http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-01/0005
Die Markgrafschaft
3
Orgelspieler, war gleichfalls anwesend
, und zu dritt bestaunten wir
die große Meisterschaft des Urwalddoktors
auf der Orgel. „Jetzt weiß
ich", flüsterte mir der Organist zu,
„wie Johann Sebastian Bach die
Orgel geschlagen hat". Als ihn, der
von diesem Spiel noch ganz bewegt
war, Schweitzer aufforderte, ihm
nun auch etwas vorzuspielen, wollte
er sich weigern, das könne er nicht,
er sei ein Stümper im Vergleich zu
ihm, dem Meister, aber der Doktor
bat ihn mit so herzlichen Worten,
sich doch nicht zu zieren und ihm
die Orgel in ihren einzelnen Registern
und der ganzen Klangfülle
einmal vorzuführen, daß der verzagte
Organist die Bitte nicht abschlagen
durfte. Schweitzer und ich
begaben uns ins Kirchenschiff und
mit geschlossenen Augen hörte er
dem Spiel zu, um plötzlich die
Augen zu öffnen und mich ganz
unvermittelt anzusprechen: „Herr
Vikar, warum haben Sie den Architekten
, der diese Kirche gebaut hat,
nicht totgeschlgen, als er mit dem
Bau auf dieser Höhe war?" — und
deutete auf das untere Drittel des
Kirchenraumes. Sie war ein der
modernen Kirchen gewesen, die
von Sachverständigen und Laien
viel Widerspruch erfahren hatte,
und auch mir war bisher noch nicht
klar geworden, warum mich dieser
Bau nicht ganz befriedigte. Und nun
sagt mir's dieser Doktor auf den
ersten Blick hin. Ich war natürlich
überrascht über seine Frage, die ich
ihm nur dahin beantworten konnte,
daß ich bei der Erbauung der Kirche noch nicht
hier tätig gewesen sei und darum auch den Totschlag
nicht hätte ausführen können, der im übrigen
einem Geistlichen schlecht anstehe und ja
wohl auch von ihm nicht so ernst gemeint sei,
da er, der Doktor, nach seinem Lebensgrundsatz
von der Ehrfurcht vor dem Leben durchaus gegen
das Totschlagen sei. „Freilich", gab er lächelnd
zurück, „bin ich gegen das Totschlagen, aber
sehen Sie, trotzdem hätte man den Architekten,
als er so weit war mit dem Kirchenbau, der in
seiner Grundlage sehr gut ist, irgendwie ausschalten
sollen, denn von da ab hat er nicht mehr
weiter gewußt und angefangen zu pfuschen".
Ein eiliger Bück auf die Taschenuhr überzeugte
ihn davon, daß es höchste Zeit war, zum
Bahnhof zu kommen, und ich begleitete ihn noch
mit dem Taxi dahin. Wieder hält er die Augen
geschlossen und wieder redet er mich unvermittelt
an: „Raten Sir mir, Herr Vikar, auf
welcher der beiden Orgeln ich mein Konzert
geben soll, ich bitte Sie darum". Ich erklärte
mich für eine solche Entscheidung als gänzlich
unzuständig, aber wenn er mich schon frage, so
Ulbert Schweitzer
Foto: Pragher, Freiburg
würde ich für die letztere Orgel stimmen, da sie
in meiner Kirche stehe. „Ich danke Ihnen für
den Rat, ich nehme die zweite Orgel", sagte er
noch, trug mir einen Gruß an meinen Pfarrer
auf und bedankte sich in seiner herzlichen
Weise: „Tausend Dank, Herr Vikar, daß Sie mir
soviel Zeit gewidmet haben".
Vieles und Schweres hat sich seit diesen fünfundzwanzig
Jahren ereignet. Jener Pfarrer, mein
damaliger Chef und Schweitzers einstiger Jugendfreund
, ist längst gestorben, und die Lutherkirche
und die Ludwigskirche sind dem Fliegerangriff
auf Freiburg im November 1944 zum
Opfer gefallen, aber die Stunde mit Albert
Schweitzer ist mir in einer lieben Erinnerung
geblieben. Als ich ihn bei der Begegnung vor
drei Jahren an dieses erste kurze Zusammensein
erinnerte, erkannte er mich auch wieder, und in
schönem Gedenken an seinen Studienfreund
sagte er: „Des isch en güeter Mensch gsin". Er
hatte recht, und ich darf dieses Urteil auf Albert
Schweitzer selbst übertragen und bin glücklich,
daß diese große, gütige Persönlichkeit in mein
Leben eingetreten ist. Richard Nutzinger
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-01/0005