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Die Markgrafschaft
Keife Scudjt
Nachklänge zum Dichtertreffen in Badenweiler und Müll heim
Zu einer Kundgebung besonderer Art hatte
Hubert Baum, der Herausgeber der Anthologie
„Hebelkranz", die Autoren dieses Buches, Dichter
und Schriftsteller aus dem badischen Lande, aus
der Schweiz und dem Elsaß am 19. September
nach Badenweiler und Müllheim eingeladen. Die
herzliche Anteilnahme des Hebelbundes, die
dessen Präsident, Pfarrer Nutzinger, am Abend
des für das Markgräflerland fraglos bedeutsamen
Tages in der Festhalle Müllheim zum Ausdruck
brachte, war echt und spontan. Die Feststellung
der Echtheit und Spontanität trifft in so glücklichem
Maße für das ganze Dichtertreffen zu,
daß es uns angezeigt erscheint, hierüber eine
kleine Nachlese zu halten.
Wenn wir das Wort Kundgebung gebrauchten
, dann nicht, um etwas zu umschreiben, dessen
sich die Masse bedient, wenn sie lärmen will.
Zuvörderst war es doch wohl so, daß die im
„Paradieslein und Mustergärtlein" versammelten
Dichter sich selbst Kunde gaben von ihrem
Schaffen, von ihrer Not und ihrem Glück, das
die Einsamkeit und das fruchtbare Wort einschließt
. Aber sie gaben auch jenen Kunde, die
zwar nicht zu dem Kreis der Dichter gehören,
aber vom echten Klang des Tages angerührt und
beschenkt wurden. Und diesen, die stellvertretend
die größere Zuhörerschaft des ganzen Landes
repräsentieren durften, kam auch deutlich
zum Bewußtsein, daß diese Dichter die wahrhaft
Gebenden sind, das Salz der Erde, dessen wir
bedürfen, daß sie einen Anruf an uns alle bedeuten
. Dieser Anruf ist in erster Linie geistiger
Art. Aber wer sich dessen bewußt geworden ist,
konnte auch nicht jenen ernsten Anruf überhören
, den Hubert Baum, der verdienstvolle
Initiator des Treffens, in einer kleinen Festschrift
vorbrachte, als er die äußere Not und Bedrängnis
vieler Dichter — und wenn wir recht sehen,
sind es die meisten — schrieb: „Berufen dem
Leben Ausdruck zu geben, mangeln ihm die
Mittel zum Leben, und die Sorge, von der schon
Horaz schrieb, sitzt hinter ihm auf dem Flügelroß
".
*
Wenn irgendwo Goethes Wort, daß die großen
Talente die schönsten Versöhnungsmittel seien,
offenkundig wurde, so sicher bei der hochdeutschen
Dichterlesung an jenem heiteren Septembermorgen
in Badenweiler. Als draußen in der
Herbstsonne die Früchte zur letzten Süße reiften
, wurde im Saal der evangelischen Gemeinde
eine großartige Ernte gehalten. Der Beifall der
Zuhörer ließ diese Ernte, die Ernst Bacmeister,
Hermann Burte, Ludwig Finckh, Emmanuel
Stickelberger und Paul Sättele darboten, auch
zu einem Erntedankfest werden. Da waren die
„Bekenntnisse der Stille", und die „Lyrik im
Lichte" des wahrhaft humanen Ernst Bacmeister,
der da frug: sollten wir uns die Menschlichkeit
nicht alles kosten lassen? Da war der greise, fast
erblindete Ludwig Finckh, der im Gedicht ein
ergreifendes Vermächtnis gab, das Vermächtnis
eines großen Dichters und weise gewordenen
Mannes. Wer hier und bei den von innerer Spannung
dargereichten Gaben eines Paul Sättele
und eines Emmanuel Stickelberger, dessen
„Immen-Legende" mitten in das Herz der Poesie
führte, nicht den geistigen Ertrag spürte, dem
konnte auch die noble Geste Hermann Burtes
nichts mehr bedeuten, der mit Gedichten von
Emil Gött, Hölderlin und Rilke drei Dichter zur
lebendigen Gegenwart beschwor, die dieser
Lesung eine letzte Steigerung verliehen.
Nur mit Dankbarkeit können wir uns an die
alemannische Lesung unserer Schweizer Dichter
im Rathaussaal Müllheim erinnern. Was wir
hier erleben durften, war eine Begegnung mit
dem unversiegten Sprachborn des alemannischen
Dialekts schweizer Provenienz. So quellfrisch
und rein, so unmittelbar und kraftvoll, so
voller unverdorbener Menschlichkeit waren diese
Schöpfungen, daß wir wieder einmal spürten,
was einmal vor dem kritischen Auditorium des
Pen-Clubs gesagt wurde, nämlich daß aus der
Mundart die Rettung der deutschen Schriftsprache
kommen müsse.
Mit Dankbarkeit sei auch die Einführung, die
Professor Altwegg, der Basler Hebelpreisträger,
gab, und die einen sehr instruktiven Überblick
über Geschichte und Standort der schweizer
Mundartdichtung vermittelte. (Professor Altwegg
hat uns diese Einführung in liebenswürdiger
Weise zur Verfügung gestellt; wir bringen sie
auf den folgenden Seiten unseres Heftes.)
Die herzliche Atmosphäre, die diesen Dichter-
Tag auszeichnete und die, wie es auch in der
schweizer Presse zum Ausdruck kam, Brücken
schlug, die auch Erschütterungen standzuhalten
vermögen, diese herzliche Atmosphäre war auch
wieder das Kennzeichnende des Hebelabends in
der Müllheimer Festhalle, für den der Hebelbund
Müllheim mit seinem Hebelvogt Fritz Wolfsber-
ger verantwortlich zeichnete. Als ob hier die
Dichter und Dichterinnen der Markgrafschaft
ihren schweizer Freunden Echo geben wollten,
blühten auch hier urwüchsige Verse auf. Lied
und Gedicht wechselten sich ab, vieles improvisiert
, aber gerade deshalb unmittelbar wirkend.
So Gedichte von Lina Kromer, Fritz Wolfsberger,
Jda Preusch, Ernst Niefenthaler, Paul Sättele.
Alles in allem: ein Herbsttag voller schöner,
reifer Früchte. Ein Herbsttag von jenem Gold,
das nichts mit dem Katzengold feiler Ware zu
tun hat, sondern das den echten Klang gibt und
den echten Glanz verleiht, der im milden Nachleuchten
noch Herz und Geist erwärmt. ; L.B.
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