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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-09/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 9 / 6. Jahrgang

Monatszeitschrift des Hebelbundes

September 1954

HölllFommgcup an 5en „Lfybelfran^

in aufrichtig und kräftig „Gott-
willche" entbietet der Hebelbund
den zahlreichen Dichtern des
„Hebelkranz" zu ihrem Treffen
am 19. September in Badenweiler
und Müllheim. Er nimmt, wie
dies nicht anders zu erwarten
ist, lebendigen und herzlichen Anteil an dieser
Tagung.

Aber wenn wir von „Anteilnehmen" sprechen
und wenn das gerade um Hebels Todestag herum
geschieht, so könnte die peinliche Verwechslung
auftreten, als ginge es hier um eine Beerdigung,
auch wenn der liebe Hebel nun schon vor 128
Jahren gestorben ist. Denn es besteht leider
heutzutage die leidige Tatsache, daß sich die
Menschen, die Verwandten und Bekannten,
immer nur noch an Gräbern treffen, bei Beerdigungen
, an denen man dann das peinliche Bedürfnis
hat, dem Toten, an dem man vielleicht
manches bei Lebzeiten versäumt, die letzte Ehre
zu geben und den Lebenden zu versichern, daß
man sich doch nicht erst wieder bei der nächsten
Bestattung wiedersehen wolle. Bei Hebels Beerdigung
am 23. September 1826 hat man ja
bekanntlich in letzter Minute noch ein Versäumnis
nachgeholt, indem man kurz vor der Versenkung
den Sarg nochmals öffnete und dem
Dichter auf seine ergrauten Locken noch den
Lorbeerkranz drückte. Nun wird man gerade den
Hebelkränzlern am wenigsten den Vorwurf machen
können, daß sie es an der Verehrung gegen
Hebel haben fehlen lassen, und sie werden auch
nicht in den Verdacht kommen, daß sie als die
verantwortlichen Geistesträger an der Erfüllung
ihrer inneren Verpflichtung gegen unser Volk
etwas versäumt haben. Im Gegenteil: gerade sie
sind die Leidtragenden in der häufigen Aussichtslosigkeit
und Vereinsamung ihres Schaffens,
in ihrer empfindlichen materiellen Not, und es
ist schon zum Heulen, wenn wir die Menschen
unserer Generation beobachten in ihrer Abkehr
von allen wirklich kulturellen und geistigen
Werten und in ihrer einseitigen Hinwendung zu
Rekord und Technisierung, in ihrem Mangel an
Besinnlichkeit und Tiefe und ihrer Überflutung
durch persönlichkeitzersetzende Gemeinplätze,
Schlager und Sensationen, in ihrem Aufgeben
aller sittlichen Maßstäbe und ihrem Aufgehen in
ungehemmten Lebensgenüssen und nicht zuletzt
in ihrer Unfähigkeit, in der mundartlichen Eindeutigkeit
und Schönheit miteinander zu verkehren
und aufeinander zu hören und dadurch
in Gefahr stehen, in eine neue babylonische
Sprachverwirrung zu geraten und ständig aneinander
vorbeizureden. Und doch eben in diesem
offenbaren Ausgehöhltsein des Lebens von
allen höheren Werten hat der Mensch unserer
Gegenwart doch immer und erst recht ein Bedürfnis
ohnegleichen nach den Gütern des Geistes
und den wirklichen Werten seines Daseins,
nach Stille und Besinnung. Und die drei Wahlworte
, die über dem Dichtertreffen stehen:
Natur — Ehrfurcht — Sprache, gehören zu diesen
bleibenden und gültigen Werten, nach denen
unsere Zeitgenossen doch noch Ausschau halten.
Sie standen ja auch über Hebels Schaffen und
Leben. Und dieser Hebel ist ja eben nicht tot,
und wir kommen nicht zu seiner Beerdigung
zusammen, sonst könnten wir uns auch „begraben
lassen", er lebt noch in ungebrochener Kraft
in unserem Volk, er ist herübergerettet aus einer
Zeit, die ihm im Grunde durchaus artfremd war,
und Hebels Name hat nöch überall einen guten
Klang. Diese liebevolle Anhänglichkeit zu Hebel
spricht doch für den alemannischen Menschen
unserer Gegenwart genau wie die Tatsache, daß
unsere Zeit nicht an einem Albert Schweitzer
vorbeigeht, sondern in ihm den großen Lebensmeister
, den Menschen schlechthin und den
wahren Christen sieht. Solche Verehrung könnte
ja freilich auch eine große Entschuldigung vonseiten
unserer Mitlebenden sein: „Wir sind froh,
solche Exponenten der Menschlichkeit zu haben,
aber wir wollen doch leben, wie es uns gefällt",
wenn nicht beide, Hebel und Schweitzer, gleich^
zeitig sehr ernste und nicht zu überhörende
Mahner wären, die an Herz und Gewissen
appellieren, die den Menschen herausfordern
und von ihm verlangen, daß er sich mit ihnen
beschäftigt. Und das tut unsere Generation wieder
. Und darum: wir heißen euch hoffen!

Und wenn wir uns in dieser Zuversicht nicht
beirren lassen, dann ist das Dichtertreffen eben
keine Beerdigung und der „Hebelkranz" nicht
jener kalte fremde Lorbeer auf des verewigten
Dichters Stirne, sondern jener andere Kranz, von
dem Hebel in seinem Widmungsgedicht an Herbster
bei der ersten Ausgabe der alemannischen
Gedichte spricht, der Blumenkranz „am Lindenast
in freier Weitung, leichter Weste Spiel", den
er in „Wald und Flur gepflückt" hat:

„Zwar nur Gamänderlien und Ehrenpreis,
nur Erdbeerblüten. Dolden, Wohlgemut,
und zwischendurch ein dunkles Rosmarin,
geringe Gabe".

Hier freilich irrt Hebel mit der „geringen
Gabe" und wenn er am Schluß sagt: „es isch
nit viel". Er hat ja damals nicht wissen können,
was er seinem Volke gab, und hat nicht geahnt,


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