Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-02/0014
12

Die Markgrafschaft

unbescholtener Mann, den der Hausfreund so gut
kennt als sich selbst oder seinen Adjunkt, ein
Vater vpn drei Kindern.

Der Hausfreund müßte sich sehr an dem geneigten
Leser oder an seiner eigenen Beschreibung
irren, wenn derselbe früher fragen sollte,
was er doch nicht erfahren wird, wie der Mann
auf diesen Baum hinaufgekommen, als vielmehr,
wie er wieder herabgebracht und aus des Todes
Angst und Not gerettet worden sei. Man holte
die längste Feuerleiter im Dorf und stellte sie an
dem schmalen Bort zwischen dem Strom und
den Felsen auf. Sie reichte nicht hinan. Man band
die zwei längsten aneinander und richtete sie mit
unsäglicher Mühe und eigener Todesgefahr auf.
Sie reichten nicht hinan. Es war schon 10 Uhr,
und die Sonne schwamm über das Tal, als ob sie
das seltsame Schauspiel auch sehen oder Mut und
Hoffnung machen wollte zur Rettung. Man erstieg
auf der anderen Seite die Anhöhe, schlang
das längste Seil, das zu haben war, um den heiligen
Nepomuk und ließ es hinab, daß er es um
den Leib binden, sich alsdann mit den Händen
und Füßen gegen die Felsenwand stemmen und
seine Auffahrt regieren sollte. Aber der arme
Mann durfte mit den Händen den Ast nicht verlassen
, weil er sonst keine Habung hatte auf dem
schwachen Stamm und unvermeidlich das Gleichgewicht
und das Leben hätte verlieren müssen.
Endlich ließ man auf die nämliche Art noch einen
Mann von Mut und Kraft zu ihm hinab, der ihm

das eine Seil um den Leib befestigte, und zog
alsdann unversehrt einen nach dem andern herauf
. Der Herr Schulmeister aber, als er wieder
Boden erfaßt und sozusagen gelandet hatte, küßte
er zuerst mit Dank und Gebet die Füße des
Schutzheiligen, der ihm gleichsam in der Gestalt
des Seils seine hilfreiche Hand hinabgereicht
hatte und absichtlich um seiner Rettung willen
da zu stehen schien, und dankte seinen Mitbürgern
. Hernach winkte er seiner zagenden Frau
und seinen weinenden Kindern, die am jenseitigen
Ufer standen, daß es jetzt nichts mehr zu
sagen habe. Aber auf die Frage, wie er auf den
Baum gekommen sei, konnte er keine Antwort
geben, sondern er bewies hernach als ein
Mann, dem an seiner Reputation viel gelegen ist,
daß er in dem Dorf auf dem Berge ein einziges
Schöpplein getrunken habe und nüchtern fortgegangen
sei, um. nach Hause zu kommen. Was
sich aber weiter mit ihm zugetragen habe, wisse
er nicht, sondern, als er aufgewacht sei, sei er
auf dem Baum gesessen.

Dem Hausfreund aber ist es insofern lieb für
seine Leser, daß die Sache im Dunkeln bleibt.
Denn ob es gleich muß natürlich zugegangen sein,
so sieht es doch wunderbarer aus und greift
besser an, wenn man nicht weiß, wie. So viel ist
klar auf alle Fälle: ,,Er hat seinen Engeln über
dir Befehl getan, daß sie dich behüten auf deinen
Wegen, daß sie dich auf den Händen tragen".

J. P. Hebel

C^lddieö mit C^leidiem

Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines
Nachmittags am Fenster. Da ging mit seinem
Zwerchsack der Jud von Brassenheim vorbei.
,,Nausel", rief ihm der geistliche Herr, „wenn du
mir zu meinem Roß einen guten Käufer weißt,
zwanzig Dublonen ist es wert, so bekommst
du... " — „Na, was bekomme ich?" — „Einen
Sack Haber". — Es vergingen aber drei Wochen,
bis der Jud den rechten Liebhaber fand, der nämlich
sechs Dublonen mehr dafür bezahlte als es
wert war, und unterdessen stieg der Preis des
Habers schnell auf das Doppelte, weil die Franzosen
überall aufkauften; damals kauften sie
noch. Also gab der geistliche Herr dem Juden
statt eines ganzen Sackes voll einen halben.
„Vielleicht bekehr' ich ihn", dachte er, „wenn er
sieht, daß wir auch gerecht sind in Handel und
Wandel".

Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der
Jud nahm's aber für recht und billig. „Wart nur,
Gallech", dachte er, „du kommst mir wieder".

Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von
Trudenbach am Fenster, und der Jud von Brassenheim
ging durch das Dorf. „Nausel", rief ihm
der geistliche Herr, „wenn du mir zu meinen zwei
fetten Ochsen..." — „Na, was bekomme ich,
wenn ich Euch einen guten Käufer schaffe?" —
„Zwei Große Taler".

Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten
Metzger, der schon lange kein Messer mehr führt,

weil alles guttut nur solange es mag, zum Beispiel
das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu
seinen zwei letzten Kunden: „Ich weiß nicht, ich
bin seit einiger Zeit so weichmütig, daß ich gar
kein Blut mehr sehen kann", und schloß die
Metzig zu. Seitdem heißt er zum Übernamen der
Metzger Blutscheu und nährte sich wie der Zirkelschmied
von kleinen Künsten und Projekten,
wie. wirklich eins im Werk ist. Denn an ihm
suchte und fand der Jud seinen Mann und sagte
ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art. Nach
zwei Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen
Herrn. Aber wie war der Metzger ausstaffiert?
In einem halbneuen, brauntüchenen Rock, in
langen, schön gestreiften Beinkleidern von Barchent
, um den Leib eine leere Geldgurt, am Finger
einen lotschweren silbernen Ring, ein dito
Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch
, hinter sich her einen wohlgenährten Hundy
alles auf des'Juden Bürgschaft zusammengeborgt,
nichts sein eigen als das rote Gesicht. Die Ochsen
wurden kunstmäßig umgangen, betastet, mit den
Augen gewogen und wie mit einer Klafterschnur
gemessen. — „Na, wie jauker". — „Zwanzig
Dublonen". — „Siebzehn!" — „Herr Adlerwirt",
sagte der Jud, „macht neunzehn draus, Ihr verkauft
Euch nicht". — „Die Ochsen sind brav",
sagte der Blutscheu; „wenn ich's zwei Stunden
früher gewußt hätte, als meine Gurt noch voll
war, daß ich sie alsogleich fassen könnte, so


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-02/0014