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Die Markgrafschaft
Nr. 10/6. Jahrgang Monatszeitschrift des Hebelbundes Oktober 1954
3eFcän^t mit taub ben lieben, sollen 3edjec...
Es ist doch eigentlich nicht recht zu begreifen
und auf jeden Fall schade, daß wir von Johann
Peter Hebel kein ausgesprochenes Lied auf den
Wein haben, besonders auf unseren guten Mark-
gräfler, den er doch selbst auch gerne getrunken
hat. Nur in einzelnen Liedstrophen tritt dann
und wann eine Aufmunterung zu fröhlichem
Trunk zutage, wie etwa in der „Freude in Ehren",
wobei Hebel freilich erst noch eine doppelte
Begründung und Berechtigung für diesen Genuß
des edlen Getränks anführt: weil der Vogt sein
Schöpplein auch trinkt und weil man sich den
Rebensaft durch die Werktagsarbeit schließlich
verdient hat. Und auch im „Wegweiser" denkt
sich Hebel den Genuß des Weines nur am Sonntag
, der neben „dem Pfündli Fleisch ins Gmües
villicht au no ne Schöppli Wii derzue" beschert,
während in den anderen Versen dieses Gedichts
stark vor dem gewohnheitsmäßigen Trinken
gewarnt wird, weil es zur Verarmung und Verelendung
führt. Und der „Michel" im „Karfunkel
" ist die lebendige Illustration dazu. Ebenso
deutlich werden die verheerenden Folgen des
Alkoholgenusses im „Gespenst an der Kanderner
Straße" oder im „Käfer" aufgezeigt, während er
einen beißenden Spott über die allzu seßhaften
Trinker im köstlichen Gedicht „Auf den Tod
eines Zechers" ausgießt. Nirgends aber finden
wir bei Hebel den heiteren Anruf eines Matthias
Claudius: „Bekränzt mit Laub den lieben, vollen
Becher und trinkt ihn fröhlich leer!" Dem fernen
Wandsbecker Boten vom Nordseestrand war es
vorbehalten, das herrliche Rheinweinlied zu
dichten, das übrigens Hebel irrtümlicherweise
seinem Freunde Sonntag zugeschrieben hat. Hat
wohl unser lieber Hebel bei seinen gelegentlichen
Besuchen der ehrsamen Gasthäuser, die er landauf
landab kennt und mehrfach aufzählt, gar so
betrübliche Erfahrungen mit Trunkenbolden gemacht
? Jedenfalls weiß er, daß gerade das Maßhalten
beim Weingenuß dem Menschen am
schwersten fällt und daß die Unmäßigkeit und
die Gewöhnung an den Alkohol die schwersten
gesundheitlichen, aber besonders auch sittlichen
Schäden für den Zecher und für dessen Familie
im Gefolge hat. An welchen Exempeln und
Exemplaren er diese Feststellung gemacht hat,
entzieht sich freilich unserer Kenntnis. Jedenfalls
hat er sein „Schöppli Wii" immer mit Andacht
und Maß getrunken, aber eben dann auch genossen
und hat fraglos in seinem Keller zu Karlsruhe
immer ein Fäßlein guten Markgräflers
gehalten, das ihm seine Oberländer Freunde
gespendet haben, und fraglos hat dies edle
Getränk für ihn die lebendige Verbindung mit
seiner Heimat bedeutet, wie wir das etwa in dem
launigen Brief Hebels an Rechnungsrat Gyser in
Müllheim entnehmen können. Dort verrät er
auch den Zusammenhang von Wein und Poesie:
„Ihr trinket urig Poesie in lange Züge z' Müllen
an der Post! Tausigsappermost, isch seil nit e
chospere Wü!" Hier übrigens bereits der Anklang
zu dem fünf Jahre später entstandenen Lied vom
„Verliebten Hauensteiner". Und als ihm im
Jahre 1802 der alemannische Pegasus nimmer
fliegen will, gibt er die Schuld der Tatsache, daß
„das Vieh mit der Unterländer Tränke nicht
zufrieden" sei. Also fehlte es Hebel damals offenbar
am Markgräfler Tropfen, den er gerne gerade
bei der Niederschrift seiner alemannischen Gedichte
zu sich genommen hat. Und es besteht ja
wohl jener oft besungene Zusammenhang zwischen
Wein und Lied, auch bei Hebel und überhaupt
bei den Markgräflern. Welches Land hat
soviel kleine und große Dichter hervorgebracht
und hat sie heute noch? Es gibt doch kein Dörflein
, wo nicht so ein kleiner Poet mehr oder
weniger holprige Verse zu allen möglichen Anlässen
anfertigt. Und was haben wir in Badenweiler
und Müllheim an tüchtigen Dichtern
gesehen. Dichter sei ein gefährliches Wort,
sagte Burte in seinem Vortrag; die Dichter
seien die „Helden unter den Menschen". Die
Helden, — darf ich es so deuten? — die Meister
werden über die niederziehenden Mächte, gerade
weil sie mit denen am meisten zu ringen haben,
und die darum ihren Mitmenschen als Winkelriede
die Bresche schlagen in ihre Nöte. Ujid
wenn Claudius sein Rheinweinlied schließt: „Und
wüßten wir, wo jemand traurig läge, wir gäben
ihm den Wein", so hat auch die ihm verwandte
Poesie die Aufgabe, die Trösterin in den Nöten
der Menschen zu sein. Und wenn man den Wein
nennt den eingefangenen Sonnenschein, so soll
auch durch den Dichter der Zeitgenosse Licht
und Zuversicht gewinnen im rätselhaften Dunkel
seines Daseins. Hebel hat gewiß diese sehr
wesentliche Aufgabe gesehen und in einzigartiger
Weise- zu lösen verstanden. Und nicht nur wir-
Dichter, sondern wir Hebelfreunde alle, die doch
zugleich auch Kenner und Genießer des edeln
Getränks sind, sollen es uns sagen: Wir trinken
nie nur zum eigenen Genuß, erst recht nicht zum
Unheil unserer Mitmenschen, sondern zum Aufheitern
betrübter Herzen. Und wenn jetzt wieder
, und in diesem Jahr recht spät, das Herbsten
beginnt und der Weinmonat da ist, so greifen
wir mit Bedacht nach unserem Glas und schlürfen
unseren Wein mit der Aufmunterung des
frommen Matthias Claudius:
„So trinkt ihn denn und laßt uns alle Wege
uns freu'n und fröhlich sein!"
Richard Nutzinger
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