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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-12/0012
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Die Markgrafschaft

fürchtig auf seinem biegsamen Stamm, indes die
Blätter gleich Harfen spielten.

„Jetzt weiß ich, für wen sie die Todesmelodie
spielen", sagte die alte Palme zu sich selbst, als
sie wieder aufrecht stand. „Nicht für einen von
diesen Menschen".

Aber der Mann und das Weib lagen auf
den Knien und lobten Gott: „Du hast unsere
Angst gesehen und sie von uns genommen.
Du bist der Starke, der den Stamm der Palme
beugt wie ein schwankend Rohr. Vor welchem

Feinde sollten wir erbeben, wenn deine Stärke
uns schützt!"

Als die nächste Karawane durch die Wüste
zog, sahen die Reisenden, daß die Blätterkrone
der großen Palme verwelkt war.

,,Wie kann das zugehen?" sagte ein Wanderer.
„Diese Palme sollte ja nicht sterben, bevor sie
einen König gesehen hätte, der größer wäre als
Salomo!"

„Vielleicht hat sie ihn gesehen", antwortete
ein anderer von den Wüstenfahrern.

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Eine wahre Weihnachtserinnerung

Der Hannesli war ein wenig ein verschrocke-
ner, verschupfter und verschüchterter Bub. Und
daß er zu allem hin noch stotterte, war nur so
recht der Ausdruck seiner ganz tiefen Verzagtheit
und Verzweiflung. Denn sein Stiefvater —
die Mutter war ihm längst gestorben — verfuhr
auch gar zu unbarmherzig mit dem freilich nicht
besonders begabten Buben, und beim gestrengen
Herrn Lehrer gab's halt auch nur immer wieder
Tatzen und alle Tertial ein schlechtes Zeugnis,
das für den Hannesli wieder die schlimmsten
Auswirkungen daheim hatte. Und ich habe in
meinem Herzen ein aufrichtiges Mitleid mit dem
armen Buben herumgetragen und hab' doch nicht
gewußt, wie ich ihm in seiner offenbar unentrinnbaren
Notlage helfen könnte. Denn das war
wenig genug, daß ich mein „Znünibrot" mit ihm
teilte, weil er nie eines bei sich hatte; und es
war auch nicht viel, daß ich ihn vor den grausamen
Hänseleien der anderen Schüler in Schutz
nahm.

Da kam eines Jahres wieder Weihnachten
heran, und mein kleiner Freund war von meinem
Vater auch eingeteilt worden zum Aufsagen
einer Strophe bei der Heilig - Abend - Feier. Er
sollte aus dem Weihnachtslied „Vom Himmel
hoch da komm ich her" den Vers rezitieren „Sei
mir willkommen, edler Gast, den Sünder nicht
verschmähet hast, und kommst ins Elend her zu
mir. Wie soll ich immer danken dir?" Aber er
kam nie bis zum Ende der ersten Zeite, denn der
„edle Gast" machte ihm zu schaffen — und er
stotterte an ihm herum, bis herauskam: elender
Gast! Denn das, ja das verstand der Hannesli, weil
sein Stiefvater alle Anreden an ihn mit diesem
Attribut: Elendiger . . . anfing. Die ganze Klasse
lachte hell auf bei diesem Sprachfehler, und
mein Vater zog es vor, zur Vermeidung unliturgischer
Störungen den Hannesli von seinem Auftrag
zu entbinden, und übertrug mir, weil ich
nach dem Hannesli ans Aufsagen kam, diese
Strophe. Aber dem Hannesli stiegen die hellen
Tränen in die Augen, weil er selbst zu dieser
Aufgabe als zu unwürdig angesehen worden war.
Und da tat mir der Bub wieder herzlich leid, und
ich vereinbarte mit dem Vater, daß er doch mit
in die Reihe stehen und am Heiligen Abend mit

vortragen dürfe, und im Falle seines Stotterns
oder Steckenbleibens würde ich gleich einspringen
; und mein Vater war mit dieser Lösung
einverstanden.

Der heiß- und langerwartete Heilige Abend
war da, und wir Vortragenden saßen in unseren
Bänken, nur der Hannesli fehlte noch. Im letzten
Augenblick kam auch er, aber o je — mit ganz
abgerissener Kleidung, ungestrählt und mit ganz
verheulten Augen. Und schluchzend gestand er
mir leise, daß er vom Stiefvater als „Wiehnechts-
chindli" eine Tracht Prügel bekommen habe. So
etwas schien mir gänzlich unfaßlich, aber da wir
nun drankamen, hatte ich keine Zeit, Überlegungen
über weihnachtliche Prügel anzustellen
; wir traten vor an den Altar, um unsere
Strophen aufzusagen, und als der Hannesli an
die Reihe kam, gab's eine Pause — und ich fiel
denn ein: „Sei mir willkommen, edler Gast, den
Sünder nicht verschmähet hast" — aber da hatte
sich der Hannesli soweit gefaßt und fuhr fort -—
und das war in seiner Stimme und ganzen Haltung
so wahrheitsgetreu und überzeugend, daß
es ihm jedes in der Kirche glaubte: „Und kommst
ins Elend her zu mir! Wie soll ich immer danken
dir?" Und da war ich doch sehr froh für den
Hannesli, daß er wenigstens das herausgebracht
hatte, und lobte ihn dann auch dafür. —

Und dann kam daheim die Stunde der Bescherung
unter dem großen Christbaum — und
dazu all das kindliche große Freuen und starke
Leuchten, das uns unser Leben lang begleitet
und einen Vorrat an Lichtkraft mitgibt in
manche Dunkelheit unseres irdischen Daseins,
daß wir davon zehren können. An diesem
Abend durfte man natürlich auch länger aufbleiben
als sonst, und dann begann bereits das
Spiel mit den neuen Sachen. Meine 'Schwestern
hatten eine Puppenstube bekommen, in der zu

die Monatszeitschrift des Hebelbundes

Sie erscheint monatlich und kostet 50 Pfg., im Postversand
65 Pfg., ins Ausland 70 Pfg.


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