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Die Markgrafschaft
schluchzte und küßte das arme Kind die sterbende
Mutter, und die Mutter sagte: „Gott segne dich
und sei" — und nahm die letzte Hälfte ihres
Muttersegens „und sei ein Vergelter!" mit sich in
die Ewigkeit. Als aber die Mutter begraben und
Franziska in das leere Haus zurückgekommen
war, und betete und weinte und dachte, was jetzt
aus ihr werden solle, sagte etwas in ihrem Inwendigen
zu ihr: „Gehe nach Holland!" und ihr
Haupt und ihr Blick richtete sich langsam und
sinnend empor, und die letzte Träne für diesmal
blieb ihr in dem blauen Auge stehen. Als sie von
Dorf zu Stadt, und von Stadt zu Dorf betend und
bettelnd und Gott vertrauend nach Holland gekommen
war, und so viel ersammelt hatte, daß
sie sich ein sauberes Kleidlein kaufen konnte, in
Rotterdam, als sie einsam und verlassen durch
die wimmelnden Straßen wandelte, sagte wieder
etwas in ihrem Inwendigen zu ihr: „Gehe in selbiges
Haus dort mit den vergoldeten Gittern am
Fenster!" Als sie aber durch den Hausgang an
der marmornen Treppe vorbei in den Hof gekommen
war, denn sie hoffte zuerst jemand
anzutreffen, ehe sie an einer Stubentür anpochte
, da stand eine betagte freundliche Frau
von vorehmen Ansehen in dem Hofe, und fütterte
das Geflügel, die Hühner, die Tauben und die
Pfauen.
„Was willst du hier, mein Kind?" Franziska
faßte ein Herz zu der vornehmen, freundlichen
Frau und erzählte ihr ihre ganze Geschichte.
„Ich bin auch ein armes Hühnlein, das Eures
Brotes bedarf", sagte Franziska und bat sie um
Dienst. Die Frau aber gewann Zutrauen zu der
Bescheidenheit und Unschuld und zu dem nassen
Auge des Mädchens und sagte: „Sei zufrieden,
mein Kind, Gott wird dir den Segen deiner
Mutter nicht schuldig bleiben. Ich will dir Dienst
geben und für dich sorgen, wenn du brav bist".
Denn die Frau dachte: Wer kann wissen, ob
nicht der liebe Gott mich bestimmt hat, ihre
Vergelterin zu sein, und sie war eines reichen
Rotterdamer Kaufmanns Witwe, von Geburt
aber Engländerin. Also wurde Franziska zuerst
Hausmagd, und als sie gut und treu erfunden
ward, wurde sie Stubenmagd, und ihre Gebieterin
gewann sie lieb, und als sie immer feiner
und verständiger ward, wurde sie Kammerjungfer
. Aber jetzt ist sie noch nicht alles, was
sie wird. Im Frühling, als die Rosen blühten,
kam aus Genua ein Vetter der vornehmen Frau,
ein junger Engländer zu ihr auf Besuch nach
Rotterdam, er besuchte sie fast alle Jahre um
diese Zeit, und als sie eins und das andere hinüber
und herüber redeten und der Vetter erzählte
, wie es aussah, als die Franzosen vor
Genua in dem engen Paß in der Bocchetta standen
und die Österreicher davor, trat heiter und
lächelnd, mit allen Reizen der Jugend und Unschuld
geschmückt, Franziska in das Zimmer, um
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etwas aufzuräumen oder zurecht zu legen, und
dem jungen Engländer, als er sie erblickte, ward
es sonderbarlich um das Herz, und die Franzosen
und Österreicher verschwanden ihm aus den
Sinnen. „Tante", sagte er zu seiner Base, „Ihr
habt ein bildschönes Mädchen zur Kammerjungfer
. Es ist schade, daß sie nicht mehr ist als
das". Die Tante sagte: „Sie ist eine arme Waise
aus Deutschland. Sie ist nicht nur schön, sondern
auch verständig, und nicht nur verständig,
sondern auch fromm und tugendhaft und ist mir
lieb geworden als mein Kind". Der Vetter dachte,
das lautet nicht bitter. Den andern oder dritten
Morgen aber, als er mit der Tante in dem Garten
spazierte, „wie gefällt dir dieser Rosenstock?"
fragte die Tante; der Vetter sagte „Sie ist schön,
sehr schön". Die Tante sagte: „Vetter, du redest
irr. Wer ist schön? Ich frage ja nach dem Rosenstock
". Der Vetter erwiderte: „Die Rose" — „oder
vielmehr die Franziska?" fragte die Tante. „Ich
hab's schon gemerkt", sagte sie. Der Vetter gestand
ihr seine Liebe zu dem Mädchen, und daß
er es heiraten möchte. Die Tante sagte: „Vetter,
du bleibst noch drei Wochen bei mir. Wenn es
dir alsdann noch so ist, so habe ich nichts dar-
wider. Das Mädchen ist eines braven Mannes
wert". Nach drei Wochen aber sagte er: „Es ist
mir nimmer wie vor drei Wochen. Es ist noch
viel ärger, und ohne das Mägdlein weiß ich nicht,
wie ich leben soll". Also geschah der Versprach.
Aber es gehörte viel Zureden dazu, die Demut
der frommen Magd zu ihrer Einwilligung zu
bewegen.
Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen
Gebieterin, aber nicht mehr als Kammermädchen
, sondern als Freundin und Verwandte
in dem reichen Haus mit vergoldetem
Fenstergitter, und noch in dieser Zeit lernte sie
die englische Sprache, die französische, das
Klavierspielen: „Wenn wir in höchsten Nöten
sein etc. Der Herr, der aller Enden etc. Auf dich,
mein lieber Gott, ich traue etc." und was sonst
noch ein Kammermädchen nicht zu wissen
braucht, aber eine vornehme Frau, das lernte sie
alles. Nach einem Jahr kam der Bräutigam, noch
ein paar Wochen vorher, und die Trauung geschah
in dem Hause der Tante. Als aber von der Abreise
des neuen Ehepaares die Rede war, schaute
die junge Frau ihren Gemahl bittend an, daß sie
noch einmal in ihrer armen Heimat einkehren
und das Grab ihrer Mutter besuchen und ihr
danken möchte, und daß sie ihre Geschwister
und Freunde noch einmal sehen möchte. Also
kehrte sie jenes Tages bei ihrem armen Bruder,
dem Weber, ein, und als er auf ihre Frage:
„Kennst du mich, Heinrich?" keine Antwort gab,
sagte sie: „Ich bin Franziska, deine Schwester".
Da ließ er vor Bestürzung das Schifflein aus den
Händen fallen, und seine Schwester umarmte
ihn. Aber er konnte sich anfänglich nicht recht
freuen, weil sie so vornehm geworden war, und
scheute sich vor dem fremden Herrn, ihrem
Gemahl, daß sich in seiner Gegenwart die Armut
und der Reichtum so geschwisterlich umarmen
und zueinander sagen sollen Du, bis er sah, daß
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