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Die Markgrafschaft
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daß viele weiterflechten würden an diesem
Kranz aus Blumen der heimatlichen Natur und
in der Muttersprache seiner Mundart.
Auch die Dichter unserer Zeit tun nichts
anderes als weiterwinden an diesem einzigartig
schönen Blumenkränzlein, und es wird wichtig
sein, daß sie es in aller Ehrfurcht und aller
Bescheidenheit tun: „Geringe Gabe nur —" Und
wenn sie es im Augenblick auch nicht übersehen
können, was ihr Beitrag ausrichten wird, das
ist gewiß: Vergeblich wird's nie sein, was sie
im Auftrag eines J. P. Hebel gewirkt haben, und
diese Blumen verwelken nicht an einem Grabe,
sondern blühen zur Freude unserer Mitmenschen.
In diesem zuversichtlichen Hoffen noch einmal:
Gottwillche, ihr Dichter! Richard Nutzinger
f>ebelö ©tecben
Im September, dem Sterbemonat J.P.Hebels,
geht unser Gedenken nach Schwetzingen hinunter
, an seine Grabstätte, und wir grüßen die
Hebelfreunde vom Unterland, die dort immer zu
einer würdigen Feier an seinem Grab und zum
Hebeltrunk zusammenkommen, der auch immer
einen schönen Festakt darstellt. Und es ist wohl
für uns Hebelfreunde alle wertvoll, wenn wir
uns vergegenwärtigen, was in jenem Sterbezimmer
im heutigen Amtsgericht zu Schwetzingen
und in seinen letzten Tagen vor sich ging.
Der Herr Prälat Hebel mußte seine Prüfung^
reise, die ihn für die nächste Woche nach Heidelberg
führen sollte, am Samstag in Mannheim
abbrechen, nachdem er dort mit letzter Kraft die
Schulprüfungen hatte zum Abschluß bringen
können. Die fröhliche Neckarfahrt, die am Freitag
abend die begeisterte Schuljugend Mannheims
ihm zu Ehren veranstaltet, wird ihm zum
Sinnbild einer Todesfahrt: er sieht sich, wie es
die griechische Sage erzählt, auf dem Boot des
Fährmanns der Unterwelt, die heiteren Menschen
um ihn tragen die fahlen Gesichter der
Abgeschiedenen, die ihn grüßen und zu sich
winken. Hebel, von solchen Todesahnungen umstrickt
, wußte wohl, wie es um ihn stand, als er
in Schwetzingen bei seinem Freund Zeiher einkehrte
. Die Leibschmerzen, die anscheinend
immer heftiger, häufiger und krampfartig auftreten
, verheißen nichts Gutes. Aber er läßt sich
nicht gehen und so wenig wie möglich anmerken,
er macht es seiner Umgebung so leicht wie nur
möglich, er jammert nicht und zeigt nichts von
dem peinigenden Schmerz. Der Amtsphysikus
von Schwetzingen, der ihn behandelt, aber ohnmächtig
ist diesem Leiden gegenüber, bekommt
nie ein Wort des Vorwurfs aus dem Munde seines
Patienten, sondern wird von ihm getröstet
und mit einem Wort Ovids entschuldigt, daß
eben oft ärztliche Kunst machtlos der Krankheit
gegenüberstehe. Er lehnt es ab, daß noch andere
Ärzte zugezogen werden, was aber Frau Magdalena
Zeiher in ihrer Angst um den liebwerten
Patienten insgeheim doch tut. Zwischen den
Stunden der Schmerzen, die ihn ans Bett fesseln,
macht er Spaziergänge in den herbstlichen
Schloßgarten und unterhält sich aufs beste mit
dem andern Gast im Zeiher'schen Hause, einem
Botaniker, der seinerseits über die pflanzenkundlichen
Kenntnisse des geistlichen Herrn erstaunt
ist. Aber immer öfter müssen diese kleinen
Ausgänge abgekürzt werden wegen der eintretenden
Schmerzen. Den beiden Spezialisten
aus Karlsruhe und Mannheim, die sich am Nachmittag
vor seinem Sterben an seinem Lager
treffen und in ihrer Diagnose der Hoffnungslosigkeit
des Falles einig sind, gibt er die Gewißheit
einer baldigen Genesung, und dem Freund
Zeiher, der ihm die Grüße und Wünsche des
Großherzogs überbringt, trägt er die Versicherung
an seinen Fürsten auf, daß er bald nach
Karlsruhe gesund zurückkehre. — In der letzten
Nacht um die mitternächtliche Stunde schickt er
den Kammerdiener zu Bett, der an seinem Bett
wachen soll, um dann zwei bis drei Stunden
später ganz allein sein Leben auszuhauchen.
Dies ganze Verhalten des Todgeweihten in
seinen letzten Tagen und Stunden könnte einer
eigensinnigen Gegenwehr gegen das Sterben
gleichen, wie man es etwa beobachten kann bei
Menschen, die den Tod fürchten und ihn bis zum
letzten Augenblick nicht wahrhaben wollen. Das
aber trifft für Hebel gewißlich nicht zu. Dazu
war er ein zu starker Realist, der eben nie die
unentrinnbaren Wirklichkeiten des Lebens verniedlicht
oder den Ernst des Todes bagatellisiert
hat. Ihm war der Tod ein vertrauter Wandergeselle
in seinem ganzen Leben, und drum hat
er nicht vor ihm gebangt, als er die Hand ausstreckte
nach ihm. Er war ihm wirklich „Freund"
Hein. Der Tod ist für ihn der große Versöhner
und nicht wegzudenkende Ausgleicher. Er sieht
im Sterben nur den Gang durchs „Türli" zum
„Ehnedraa". Wer aber gewiß ist, nur durch eine
Pforte hindurchzuschreiten, der geht getrost und
wohlgemut. Er kennt sich zwar aus in der griechischen
Sagenwelt, aber sie sagt ihm nicht das
Letzte; er lebt in seinem christlichen Glauben
und ist von einer außerordentlichen Nüchternheit
und hellsichtigen Anschaulichkeit, wenn er
vom Sterben und der Vollendung in der Ewigkeit
spricht. Und die ist ihm immer greifbar
nahe — zeitlich und räumlich.
Hebel ist auch nicht etwa ein müder Greis
mit seinen 66 Jahren. Sein langjähriges Darmleiden
und die Amtsgeschäfte scheinen ihn zwar
mürbe gemacht zu haben, aber nicht müde.
Gewiß wäre er noch gerne bei seinem Fürsten,
seinen vielen Freunden und Mitarbeitern, besonders
aber bei seinem Patensohn geblieben, dem
Gottfried Haufe, den er im Frühjahr aufgenommen
hatte. Da ihm aber das Bleiben nicht vergönnt
sein sollte, so scheidet er ohne Groll und
absichtlich ohne Abschied. Wer nur durch eine
Türe in eine bessere Welt schreitet, bedarf
keiner Abschiedsworte, sondern er tröstet und
gibt Zuversicht denen, die er zurückläßt. Hebel
ist auch in seinem Sterben groß. R. Nutzinger
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