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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-09/0011
Die Markgrafschaft

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Infanterie und Kavallerie vor. Die noch vorhandenen
Männer mußten unaufhörlich Frondienste
leisten. Am 19. Dezember schlug Fürst von
Schwarzenberg in Müllheim sein Hauptquartier
auf, umgeben von 24 Generälen und 250 Offizieren
. Um den 26. wird berichtet, daß täglich große
Herden ungarischer Ochsen durchgetrieben wurden
. An Silvester 1813 zogen mehrere Tausend
Kosaken hier durch, die in Hügelheim, Müllheim,
Auggen und im Weilertal einquartiert wurden.
In dieser Nacht hallte der Ruf der Kosaken nach
Wein und Schnaps wohl besonders oft und laut
durch die Dörfer. Ein Gemeindeglied ums andere
kam zum Pfarrer und klagte über Mißhandlungen
. Die meiste Unruhe kam daher, daß die
Leute nicht genug Schnaps herbeischaffen konnten
. Die Neujahrsnacht war nicht ruhiger. Die
russische Einquartierung spannte schon in der
Nacht die Ochsen an die Wagen aus Besorgnis,
sie möchten sie nicht mehr erhalten.

Der Fronmeister sollte mehr Vieh herbeischaffen
und wußte keines. Weil er nun seines
Lebens nicht mehr sicher war, nahm er Zuflucht
beim Pfarrer, dessen Knecht ihn im Stall einschloß
. Nun mußte allerdings Vogt Zöllin mit
den Russen im Dorf umherlaufen und weiteres
Vieh auftreiben. Vielleicht war es .in dieser
Nacht, als rohe Burschen mit Fäusten und Fußtritten
gegen seine Haustüre trommelten, bis
sie schließlich zerschellte. Das Geschrei der Soldaten
mischte sich mit dem Gebrüll der Ochsen,
die die ganze Nacht angespannt blieben. Aus
den Häusern drangen Wehklagen von Leuten,
die vor Mißhandlungen Schutz suchten und zum
Teil auch erhielten. Von Hüningen herunter
hallte der Donner bayrischer Kanonen. Das Futter
für die Pferde war fast nicht mehr aufzutreiben
. Die Not stieg täglich, und wer die Wünsche
der Soldaten nicht erfüllen konnte, wurde
geschlagen.

Zwar versuchten die höheren Offiziere größere
Ausschreitungen ihrer Truppen durch exemplarische
Strafen zu unterbinden, doch offenbar mit
geringem Erfolg. So ließ Großfürst Konstantin,
der einige Zeit in Müllheim stationiert war, zwei
seiner Gardisten wegen eines Sittlichkeitsdeliktes
mit 3000 Rutenstreichen auf den bloßen Rücken
bestrafen.

Am 12. Januar 1814 lesen wir von noch größeren
Einquartierungen, und am selben Abend
wurden achtzig Kranke in besonders unsauberem
Zustand ins Dorf eingeliefert. Mit ihnen hält
eine Seuche ihren Einzug, die alles bisher Durch-
littene in den Schatten stellt: das Nervenfieber
oder — wie wir heute sagen würden — der
Typhus. Rasch griff diese furchtbare Krankheit
um sich. Bald blieb kein Haus davon verschont
und Schnitter Tod konnte reiche Ernte halten.
Nach kurzer Zeit waren alle Vorgesetzten und
auch ihre Stellvertreter krank, so daß selbst
Pfarrer Maler und Schullehrer Herr einige Tage
die Vogtsamtsgeschäfte ausüben mußten.

Im Januar waren in Hügelheim und Zienken
bereits 13 Tote zu beklagen, im Februar 20, im
März zwölf und im April zehn. Innerhalb dieser

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vier Monate wurden in beiden Gemeinden 55
Einwohner von dieser unheimlichen Seuche hinweggerafft
. In der selben Zeit erblickte aber nur
ein einziges Kind das Licht der Welt. Das letzte
Opfer, eine Frau im Alter von 32 Jahren, schloß
am 7. Juni 1814 für immer die Augen. Insgesamt
sanken fünfzig Hügelheimer und elf Zienkener
ins kühle Grab. Darunter waren 36 Männer und
25 Frauen, meist verheiratete Leute im besten
Alter. Allein vierzig Personen standen zwischen
dem 30. und 60. Lebensjahr, zwölf waren älter
als 60 und nur zehn unter 30 Jahren.

Die Familien Hohbühler, Hörlemann und
Erler starben 1814 infolge des Typhus ganz aus.
Besonders tragisch war das Schicksal des Landwirts
Konrad Herrmann. Am 28. Januar stirbt
seine erste Frau im Alter von 31 Jahren. Er
heiratet bald darauf zum zweitenmal und verliert
am 6. April desselben Jahres bereits seine
zweite Frau. Einen Monat später, am 10. Mai,
fällt er selbst der Seuche zum Opfer.

Welch unbeschreibliche Not, welcher Jammer
und welches Elend stecken doch in diesen nackten
Zahlen. Sievert schreibt, daß der Typhus in
Müllheim 77 Todesopfer gefordert habe; unter
anderen den Landphysikus (Arzt) Eisenlohr und
den Chirurgen Gmelin. In anderen Orten des
Markgräflerlandes, besonders den an der Landstraße
gelegenen, lagen die Verhältnisse ähnlich.
Noch schmerzlicher als die entstandenen Kriegskosten
— sie betrugen für unser Dorf 3167 Gulden
21 Kreuzer — wurden die Menschenopfer
empfunden, die die verflossenen Wochen erbarmungslos
gefordert hatten. Ein Drittel aller vorhandenen
Ehen war ausgelöscht und die Zahl der
Bevölkerung sank von 682 Seelen im Jahre 1812
auf 605 Seelen im Jahre 1814.

Erst zwölf Jahre später, im Jahre 1826, war
die alte Bevölkerungszahl wieder erreicht. Allmählich
nur vernarbten die Wunden, die unserem
Dorf und vielen anderen in der Nachbarschaft
geschlagen wurden. Walter Küchlin


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