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Die Markgrafschaft
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t>as traft fet ©dbtflr un füebrt fet SBage -
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Srtfc HJolfsberger
mern der Greise und dem Winseln der Kinder
ließ sich nichts aus der schweigenden Schar
herausquälen; keiner war zu einem Bekenntnis zu
bewegen, was der Anlaß ihrer Versammlung sei.
Solche Verstocktheit mußte gesühnt werden,
und schon waren die Dorfbewohner noch grausamerer
Mittel gewärtig, denn der Kommandant
rief flackernden Auges seine Leute zusammen,
da, in einem Augenblick furchtbarer Stille, trat
ein altes Mütterchen in den Kreis, Sie mochte
ihre achtzig Jahre auf dem Buckel haben, denn
sie ging tief gebückt, das bleiche Gesicht von
einer vielfältigen Zahl von Runzeln durchfurcht,
und ihre Haare waren grau wie Asche. Sie
schlürfte hin, beugte sich tief vor dem Kommandanten
, und es ging eine solche Würde des Alters
und der Fassung'von dem greisen Weiblein aus,
daß der Rohe, wie von höherer Gewalt bezwungen
, seine Pistole sinken ließ, den Kopf niederbog
und, die Lippen zusammengepreßt, zu Boden
starrte. Über die Soldaten aber flog ein Schimmer
der Rührung, denn sie, alles Bauernsöhne,
wie es schien, mochten einen unverlorenen, in
der Tiefe schlummernden Ruf des Herzens in
sich vernommen haben. Auch sie beugten ihre
Flachsköpfe und fingerten verlegen an ihren
Waffen herum.
Das Mütterchen nun wandte sich der Gemeinde
zu, reckte sich, soweit es ihre hagere
Greisengestalt vermochte, schaute einem der
Dorfsassen nach dem andern mit tiefem, gütigem
Blick in die Augen, erhob die Hand und segnete
sie alle mit dem Zeichen des Kreuzes. Dazu
sprach sie, und ihre feine, dünne Stimme klang
wie ein silbernes Glöckchen: „Geliebte, uns
ist heute der Heiland geboren!"
Uber alle Gesichter der Versammelten flog
es wie ein Freudenschein. Man hörte schluchzen
und sah Tränen von den Wangen herniederrinnen
, und alle wie aus einem Munde wiederholten
den Gruß: Uns ist heute der Heiland
geboren.
Über der Stirn des Kommandanten wetterleuchtete
es. Er warf den Kopf in den Nacken
und umklammerte krampfhaft mit der Faust
seine Pistole. Aber das Mütterchen hatte sich
nun ihm zugewendet. Es machte ein paar
Schritte und stand ihm gegenüber, ganz nahe
vor ihm, so daß er ihren Blicken nicht ausweichen
konnte.
Es hob wieder die Hand, machte wieder das
Zeichen des Kreuzes über ihn und seine Soldaten
und sprach mit der gleichen hellen und
freudigen Stimme: ,,Geht zu eurer Mütter,
Geliebte, geht heim. Denn auch euch, ihr Lieben,
auch euch ist heute der Heiland geboren". Der
Kommandant hatte die Augen aufgerissen und
schaute über die Greisin weg in den Dämmerraum
hinein. Es war, als hielten alle den Atem
an. Die Soldaten hatten ihr Kinn bis zur Brust
herabgesenkt, einige waren rückwärts zum Tor
gewichen und es schien, als suchten sie schnell
den Ort zu verlassen, um ihre Ergriffenheit zu
verbergen. Mehrere Sekunden lang dauerte das
Schweigen, da bewegten sich die Lippen des
Kommandanten und er flüsterte, nur der Alten
vernehmlich: ,,Mutter — Mutter!" Plötzlich aber
riß er sich zusammen, gab, wie um sich selbst
zur Besinnung zu rufen, einen jähen Schuß ab
gegen die Decke, der alles zusammenfahren ließ,
aber keinen traf, brüllte mit der Stimme eines
Stieres seine Soldaten an: ,,Hinaus!" und nochmals
: „Hinaus!", und sogleich war die Scheune
geräumt von den Häschern. Man hörte die
Schritte draußen, hörte, wie sie sich auf die
Gäule schwangen, hörte sie im Galopp die Dorfstraße
entlang fegen, und dann verhallte der
Hufschlag in der Ferne.
Aus „Weihnachtliches Hausbuch". Johannes Stauda-
Verlag, Kassel.
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