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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-03/0012
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Die Markgrafschaft

unmittelbaren Auswirkungen der Reformation
erstickt.

Doch im Rate der Stadt war gegenüber der
Kirche eine freiere Stellung eingezogen. 1537 sah
sich die Geistlichkeit von Neuenburg veranlaßt,
bei der Regierung zu Ensisheim Klage gegen den
Rat der Stadt zu erheben, welcher der Geistlichkeit
die Einkünfte beschnitten hatte. Der Rat
seinerseits warf den Geistlichen die Versäumnis
ihrer Pflichten vor und erklärte vor Gericht, die
Gelder seien zu besserem Nutzen für einen
Schulmeister verwendet worden. Der Streit zog
sich weiter hin. Die Sprache wurde immer derber.
Der Rat schrieb: „um mit Zuchten vor wer
gnaden zu reden, ein sollich unerberlich suwisch
Leben von heynischen und frembden priestern,
nit un gros ergernuß gegen den gemeinen Mann,

Piepsender Gruß auf dem Ostertisdi (Photo Bender)

als nämlich mit den pfaffen Kellnerin, mit spilen,
überessen und trinken, das sollich unerbarkeit
mit gehaptem Rat in ein besser Almusen ver-
wendt worden, und diese Stiftung auf arme not-
türftige leut verwende4. Die Geistlichkeit erwiderte
: „Unsere Herren bedienen sich viel ungeschickter
Worte; lassen wir ruhig jeden Vogel
singen sein Gesang". Der Rat wiederholte seine
Vorwürfe. Der gefällte Spruch stellte die alte
Ordnung wieder her. Der Streit zeigt aber, wie
lebendig noch der Rat und ein großer Teil der
Bürgerschaft in der Nachwirkung der Erhebung
standen.

Die beiden Chronisten der Stadt Neuenburg,
sowohl Stadtpfarrer Huggle, der in den Jahren
1876, 1877, 1881 beim Herder-Verlag in drei Heften
die Geschichte der Stadt nach einem Manuskript
des Geistlichen Rates Haury und des
Registrators Vetter herausgab, wie auch Stadtpfarrer
David, der ebenfalls eine Chronik der
Stadt verfaßte, die jedoch nur im Manuskript
vorliegt, führen als die auslösenden und fördernden
Momente für das Fußfassen des reformatorischen
Gedankens in Neuenburg die damaligen
Mißstände innerhalb der Kirche im allgemeinen
an, die sich auch in den kleineren Verhältnissen
innerhalb der Geistlichkeit Neuenbürgs spiegelten
. Wesentlich ist, daß sich die Mehrzahl der
Bürger und des Rates, sowie der Insassen der
Klöster freiwillig aus eigenem Entschluß, ohne
äußeren Zwang der Reformation zuwandten, wie
es sich aus den Quellen und ihrer Darstellung in
den obigen Chroniken ergibt. Wäre) die Glaubensänderung
der Stadt erzwungen gewesen, wozu in
jener, ersten Zeit keine Möglichkeit vorlag, so
wären alle reformatorischen Gedanken mit der
Beseitigung dieses Zwanges verschwunden gewesen
und es hätten sich keine jahrzehntelangen
Nachwirkungen selbst unter dem umgekehrten
Zwange gezeigt. Wäre aber die Rückkehr zum
alten Glauben eine freiwillige und nicht eine
durch das Ensisheimer Edikt vom 20. April 1524
erzwungene gewesen, so wären auch dabei nicht
diese langen Nachwirkungen in Erscheinung getreten
. Aus dem Jahre 1550 führt Stadtpfarrer
David einen bischöflichen Visitationsbericht an,
der die Lebensführung der Neuenburger Geistlichkeit
empfindlich tadelt. Ein lutherischer
Pfarrer Diccius von Badenweiler stammte aus
Neuenburg. Gervasius Marstaller, der einer angesehenen
Neuenburger Familie angehörte, seine
Schwester^ war die Frau des Neuenburger Bürgermeisters
Ludwig Gut jähr, wurde Beamter am
protestantischen Hofe in Badenweiler und lebte
später beim Herzog von Pommern. Seine Schwester
starb als Hundertjährige 1610. In ihrem
Testament, das heute noch im Pfarrarchiv vorhanden
ist, grollt sie ihrem seinem alten Glauben
untreu gewordenen Bruder. Noch 1609 berichten
Jesuiten, die eine Mission in Neuenburg durchführten
, von einer starken Schwächung des
katholischen Glaubens.

So läßt die Art des Ausgangs der Bewegung
von nun ab die Stadt immer mehr sich verlieren
in ihre Preisgegebenheit. Mag nun der freie Entschluß
der Stadt als gut oder schlecht gewertet
werden, gleichviel, entscheidend ist, daß der
Entschluß zur Rückkehr zum alten Glauben, von
außerhalb ihres eigenen Willens her, aus der
Sphäre ihrer Preisgegebenheit kam. Ihre Verlorenheit
an diese ist nunmehr unwandelbar
geworden, und es bleibt keine andere Lösung
mehr unter dem wesensentfremdenden Aspekt
ihrer Gründung1 als das Hinabsinken in Ohnmacht
und Vernichtung.

Ist ihre Wesensbestimmung die Brückenbildung
und ihre Lebensaufgabe die eines vermittelnden
Bindegliedes, so waren ihr durch die
Umstände ihrer Gründung die wesensfremden
Züge eines Sperriegels, eines Trennenden aufgebürdet
. Damit war ihr der Schicksalsgrundton der
Preisgegebenheit aufgezwungen. Hiergegen lehnte
sie sich aus ihrer Vitalität auf, um durch eigene
Willensbildung zur Ausstrahlung ihrer natürlichen
Wesensbestimmung zu gelangen. Mit dem Abnehmen
ihrer äußeren und inneren Kräfte im
Kampfe gegen die überstarken Mächte von
außen, die sie immer mehr ihrer eigentlichen
Aufgabe entfremdeten, mußte schicksalshaft ihr


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