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Die Markgrafschaft
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(Photo W. & Tr.)
Auf dem, Kartoffelacker neben der Landstraße
ist der Bauer eben dabei, die Kartoffelsäcke aufzuladen
. Mit Schwung geht das und Sachkenntnis
, bis auch der letzte Sack seinen sicheren Platz
auf dem Wagen gefunden hat.
Schon am Nachmittag hat der Himmel sein
mit Wolken verhangenes Gesicht freigemacht
und läßt der Sonne noch die wenigen Stunden
des Tages. Wie eine Silberflut fiel ihr Licht auf
die seit Wochen sonnenentwöhnte Landschaft,
säumte die Wolken mit einem silbernen Kranz
und zauberte unter die hohen Pappeln und Erlen
scharfgeschnittene dunkle Schatten. Und als ob
sie das Dörflein am Berghang mit seinem Rebenkranz
besonders grüßen wollte, überflutet die
Sonne den alten verwitterten Kirchturm mit
einer wahren Kaskade aus Purpur und Gold, als
wollte sie sagen: ich habe euch nicht vergessen,
bald komme ich wieder mit allen meinen Gewalten
und werde die Trauben süßen und das Feld
und die Bäume segnen, daß ihr Anblick des
Menschen Herz erfreue!
Jetzt ist sie über dem Rand der Vogesen
niedergestiegen und zeichnet in goldenen Linien
die Konturen dieser Berge. Auf den Straßen
trotten Gruppen von Weidvieh ihren heimatlichen
Ställen zu. Der Weidbub knallt mit der Peitsche
und zischend fährt der Riemen durch eine Wolke
von tanzenden Mücken.
Langsam, langsam versinkt der Tag. Nebel
steigen aus dem Grunde des Tales und legen ihre
feuchten Fahnen auf Wiesen und Felder. Aus den
Kaminen des Dorfes steigt Rauchgeringel, und
da und dort findet schon ein Sternlein zu seinem
alten Platz. Müde grüßt der alte Blauen herunter
. Eine Wolke verhüllt sein Haupt wie eine
wollige Mütze und zu seinen Füßen geistern auf
den Straßen und in den Häusern die ersten
Lichter. Friede liegt über dem Tal. Von fernher
verströmen die Klänge einer Glocke, einer Betzeitglocke
, und rufen die Menschen unter das
schützende Dach.
Ein Herbsttag im Markgräflerland ist zur
Ruhe gegangen. w.
In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein
saß eines Abends, als es schon dunkeln wollte,
ein armer junger Mann, ein Weber, noch an dem
Webstuhl, und dachte während der Arbeit unter
anderen an den König Hiskias, hernach an Vater
und Mutter, deren ihr Lebensfaden auch schon
von der Spule abgelaufen war, hernach an den
Großvater selig, dem er einst auch noch auf den
Knien gesessen und an das Grab gefolgt war,
und war so vertieft in seinen Gedanken und in
seiner Arbeit, daß er gar nichts davon merkte,
wie eine schöne Kutsche mit vier stattlichen
Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und
stille hielt. Als aber etwas an der Türfalle
drückte, und ein holdes jugendliches Wesen trat
herein von weiblichem Ansehen mit wallenden
schönen Haarlocken, und in einem langen himmelblauen
Gewand, und das freundliche Wesen
fragte ihn mit mildem Ton und Blick: „Kennst
du mich, Heinrich?" da war es, als ob er aus
einem tiefen Schlaf aufführe, und war so erschrocken
, daß er nichts reden konnte. Denn er
meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es
war auch so etwas von der Art, nämlich seine
Schwester Franziska, aber sie lebte noch. Einst
hatten sie manches Körblein voll Holz barfuß
miteinander aufgelesen, manches Binsenkörbchen
voll Erdbeeren am Sonntag miteinander gepflückt
und in die Stadt getragen und auf dem
Heimweg ein Stücklein Brot miteinander gegessen
, und jedes aß weniger davon, damit das
andere genug bekäme. Als aber nach des Vaters
Tod die Armut und das Handwerk die Brüder
aus der elterlichen Hütte in die Fremde geführt
hatte, blieb Franziska allein bei der alten gebrechlichen
Mutter zurück und pflegte ihrer, also
daß sie dieselbe von dem kärglichen Verdienst
ernährte, den sie in einer Spinnfabrik erwarb,
und in den langen schlaflosen Nächten mit ihr
wachte und aus einem alten zerrissenen Buch
von Holland erzählte, von den schönen Häusern,
von den großen Schiffen, von der grausamen
Seeschlacht bei Doggersbank, und ertrug das
Alter und die Wunderlichkeit der kranken Frau
mit kindlicher Geduld. Einmal aber früh um
zwei Uhr sagte die Mutter: ,,Bete mit mir, meine
Tochter! Diese Nacht hat für mich keinen Morgen
mehr auf dieser Welt". Da betete und
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