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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-12/0010
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Die Markgrafschaft

jöit Sludjt rwdj Egypten / Don eeima

Aus den „Christuslegenden"

Fern in einer Wüste des Morgenlandes wuchs
vor vielen, vielen Jahren eine Palme, die ungeheuer
alt und ungeheuer hoch war. Alle, die
durch die Wüste zogen, mußten stehen bleiben
und sie betrachten, denn sie war viel größer als
alle anderen Palmen, und man pflegte von ihr
zu sagen, daß sie sicherlich höher werden würde
als Obeliske und Pyramiden.

Wie nun diese große Palme in ihrer Einsamkeit
dastand und hinaus über die Wüste schaute,
sah sie eines Tages etwas, was sie dazu brachte,
ihre gewaltige Blätterkrone vor Staunen auf dem
schmalen Stamme hin- und herzuwiegen. Dort
am Wüstenrande kamen zwei einsame Menschen
herangewandert. Sie waren noch in der Entfernung
, in der Kamele so klein wie Ameisen erscheinen
, aber es waren sicherlich zwei Menschen
. Zwei, die Fremdlinge in der Wüste waren,
denn die Palme kannte das Wüstenvolk, ein
Mann und ein Weib, die weder Wegweiser noch
Lasttiere hatten, weder Zelte noch Wassensäcke.

„Wahrlich", sagte die Palme zu sich selbst,
„diese beiden sind hergekommen, um zu sterben
". Die Palme warf rasche Blicke um sich.

„Es wundert mich", fuhr sie fort, „daß die
Löwen nicht schon zur Stelle sind, um diese
Beute zu erjagen. Aber ich sehe keinen einzigen
in Bewegung. Auch keinen Räuber der Wüste
sehe ich. Aber sie kommen wohl noch".

„Ihrer harrt ein siebenfältiger Tod", dachte
die Palme weiter. „Die Löwen werden sie verschlingen
, die Schlangen sie stechen, der Durst
wird sie vertrocknen, der Sandsturm sie begraben
, die Räuber werden sie fällen, der Sonnenstich
wird sie verbrennen, die Furcht wird sie
vernichten".

Und sie versuchte, an etwas anderes zu denken
. Dieser Menschen Schicksal stimmte sie zu
wehmütig. Aber im ganzen Umkreis der Wüste,
die unter der Palme ausgebreitet lag, fand sich
nichts, was sie nicht schon seit Tausenden von
Jahren gekannt und betrachtet hätte. Nichts
konnte ihre Aufmerksamkeit fesseln. Sie mußte
wieder an die beiden Wanderer denken.

„Bei der Dürre und dem Sturme", sagte sie,
des Lebens gefährlichste Feinde anrufend, „was
ist es, was dieses Weib auf dem Arme trägt? Ich
glaube gar, diese Toren führen auch ein kleines
Kind mit sich".

Die Palme, die weitsichtig war, wie es die
Alten zu sein pflegen, sah wirklich richtig. Die
Frau trug auf dem Arme ein Kind, das den Kopf
an ihre Schulter gelehnt hatte und schlief.

„Das Kind ist nicht einmal hinlänglich bekleidet
", fuhr die Palme fort. „Ich sehe, daß die
Mutter ihren Rock aufgehoben und es damit eingehüllt
hat. Sie hat es in großer Hast aus seinem
Bette gerissen und ist mit ihm fortgestürzt. Jetzt
verstehe ich alles: Diese Menschen sind Flüchtlinge
, — aber dennoch sind sie Toren", fuhr die

Palme fort. „Wenn nicht ein Engel sie beschützt,
hätten sie lieber die Feinde ihr Schlimmstes tun
lassen sollen, statt sich hinaus in die Wüste zu
begeben".

„Ich kann mir denken, wie alles zugegangen
ist. Der Mann stand bei der Arbeit, das Kind
schlief in der Wiege, die Frau war ausgegangen,
um Wasser zu holen. Ais sie zwei Schritte vor
die Tür gemacht hatte, sah sie die Feinde angestürmt
kommen. Sie ist zurückgestürzt, sie hat
das Kind an sich gerissen, dem Manne zugerufen
, er solle ihr folgen, und ist aufgebrochen.
Dann sind sie tagelang auf der Flucht gewesen,
sie haben ganz gewiß keinen Augenblick geruht."
Ja, so ist alles zugegangen, aber ich sage dennoch,
wenn nicht ein Engel sie beschützt —

Sie sind so erschrocken, daß sie weder Müdigkeit
noch andere Leiden fühlen können, aber ich
sehe, wie der Durst aus ihren Augen leuchtet.
Ich kenne doch wohl das Gesicht eines dürstenden
Menschen".

Ja, und als die Palme an den Durst dachte,
ging ein krampfhaftes Zucken durch ihren
langen Stamm, und die zahllosen Spitzen ihrer
langen Blätter rollten sich zusammen, als würden
sie über ein Feuer gehalten.

„Wäre ich ein Mensch", sagte sie, „ich würde
mich nie in die Wüste hinauswagen. Der ist gar
mutig, der sich hierher wagt, ohne Wurzeln zu
haben, die hinunter zu den niemals versiegenden
Wasseradern dringen. Hier kann es gefährlich
sein, selbst für Palmen. Selbst für eine solche
Palme wie ich".

„Wenn ich ihnen raten könnte, ich würde sie
bitten, umzukehren. Ihre Feinde können niemals
so grausam gegen sie sein wie die Wüste. Vielleicht
glauben sie, daß es leicht sei, in der Wüste
zu leben. Aber ich weiß, daß es selbst mir zuweilen
schwer gefallen ist, am Leben zu bleiben.
Ich weiß noch, wie einmal in meiner Jugend ein
Sturmwind den ganzen Berg von Sand über mich
schüttete. Ich war nahe daran, zu ersticken".

Die Palme fuhr fort, laut zu denken, wie alte
Einsiedler zu tun pflegen. „Ich höre ein wunderbar
melodisches Rauschen durch meine Krone
eilen", sagte sie, „die Spitzen aller meiner Blätter
müssen in Schwingungen beben. Ich weiß
nicht, was mich beim Anblick dieser armen
Fremdlinge durchfährt. Aber dieses betrübte
Weib ist so schön. Sie bringt mir das Wunderbarste
, das ich erlebt, wieder in Erinnerung".

Und während die Blätter fortfuhren, sich in
einer rauschenden Melodie zu regen, dachte die
Palme daran, wie einmal, vor sehr langer Zeit,
zwei strahlende Menschen Gäste der Oase gewesen
waren. Es war die Königin von Saba, die
hierher gekommen war, mit ihr der weise
Salomo. Die schöne Königin wollte wieder heimkehren
in ihr Land, der König hatte sie ein
Stück des Weges geleitet, und nun wollten sie


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