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Die Markgrafschaft
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Lörxaüj unb 5ie baMfdjen Keuolutionen
im $rütjjat)r unfc Ifterbft 1848 unb im eommec 1849
(Schluß)
Gustav von Struve war von Geburt Russe.
Sein Vater war 1817 russischer Staatsrat und
Geschäftsträger am Karlsruher Hof, er selbst
wurde deutsch erzogen und ließ sich als Rechtsanwalt
in Mannheim nieder, als Kollege Heckers.
Er war ein fanatischer Vorkämpfer republikanischer
Ideen, war aber nicht so volkstümlich
wie Hecker. Als die deutsche Nationalversammlung
in Frankfurt im schleswig-holsteinischen
Konflikt die deutschen Belange
nicht gebührend vertrat, versuchte Struve,
der sich in Basel in wirtschaftlich unhaltbarer
Lage befand, die Erregung im Lande
zu einem neuen Putsch auszunutzen. Am
Nachmittag des 21. September 1848, dem
#6. Jahrestag der Ausrufung der französischen
Republik 1792, brachen Struve und
±wei weitere Republikaner namens Doli
und Löwenfels von einer Wirtschaft in der
Ijebgasse in Klein-Basel aus auf und überschritten
in unauffälliger bürgerlicher Kleidung
und ohne Waffen bei Riehen die
biadische Grenze. Gegen sechs Uhr abends
zogen sie am „Stettener Rößle" vorbei in
Lörrach ein, wo sich ihnen die Lörracher
Bürgerwehr unter ihrem Anführer Markus
Pflüger, dem Sohn des Hirschenwirts, dem
späteren Reichstagsabgeordneten, anschloß.
Es war gerade Herbstmesse in Lörrach,
und , viel Volk vom Lande war nach dem
Städtchen gekommen. Auf dem alten Rathaus
in der Wallbrunnstraße rief nun
Struve die badische Republik aus, bezeichnete
sich selber als Präsidenten der provisorischen
Regierung und erkläte alle großherzoglichen
Beamten für abgesetzt.
Die leichtgläubige Menge betörte er
durch die unwahre Behauptung, daß überall
in Deutschland, in Karlsruhe, Stuttgart,
Mainz, Frankfurt, Berlin und Dresden die
Republik eingerichtet worden sei. Die Besucher
des Lörracher Jahrmarktes flüchteten
in ihre Dörfer, ohne Vertrauen in
diese Volkserhebung, der die Begeisterung
fehlte. Struve aber erließ unter scharfen
Strafandrohungen den Befehl an die Bürgermeisterämter
der Dörfer in der Umgebung
von Lörrach, sofort ihre waffenfähigen
Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren einzuberufen
und nach Lörrach in Marsch zu setzen.
Diesem Aufruf wurde aber nur widerwillig Folge
geleistet, so daß das erste Aufgebot aller Gemeinden
um Lörrach nur eine Stärke von ungefähr
zweitausend Mann erreichte.
Eduard Kaiser schildert uns in seinen Lebenserinnerungen
aus eigener Anschauung den Eindruck
, den Struve auf ihn machte, folgendermaßen
: „Ich sah den Mann zum erstenmal. Sein
dürftiger Anzug paßte nicht übel zu seinem
ernsten Wesen, das durch einen fanatischen Blick
und eine sehr schöne Stimme das nötige Leben
erhielt, um andern Leben einzuhauchen. Struve
sprach machtvoll und wohlklingend".
Weiter berichtet Kaiser als Augenzeuge: „Der
Struve'sche Heerbann, das erste Aufgebot etwa
ausgenommen, war auf dem Wege des Zwanges,
der Drohung und des Pressens zusammengetrieben
; kaum die Hälfte war bewaffnet, völlig aus-
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Foto: Gutermann, Lörrach
gerüstet gar niemand. Das Kommando über
unser Lörracher Kontinent führte der spätere
Reichstagsabgeordnete Pflüger". Die von Struve
proklamierte Republik bedrohte jeden Ungehorsam
mit Standrecht und mit Volksgericht. Drei
Lörracher Bürger bildeten eine provisorische
Lokalregierung, und einige junge Leute zogen aus,
um die Kassen der Steuereinnehmer zu leeren.
Am 22. September marschierten nun die
republikanischen Scharen über die Lücke und
Schliengen nach Staufen, wo der Mannheimer
Karl Blind als Mitglied der provisorischen Regie-
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