Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-03/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 3 /1955 Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Sdiwarzwaldvereins 7. Jahrgang

€>fteclt'djer Wzq

Dem letzten Winter ist es gegangen wie einem
faulen Schüler vor Ostern: wie der junge Tunichtgut
sich erst zum Lernen bequemt, wenn das
Sitzenbleiben bevorsteht, so fiel unserem Winter
das Schneien und Hornigeln erst ein, als er von
uns allen bereits eine sehr schlechte Note in Aussicht
hatte. Nun wollte er nachholen, was er
lange und zur rechten Zeit versäumt hat. Wie
bitter hart ist er dann über die Saaten hergefallen
, über den ganzen sich ankündigenden Frühling
, der bereits mit seinen kleinen Geschwister-
chen, dem zarten Schneeglöckchen und dem pausbäckigen
Krokus zu spielen begonnen hatte. Aber
die Erfahrenen wissen, daß seine Zeit um ist.
Ein Meislein im Garten, in dem die Tulpen vorsichtig
den Boden sprengen, hat es bestätigt. Die
Unruhe einer neuen Zeit zittert in den Knospen
im Gestäude am Wegrain. Die große Auferstehung
der Natur beginnt einzuschwingen in den Rhythmus
des christlichen Jahres, der bald nach der
Karfreitag - Verfinsterung, nach dem Erbeben
alles Kreatürlichen und nach der schwarzen
abgrundlosen Nacht von Golgatha den unvergleichlichen
Jubel österlicher Auferstehungsfreude
anstimmen wird.

Die sinnfällige Auferstehungs-Parallele in der
Welt der Natur begegnet uns auf Schritt und
Tritt. Wenn wir am Ackerrain entlang gehen, den
vertrauten Weg, von dem wir im Herbst Ab- '
schied nahmen, als die Felder verlassen waren
und grauer Nebel durch das Rheintal zog, wenn
wir diesen schmalen Pfad an einem Vorfrühlingstag
gehen, ist es gut, daß wir uns bewußt werden
, daß wir hier und jetzt offenen Auges als
Zeugen des geheimnisvollen Wirkens der Natur
aufgerufen sind, allerdings einer Natur, die nicht
aus sich selbst ist, sondern aus der Kraft jenes
Göttlichen, das auf Golgatha den Tod überwunden
hat. In allem Erregenden, das unser Auge
und Ohr, alle unsere Sinne trifft mitten im Anhauch
des beginnenden Frühlingswunders, sollten
wir doch wohl nicht jenes Bild vergessen, das
uns mit dem Kreuz seit unserer frühesten Kindheit
gegeben ist: wie es aus der Dunkelheit der
Erde in den Himmel aufstrebt und wie es nach
den Enden der Welt greift; wie es liebende
Umfassung der Welt bedeutet, wie es aber auch
in der Vollendung nach oben zeigt, so wie alles
Vollendete hinaufweist in den Raum, wo das
Geistige Heirjiat findet, wo im heilen Raum das
Heillose und Heimatlose, das Ruhe- und Friedlose
in den Rhythmus ewigen Geistes einmündet, in
das vollkommen Gültige.

Unser österlicher Weg entlang dem erwachenden
Acker, dessen junge Saat unter Wind-
Schauern zittert, läßt uns auch darauf besinnen,
daß Leben sich nur dort entfaltet, wo vorher
Leben war. Nichts geschieht aus Totem. Lebendiges
ist des Lebens Ursprung. Bei dieser Betrach>
tung dürfen wir die moderne Naturwissenschaft
zu Hilfe rufen, die eine noch vor 150 Jahren, zur
Zeit Goethes also, verbreitete Meinung widerlegt
hat, wonach Leben aus totem Stoff entstehen
könne. Man hat geglaubt, daß beispielsweise
Schimmel sich aus Zucker bilde und Flöhe aus
den Staubritzen des Fußbodens entstünden. Die
moderne Mikrobiologie hat diese Theorie endgültig
widerlegt: es gibt keine Ausnahme von
jenem Naturprinzip, daß neues Leben sich nur
aus bereits vorhandenem Leben entwickelt. Auch
die moderne Landwirtschaft weiß sehr gut, mit
welcher Ausschließlichkeit dieses Prinzip gilt.
Wir haben keinen Grund daran zu zweifeln, daß
es im geistigen Bereich sich nicht anders verhält.
Wir müssen uns daher auch immer wieder
Rechenschaft geben darüber, daß unsere menschliche
Entfaltung ohne Geist nicht zustande
kommt, daß wir ohne geistiges Ur-Leben in die
traurige Dunkelheit animalischen Daseins stürzen
müssen.

Nun ist esi für uns keine Frage, wessen Geistes
wir bedürfen. Wir gehen unter einer Fahne, die
des Trommlers nicht bedarf. Aber der pflegliche
Umgang mit dem Geist, der unsere unsichtbare
Fahne trägt, das ernsthafte Bemühen und das
Sich - Nicht - Begnügen mit Oberflächlichem und
dem Geschwätz — diese Dinge dürfen wir nicht
vernachlässigen. Wer weiß, daß die Lebensprinzipien
der Natur, die in der österlichen Zeit
uns mehr als zu jeder anderen Jahreszeit anspricht
, den geistigen Prinzipien nachgeordnet,
aber auch nachgebildet sind, weiß auch darum,
daß die Natur demjenigen, der sich ihr nähert
ohne jenen Dünkel, den Albert Schweitzer als
das Übel der Welt bezeichnet, so manchen Hinweis
für den rechten Geist und für die rechte
Pflege dieses Geistes vermittelt, für einen Geist,
aus dem auch Johann Peter Hebel verstanden
sein will. Wir denken hier nicht an Naturschwärmerei
, und wir werden uns hüten, fundamentale
Denkfehler eines Rousseau zu wiederholen
. Aber wir denken an jenen Ernst, den das
Bild des Sämannes in uns hervorruft. In diesen
Ernst ist auch die gute Freude eingeschlossen, die
so wenig des Lärmes bedarf, um sich bemerkbar
zu machen, wie eine Blume dessen bedürfte,
wenn sie taufrisch dem jungen Morgen entgegenblüht
.

Wir freuen uns sehr, daß wir mit den Freunden
vom Schwarzwald verein von jetzt an eine
Weggenossenschaft bilden werden. Die österliche
Zeit scheint uns dazu ein guter Beginn zu sein,
und unsere österliche Betrachtung möge auf
Gemeinsamkeiten hinweisen, die unserem Bund
Dauer verleihen.

L. B.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-03/0003