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Die Markgrafschaft
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Lebensli ed
Der den Kelch du uns bietest,
ewiger Springquell,
laß mich knien an deinem Rande!
Siehe, das Wasser in goldener Schale ruht,
glanzlos ein Auge, das grauen Himmel spiegelt.
Horch: am fernen Gebirge hin
flutet der Sang des heiligen Tages!
Hebt sich herrlich höher, hoch.
Farbenbogen trägt das Gewölbe der Welten.
Aber nun reitet der Herr des Tages!
Sonnen erglühen, Gestirne kreisen,
in Wonne jubeln die Festen der Welten.
Sieh! Ein Strahl zuckt auf in der goldenen Schale!
Auf steigt mächtig der Quell und breitet perlende Fächer:
„Uns rief auf der Herr! Nun trinket, Tropfen, trinket!
Trinket des Lebens Licht und sättigt die Seele!"
Rauschend schäumt der Strahl,
gesättigt fallen die Tropfen zurück zur goldenen Schale,
trunken von Farben und Licht.
Tausend Tropfen steigen, und tausend Tropfen kehren
Und nun glutet tief das Auge der Schale, [wieder.
wissend vom Lichte der Welt
und wissend vom Herrn des Tages!
Und im goldenen Kelch ruht ewig das Leben,
schläft und träumt, bis wieder der Tag
aufruft die Seele, zu steigen, zu sinken
und zur Erfüllung.
Aber auch in seiner Mundartlyrik sucht Fritz
Liebrich ganz nach innen und ganz tief vorzudringen
, um nur schwer Ausdruckbares heraufzuholen
und zu formen:
D' Matthäuspassion
Im ganze Minschter gehnd die schwäre Teen
de Syle no, es zitteret jede Boge.
Und d' Passion het 's Chor und der Altar
mit ihre Dorneranken iberzoge.
Do spinnen alii Teen ihr heilig Gflächt.
Und drunter schloft e Wunder ururalt
und nimmt e jede Schimärz ganz in sich uf,
wo alli Stund us Menschehärze fallt.
E Dornekrone legt sich um dy Seel.
Was klagt die Frauestimm? Wäm grynt si no?
Wenn jedi Hoffhig scho bigraben isch,
so fallt me zämme, däwäg sitzt me do:
D' Händ hangen iber 's Kney, der Lyb verbricht,
und Geißlehieb tuet's uf eim abe rägne.
Der Schweiß wird Bluet, und mängge Tropfe fallt.
Doch won er hifallt, kan er eim no sägne.
Und weisen: es glänzt e Lied in jedem Ton,
wie wenn im Finschteren ebbis ufgoh will.
Und d' Dorne wärde Roselaub und Bluescht.
Und de stohsch uf, und in der wird's so still.
Aus dem gleichen Erlebniskreis sind Gedichte
wie: „Im Muusiksaal", „Uf em Totetanz",
,,D' Martisgaß", „An der Rittergaß" und
D' Universiteet
.Weisen, wien e alti Frau im Footell sitzt?
Si het die ©chmali Hand uf d' Lähne glegt
und luegt so sicher us em Bolschter uuse,
grad wien e Turm sich us de Hyser streckt.
Und si isch d' Walt, 's mag dusse goh, wie's will,
si kennt dä Rummel, und si lot en sy
und seit der ruejig: „Gang doch dyner Wäg!
Und dä isch grad, und misch di do nit dry".
Doch wenn de si emol um Rot afrogsch,
do goht ere 's Härz uf, und sie luegt di a.
Und nit vergäbets het si Kinder treit
und het uf ihren Ärm mängg Lebe gha.
Si seit der: „Lueg, uf das und das kunnt's a.
Die Lyt zringsum, die wisse's alli nit.
Si meine, jede Dorgis syg e Glick,
si händ e Muttig, si verderbe mit".
Fritz Liebrich
So sitzt e gsicheyti Frau uf ihrem Stuehl.
Und vor em Fänschter macht der Rhy sich breit
und ruuscht verby und weiß es ganz bistimmt:
Die Frau dert obe luegt in d'Ewigkeit.
Um noch ein Beispiel für den „neuen Ton" zu
geben, der für das Kommende, Werdende wirbt,
sei der Eingang zu „Wältstimme und Heimetlied"
angeführt:
In mym Ohr teent allewyl d'Stimm vo Berlin,
vom Kurfirstedamm, vo de Linde, vom Potsdamerplatz.
Es teent d'Melody und ihr Zauber wie Märli: z'Paris
vo de Boulevards, vo der Madeleine, vo der Concorde
's Getue und 's Gekratz.
Und der Londonertrubel in der Townstreet, bim Tra-
falgar Square,
es surrt mer im Kopf vo Cityroad, Picadilly,
und 's isch mer, wie wenn das Erläbnis hitte erseht wär,
und 's platzt mer die Muttig, 's Gigrappei grad hit in
my Stilli.
I ha jni lo trybe vom Strom um der Stephansdom,
ha Tämpel und Tor und Tirm in d'Wulke gseh styge.
Ha gseh d'Silhouette von alle Keenigspaläscht
und Baschtione im ewige Himmel lige.
Dä Singsang vo Arbet und Freyzyt, vo Stunden und Tag,
wo jede mitsinge, mitschwinge, mitlyde mueß,
er trepfelet iberal dure, wo Wasser und Dampf,
wo Strom und Reeder tien rase. Und schneyt wie der Rueß
iber Dächer, Altane, Mansarde, in Eschtrig und Stube.
Er schneyt is ins Bluet und zitteret dumpf in den Ödere:
Alli Muskle vibriere, jede Närve zuckt in dam Takt,
e Fyr brennt in is und tuet is im Hirni in lodere . . .
Das sind wahrhaftig andere Töne als die sonst
üblichen und gewohnten. Sie stehen der modernen
Zeit näher als der „alt - heimeligen". Und
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