.
Diese widrigen Zeitumstände, gegen die sich
die Städte durch ihre Landwehr selber helfen
mußten, belasteten die Bürger schwer. Dazu
kamen dauernde Geldforderungen der Regierung.
Der Name, welcher der neuen Steuer gegeben
wurde, der böse Pfennig, zeigt, wie bös die Aufnahme
dieser Steuer im Volke war. Hinzu kam
noch eine indirekte Belastung auf den Wein in
den Schänken, der Rappenpfennig. Am stärksten
von der Steuer betroffen wurde das niedere Volk.
Die größte Verbitterung erregte die Weinsteuer.
Mit jedem Schluck, den die Bauern in ihren
Schänken zu sich nahmen, vergrößerte sich ihr
Groll. An verschiedenen Orten des Landes wurden
1612 Versammlungen abgehalten, in denen
die Verweigerung der Zahlung beschlossen wurde
. Es kam zu ergebnislosen Verhandlungen mit
der Regierung. So wurde festgesetzt mit Gewalt
vorzugehen, und der Rappenkrieg brach aus. Die
Bauern sammelten sich und zogen vor Waldshut
und Rheinfelden. 1614 wurde in Baden in der
Schweiz die Niederlage der Bauern besiegelt,
und die Schöpplein Wein werden nach den
Neuenburg, Gasthaus zu den »Zwei Schlüsseln « vor seiner Zerstörung
Bußen und neuen Lasten, die den Bauern auferlegt
wurden, zu Essig und Galle für sie
geworden sein.
Der Zeitabschnitt des Friedens im Herzen
Europas ging seinem Ende zu. Die kleinen örtlichen
Streitigkeiten der Stadt wurden überschattet
von der Ahnung kommenden Unheils.
Wie eine Atempause des nahenden Verhängnisses
wirken diese Jahrzehnte. Es kommt die Zeit, da
die Stadt sich nicht mehr behaupten kann, da sie
sich nur ducken kann uhter den Schauern, die
über sie hereinbrechen. Immer zahlreicher verlassen
die Adeligen und Patrizier die Stadt. Es
ist noch als ein Akt der Selbstbehauptung anzusprechen
, wenn die Stadt versucht, neues Blut
in ihre Mauern aufzunehmen. Es geschieht aus
einem Gefühl heraus, daß es notwendig sei, die
Reihen zu füllen, um die Zeit bestehen zu können
. Es war auch das sichere Wissen vorhanden,
daß es notwendig sei, die neuen Bürger und
Hintersassen durch eine neue starke Ordnung zü
einer bewußten Bürgerschaft zusammenzuschließen
. So wurde 1570 ein eigenes Bürgerbuch angelegt
mit dem Verzeichnis aller Einwohner. Es
wurden neue, straffe Zunftordnungen erlassen.
In einem noch vorhandenen Eidbuch wurden
1616 alle städtischen Ordnungen und die Regelung
aller Verhältnisse niedergelegt. So wie im
Innern wurde auch mit den Nachbarorten und
-herrschaften alle rechtlichen Verhältnisse neu
geregelt. So war alles nur Mögliche getan.
Es entbehrt nicht eines ergreifenden Momentes
zu sehen, wie trotz der erdrückenden Erkenntnis
der Preisgegebenheit, trotz der Erfahrungen
der vorausgegangenen Zeit und trotz der sich
auftürmenden übermächtigen Gewalten, trotz
des bitteren Gefühles der Geringschätzung durch
die Kaiser, von denen seit Ferdinand keiner
mehr den Boden der Stadt zu betreten für wert
gefunden hatte, die Bürger der Stadt nichts versäumen
, was zu einer ach so aussichtslos gewordenen
Selbstbehauptung nützlich sein könnte.
So schreiten die Bürger aufrecht in die Zeit
des Dreißigjährigen Krieges. Konstantin Schäfer
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