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Die Markgrafschaft

Wind schüttelt die Knochen im Leibe wie die
Äste".

Dann schimpfte und fluchte er afrikanisch. Die
Worte rollten und gurgelten aus seiner rauhen
Kehle.

Wir waren sechzig Kriegsgefangene aller
Altersstufen und hausten in dem Räume einer
alten und halbzerstörten Fabrik.

Es war abends. Brot und Suppe waren gegessen
. Wir saßen oder lagen auf primitiv gezimmerten
Bänken und Pritschen herum und erzählten
von der Heimat. Auch wir hatten Heimweh.
Keiner wußte noch, was geschehen war. — Der
Wind pfiff durch die leeren Fabrikhallen und
schlug die beschädigten Türen und Fenster auf
und zu.

„Moustache kommt", rief Hans in den Raum
stürzend. „Alle aufstehen und Haltung annehmen,
er ist befördert worden".

Moustache erschien, auf dem Kopfe einen
amerikanischen Stahlhelm. Den Stahlhelm trug
er nur, wenn er Alkohol getrunken hatte. Von
oben herab betrachtete1 er uns mit einem strengen
Vorgesetztenblick. Hans stellte sich neben ihn.
Wir mußten abzählen. Nur zweimal, dann war er
zufrieden. Für Moustache war unser Abzählen
keine Feststellung der vorhandenen Anzahl, sondern
ein Theaterakt, an dem er sich ergötzte. Oft
erschien er mit Stammesangehörigen, vor denen
wir bis zu zehnmal abzählen mußten. Von vorn
und von hinten. Er kam sich dann wie ein
Intendant vor, weil es auf sein Geheiß geschah.
„Merci bien", rief er nach jeder Zählung.

„Sag ihnen, Hans, daß ich zum Caporal chef
(Obergefreiten) befördert worden bin". Moustache
sprach ein sehr großzügiges Französisch.

Hans rief: „Kameraden, unser grand Chef
Moustache ist Obergefreiter geworden. Klatschen
Leute! Und bravo schreien, damit er sieht, daß
wir uns mit ihm freuen!"

„Bravo, Bravo! Hurra, Moustache", schrien wir
und klatschten aus Leibeskräften.

„Merci bien, meine Söhne", rief Moustache und
klatschte auch. Man sah ihm die freudige Erregung
an.

„Sag ihnen, Hans, daß ich um Entschuldigung
bitte, weil ich kein großes Fest machen kann. Ich
möchte jedem ein Stück Fleisch geben. Gebraten,
mit Soße. Und einen Laib Brot und Datteln und
Feigen und Orangen und Sardinen und Wein und
Liqueur und Honig. Ich möchte sie alle essen und
trinken sehen, bis sie genug haben. Voila! Das
sage ihnen, Hans".

Hans übersetzte: „Ihr seht, Kameraden, daß
unser guter Moustache ganz aufgeregt ist. — Er
hat Liqueur und Kognak getrunken. Deshalb,
Leute, müssen wir vorsichtig sein. Ihr wißt, er
ist ein guter Teufel, ein lieber Kerl, aber, wenn
er getrunken hat, muß man ihn wie ein rohes Ei
behandeln. Er hat gesagt, daß er für uns alle ein
großes Fest veranstalten möchte, und er möchte

uns zu essen und zu trinken geben, soviel wir nur
ertragen können. — Applaudieren, Leute!"

Wir klatschten und riefen Hurra.

Moustache konnte vor Freude nicht mehr
stehen bleiben.

„Hans, sage meinen lieben Söhnen, daß ich
mich schäme, weil ich ihnen am Tage meiner
Beförderung nichts schenken kann. — Ich schäme
mich. Da stehe ich und habe nichts. — Moustache,
der Sohn eines Herrschers hat nichts. Hans, sage
ihnen, daß mein Vater König war. Ein großes
Volk hat er regiert. Erzähle ihnen das, Hans. Du
kennst meine Geschichte, ich habe sie Dir schon
oft erzählt. Sie sollen sie auch wissen".

„Paßt auf, Leute, daß Ihr es richtig mitbekommt
", rief Hans. — „Ich soll Euch mitteilen,
daß Moustache ein afrikanischer Königssohn ist.
Durch Erbstreitigkeiten ist er um den Thron beschissen
worden. Er mußte in die Fremde und ein
Falscher regiert. — Nicht mehr lachen, Leute.
Jetzt traurige Gesichter machen. Zeigen, daß Ihr
mitfühlt".

„Oooo", murmelten wir, schüttelten den Kopf
und schauten Moustache bewundernd an.

„Ich soll Euch nun lang und breit erzählen,
was ich von ihm schon alles gehört habe. Er will
vor unseren Augen ein großer, tapferer Herrscher
sein, ein mutiger Krieger, ja, sogar ein grausamer
Räuber. — Das ist alles dummes Zeug, Leute. Für
uns ist maßgebend, daß Moustache ein guter Kerl
zu uns ist. Wer weiß, wie es uns ergangen wäre,
wenn wir ihn nicht gehabt hätten. Ich kann Euch
sagen, daß er für uns schon unzählige Male in die
Verpflegungsräume eingebrochen ist, um uns Fett
oder sonst etwas Kräftiges zu beschaffen. Das
sind seine großen Verdienste vor unseren Augen.
Wir wissen, daß wir einen treuen Freund in ihm
haben, auf seine Art selbstverständlich. Er hat
einen Narren an uns gefressen und auch darum
wollen wir ihm von Herzen dankbar sein. — Wir
wollen nochmals klatschen und rufen, vielleicht
geht er fort und läßt uns schlafen, aber Ihr seht,
er vibriert wie ein Zitteraal. Also nochmals klatschen
und rufen!"

„Bravo, Moustache! Hurra!" Wir klatschten
und schrien.

Moustache stürzten die Tränen aus den Augen,
voller Freude und Dankbarkeit schaute er zur
dunklen Decke des Fabrikraumes. „Merci bien!
Merci bien!", rief er gerührt.

„Hans, sage meinen lieben Söhnen, daß ich
sterben werde, wenn ich sie nicht mehr sehe. Ich
werde es nicht ertragen können. — Hans, sage
ihnen, daß meine Mutter noch lebt. Mein gutes,
liebes Mütterlein. Mein Mütterlein lebt noch in
Afrika. Sie hat so lange nichts mehr von mir
gehört. Vielleicht meint sie, ich bin tot. Sage
ihnen, Hans, daß ich bald nach Afrika zurückgehe.
Zum schönen Afrika, zu meinem Mütterchen. Und
dann werde ich Euch alle einladen, damit Ihr
mich in Afrika besucht. Mich und mein Mütterchen
. Wie sie sich freuen wird, wenn sie meine
lieben Söhne sieht. Und dann könnt Ihr alle bei
uns bleiben. Im schönen Afrika! Wir werden zu-


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