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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-04/0004
2 Die Markgrafschaft

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Wenn man beim Schwabentor in Freiburg den
Hang zum Schloßberg ersteigt, kommt man in
drei Minuten an ein freundlich gelegenes Besitztum
, das als Greiffenegg-Schlößle den Einwohnern
bekannt und beliebt ist. Es war einst vor
zwei Jahrhunderten ein privater Wohnsitz, heute
ist es nach einem gelungenen Umbau mit seiner
schönen Inneneinrichtung eine vielbesuchte Gaststätte
, von wo man auf einer herrlichen Terrasse
einen prachtvollen Blick über die nun wieder aus
Trümmern erstandene Münsterstadt genießt.

Beim Eintritt durch das Gartentörlein fällt
alsbald an der Eckseite des Hauses eine Tafel mit
altertümlicher Schrift auf: „Quieti sacrum", das
heißt: Hier ist ein Heiligtum des zur Ruhe Gekommenen
! Der erste Besitzer hatte sich dieses
Symbolum in Stein hauen lassen, aber auch den
späten Besucher beglückt es noch beim Eintritt
mit einem seltsamen Schauer der Erwartung.

Franz Gröger, ein unternehmungsfroher Buchhändler
, hatte den guten Einfall, hier künftig in
den schönen Räumen seine Kultur- und Leseabende
zu veranstalten, und am Dienstag, dem
19. April, um 20 Uhr, hatte sich dort eine stattliche
Gemeinde von Freunden der Mundart zu
einem ,,Alemannischen Abend" versammelt.

Hubert Baum, der Dichter schöner Mundartbücher
, als Herausgeber des ,,Hebelkranz" und
Veranstalter des letzt]ährigen Dichtertreffens in ,
Badenweiler und Müllheim weithin bekannt,
sprach in seinen den Abend einleitenden Worten
von der Not der Mundartdichtung, die vom Hochdeutschen
her erstickt und beiseitegeschoben
werde. Er schilderte das große und törichte Unrecht
, das hier dem reinen und urwüchsigen
Sprachquell unserer Landschaft angetan werde,
und zeigte den Willen zum Widerstand an. Er
läßt keine Resignation gelten, nicht alt sei die
Mundartdichtung, sondern sie stehe erst am Anfang
ihrer Entfaltung. Eine reiche Blüte unter
den Dichtern der Gegenwart gebe die Gewähr
für ihr ferneres Wachsen und Bestehen. Freudiger
Beifall lohnte diese mutigen und zuversichtlichen
Ausführungen, die in meisterlichen Hexametern
und in reinster Alemannenmundart vorgetragen
wurden.

Umrahmt wurden die folgenden Lesungen
durch den Gesang von Philipp-Liedern, die der
Kammersänger Eugen Grimm (Bariton), von Prof.
Franz Philipp am Flügel begleitet, vortrug und
die dem Abend seine musikalische Weihe gaben.
Der Komponist hat den Ton der alemannischen
Seele in so vollendeter Klassik getroffen, wie
dies Hebel und Burte im Gedicht gelungen ist.
Franz Philipp wurde begeistert gefeiert.

Fritz Wolfsberger aus Müllheim begann mit
den Lesungen. Diesem erdhaft stämmigen Mann
aus dem Volke gelingen am besten die Töne
zarten Empfindens mit der Natur und des Mitleidens
mit Mensch und Kreatur. Aber er kann
auch in gesunder Freude und derber Sinnenlust
mitjubeln, wo sich ihm eine gesunde Lustbarkeit
volkstümlicher Art darbietet. Es ist ihm gelungen
, zu dem Leserkreis, den er in der Markgrafschaft
besitzt, sich hier in Freiburg neue Freunde
zu gewinnen, den er ließ an diesem Abend mit
seiner feinsinnigen Lyrik, namentlich in den
Stücken mit einer sozial betonten Note, ganz
offenkundig aufhorchen.

Hedwig Salm, die gütige, mütterliche Frau,
die sich längst mit ihrem Silberdistel-Bändchen
„Brunnen am Weg" einen guten Platz in der
alemannischen Mundartdichtung gesichert hat,
gewann sich durch den gemüthaft schlichten und
herzlichen Vortrag ihrer menschlich rein und tief
empfundenen Gedichte nicht minder jene Aufmerksamkeit
, die aus beseeltem Mitschwingen
angerührter Saiten stammt.

Lina Kromer, die Markgräflerin in der ernsten
Tracht, die schon fast mythisch und legendär
gewordene Sibyllengestalt unserer alemannischen
Poesie, äußerlich unbewegt, ohne Akzente
sprechend, fast im Tonfall einer magischen Beschwörung
, machte durch eine seltsam sanfte
Gewalt die Geister des Vaters und eines Nußbaumes
lebendig, daß ihre Gegenwart bis in den
Raum atemloser Stille dieses Saales gespürt
wurde. Die Hörer standen alle tief im Bann dieses
Erlebnisses, das eine Ahnung von der elementaren
Gewalt einer Lyrik vermittelt, die einzigartig
in unserer Landschaft ist. Hier ist numinos
umwehte Natur, die der intellektuellen Bildung
nicht mehr bedarf.

Hubert Baum, der getreue Eckart unserer
Dichtung am Oberrhein, dem besonders die Töne
kindhaften Empfindens, zarter Liebe, aber auch
kraftvoller Heimatart gelingen, brachte zum
Schluß in seiner Hymne ,,Hailigi Muettersprooch"
alle Gefühle zum Ausdruck, die in den Hörern
als Dank wachgerufen waren.

Hermann Burte, den Beschluß machend, der
Dichternestor in diesem Kreise, übte die immer
wieder bewährte Kraft seines gesprochenen Wortes
. Er zeigte zwei Welten seines dichterischen
Wesens, die wir auch aus seiner Malerei kennen,
und wie er dort heute die lichtere und liebevolleren
Farben liebt, wo er früher mehr nach
den leidenschaftlicheren Tinten seiner Palette
griff, so wies er uns auch nach den sinnlich
durchglühten Strophen aus der ,,Madlee" hin in
die Einsamkeit „In der Stille ganz allein" seines
Hebel-Gedichtbandes „Die Seele des Maien". Die
Hörer spürten tief die Bedeutung dieser seltenen
Stunde, in der dieser „große, alte Mann" menschlich
warm und gütig in ihrer Mitte weilte.

Als die Veranstaltung beendet war, blieben
die Besucher in freudiger Gehobenheit bis nach
Mitternacht noch beisammen, und als sie im
Mon^enschein auf die Terasse traten, um vom
Greiffenegg - Schlößle ins Tal hinabzuschreiten,
sagte ihnen die gotische Silhouette des Münsterturmes
noch einmal dieses Symbolum, in dem wir
das Erlebnis dieses wunderbaren Abends uns in
der Erinnerung bewahren werden:

„Quieti sacrum"

M. D. G.


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