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Die Markgraf Schaft
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Maria Barbara Gerwig ist am 4. August 1831
zu Maugenhard, Gemeinde Mappach, geboren als
Tochter wohlhabender Eltern. Sie war als einziges
Kind sehr verwöhnt worden, besonders von
der Mutter und dem Großvater. Bis zu ihrem
zehnten Lebensjahre besuchte sie die Schule im
Heimatort. Dann hatte sie Unterricht bei dem
Lehrer von Egringen. Sie war „von einem für
ihr Alter sehr ausgebildeten Wuchs". Was die
Ursache dafür war, daß sie aus der allgemeinen
Volksschule herausgenommen wurde, läßt sich
nicht feststellen. Man dürfte aber mit der Annahme
nicht fehl gehen, daß der Lehrer am
Heimatort dem verwöhnten Kinde nicht gefiel,
daß die Eltern zeigen wollten, daß sie es sich
leisten können, dem Kinde Privatunterricht zu
geben.
Schon frühe fand sie einen Mann, den sie lieb
hatte und den sie auch heiraten wollte. Aber
diesmal gab der Vater nicht nach, weil der Bewerber
für seine Tochter zu arm war. Zwar hatte
Maria Barbara ein Kind, einen Knaben, von diesem
Manne. Aber es blieb beim Nein. Im Jahre
1851, also mit zwanzig Jahren, lernte sie einen
Apotheker kennen und lieben. Von ihm stammte
das zweite Kind, das im Dezember 1852 starb.
Diesmal kam es nicht zur Hochzeit, weil sie sich
•für* betrogen hielt. Nun scheint sie für einige Zeit
genug gehabt zu haben. Weitere Heiratsanträge
lehnte sie ab. Dafür lernte sie bei ihrem Großvater
einen anderen Sorgenbrecher kennen und
schätzen: den Wein.
Wir dürfen freilich hier nicht die heutigen
Maßstäbe anwenden. Ohne Zweifel ist früher
viel mehr getrunken worden als heute. Kußmaul,
der in jener Zeit in Kandern lebte, berichtet in
seinen „Jugenderinnerungen eines alten Arztes"
aus seiner Kanderner Zeit, daß schon die Kinder
zum Essen Wein bekamen. „Je nach ihrem Alter
erhielten sie die gefüllten Gläser in abgestufter
Größe vorgesetzt. Der Wein galt für ein Stärkungsmittel
... Es gab einzelne Leute, die täglich
vier, fünf und mehr Flaschen Wein tranken . . .
Ungeachtet dieses reichlichen Weingenusses
waren wirkliche Trunkenbolde und Säufer doch
nicht häufig".
Wenn also später festgestellt wurde, daß
Maria Barbara an dem verhängnisvollen 22. April
1852 drei Schoppen Wein getrunken hatte, und
wenn die medizinischen Sachverständigen glaubten
, daß sie trotzdem für ihre Tat voll verantwortlich
gemacht werden könne, so läßt sich das
mit den vorstehenden Sätzen Kußmauls erklären.
Inzwischen hatte sie wiederholt hören müssen
, daß die Eltern, besonders der Vater, mit
ihrem Lebenswandel nicht einverstanden war.
Er sah jetzt die Folgen der verfehlten Erziehung
und konnte sich nicht denken, daß sein Hab und
Gut bei der Tochter in guten Händen sei. Deshalb
sprach er immer häufiger davon, die Tochter
auf den Pflichtteil zu setzen und das übrige
Vermögen dem Enkel Gustav zuschreiben zu
lassen. Maria Barbara begann, über ihre Zukunft
nachzudenken. Bisher hatte sie das verwöhnte
Leben eines reichen Töchterleins leben können.
Alle Wünsche waren ihr erfüllt worden. Und
wenn man die Mutter einmal allein hatte und
mit ihr über die Tochter sprach, dann sah die
Mutter in diesem Unglück — eine Prüfung ihres
Glaubens. Maria Barbara aber sah eine Zukunft,
die durchaus nicht rosig war. Die Mutter war
schwer lungenkrank und hatte nach menschlichem
Ermessen nur noch kurze Monate zu
leben. Dann konnte der Vater seinen Plan verwirklichen
und sie enterben. Wenn erst noch der
Großvater gestorben war, was dann war, wagte
sie gar nicht zu denken.
Da reifte in ihr der Plan, den Vater zu beseitigen
. Gewohnheitsmäßig aß die Mutter gegen
Abend zwei, drei Löffel von der Suppe, welche
die Tochter gekocht hatte, dann wurde die Suppe
warmgestellt, bis der Vater mit seinem Enkel
kam. Die aßen dann den Rest. Nun wußte sie,
wie sie es anzustellen hatte. In einer Schublade
der Kommode lag ein Päckchen Mäusegift. Drei
Kreuze wiesen auf die Gefahr hin, die der Inhalt
auch für Menschen bedeutete. Davon tat sie in
die Suppe, bevor sie diese der Mutter brachte.
Wie üblich nahm die Mutter drei Löffel voll, und
die Tochter stellte den Rest in den Ofen. Als der
Vater nach Hause kam, aß er nach seiner Gewohnheit
den Rest der Suppe und gab seinem
Enkel Gustav auch davon. Aber dieser lehnte
nach dem ersten Löffel ab. Auch dem Vater kam
die Suppe scharf vor. Es wurde ihm unwohl. Er
sah die Körner in der Schüssel. Er schöpfte Verdacht
. Die Mutter mußte in der Schublade nachsehen
, ob das Gift noch dort lag. Es war nicht
mehr zu finden.
Und die Tochter? Die erzählte ganz unbefangen
dem Knecht und auch ihrer Mutter, was
sie getan hatte. Aber anscheinend nahm man die
Sache nicht ernst. Ernst wurde es erst, als es dem
Vater immer übler wurde, als er sich erbrechen
mußte, als er im Bette lag. Jetzt holte man in
der Nacht den Arzt. Der äußerte sogleich den
Verdacht, es müsse jemand etwas in die Suppe
getan haben. Aber die Mutter wehrte ab. Obwohl
sie es wußte. Sie wollte die Tochter nicht bloßstelle
©. Ob sie die Gefahr erkannte, in der ihr
Mann schwebte? Jedenfalls ließ sich der Arzt
beschwichtigen, und die Sachverständigen erklärten
später, daß es so lange nachher nicht mehr
möglich gewesen sei, den Mann zu retten. Er
starb am Gift, das ihm seine Tochter gegeben
hatte. Die Mutter, die nach Ansicht' des Hausarztes
höchstens noch drei Monate zu leben
gehabt hätte, regte sich so auf, daß sie an einem
Blutsturz starb. Das ältere Kind, das nur einen
Löffel voll gegessen hatte, kam davon.
Der Fall erregte großes Aufsehen, und Dr. Ph.
J. Wernert von der Universität Freiburg gab eine
Broschüre heraus: ,,Prozeß gegen Maria Barbara
Gerwig von Maugenhardt, angeklagt wegen Gift-
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