Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-04/0010
8

Die Markgrafschaft

einst — vorbeigeht? Fürstlichkeiten und geistliche
Würdenträger, hohe Militärs und gemeines
Volk haben mich überschritten, gingen weiter
durch die geöffneten Tore. Welche Pracht war
damals zu sehen! Und weiter geht mein Weg an
der Kanzlei der ehemaligen Landvogtei Schlien-
gen vorbei. Eine wichtige Rolle spielte sie einst.
Ach, einst und jetzt. Alles soll heute schnell
gehen, alles ist eilig, eilig. Und auf meinem Weg
gibt es immer Zwischenstationen. Da muß ich
Halt machen, im „Klösterle", dem Asyl für die
Dorfarmen. Flink, flink am Rathaus, wo das
Wohl und Wehe der Gemeinde seit Jahrzehnten
beraten wurde, vorbei und durch den Hof".

„Halt, halt! Denkst du denn nicht mehr daran,
wo die wichtigen Dinge in der Gemeinde einst
erledigt wurden? Im Gemeindehaus auf dem
Marktplatz geschah es. Ach wie oft sah ich doch
die Bürger sich am Sonntag vormittag nach dem
Gottesdienst sich hier versammeln, um zu hören,
was es Neues gab. „'s isch Gmaü", so hieß diese
sonntägliche Versammlung kurzerhand. Und wenn
ich an den „Lasterstein" denke, der auch dort
aufgestellt war. War es nicht beschämend, wenn
e r oder sie vergessen hatten, zwischen mein
und dein zu unterscheiden, und, mit den gestohlenen
Dingen um den Hals gehängt, mußten sie
sich nun auf diesen Lasterstein stellen! Allen
Kirchenbesuchern wurde die Freveltat bekanntgemacht
. So wurde es im alten Gemeindehaus
gehalten und nun erzähle du weiter1'.

„Also durch den Hof geht es, die hohe Stiege
hinauf. „Klara" hieß die letzte Insassin; sollte
sie ihren Namen schreiben, so machte sie drei
Kreuzlein".

„Ja, ja! — aber trotz allem fand sie Gefallen,
und ihr Gspusi, der lange Julius, kreuzte manch
liebes Mal mich, die Landstraße, und suchte die
Klara auf. Es wäre nicht gut, wenn der Mensch
allein sei, meinte er. Vom Frühjahr bis zum
Herbst trafen sie sich beim Taglöhnern. Und
hatte er im Winter den Dreschflegel geschwungen
, Rebstecken gespalten und geschält, Wellen
oder Holz gemacht, so zog es ihn am Feierabend
ins Klösterle".

„Warum auch nicht? Die Liebe ist noch älter
als wir beide. Und Liebe stand auch in meiner
Straße Gevatter. Weißt du nicht mehr, daß am
Ausgang des Dorfes im letzten Haus rechter
Hand ein Spital war? Da wurden die Kranken
untergebracht, die ortsfremden. Ach, der arme
Wandergesell, wie einsam lag er da — ein hohler
Husten auälte ihn. Und die Magd seines Arbeitgebers
brachte ihm Speise und Trank, pflegte ihn
gesund. Nächstenliebe gab es auch früher".

„Laß uns das Garn weiterspinnen, Nachbarin.
Laß mich erzählen vom Haus zu meiner Linken,
das Jahrzehnte als Schulhaus diente. Alt ist es,
alt ist auch der Brunnen gegenüber, der „Nagelbrunnen
". Schön war er einst und sein Wasiser
hat manchen erfrischt. Wieviele Kinder sind wohl
auf dem Weg zur Schule an den Brunnen gelaufen
, haben den Schwamm genetzt, sich geschwind
noch einmal die Hände gewaschen. Vergessen ist
das alles".

„Ach, es ist doch so unterhaltsam, an die alten
Zeiten zu denken, Erinnerungen aufzufrischen.
Da denke ich an das Jahr 1796. Die Franzosen
haben damals schwer im Dorf gehaust. In dem
Kaufladen am Märtplatz (Haus Vollmer) plünderten
sie und nahmen auch die, Bettdecken,
schüttelten die Federn vom Kirchturm herunter;
und die weißen Flocken ließen sich auf mir nieder
. Aber viel Schlimmeres geschah, viel Schlimmeres
. Manche Kanonenkugel hat ihren Weg über
mich genommen. Und viel Kriegsvolk, fahrendes
Volk, friedliche Leute und edles Gespann sind auf
mir, der alten Straße, dahingezogen, aufwärts
und abwärts in stetem Wechsel".

„Ja, wir hatten damals unsere Erlebnisse,
auch ich in der Altingerstraße. Weißt du noch,
was die Fama erzählt: „Im Jahre 1796 mußte der
Erzherzog Karl von Österreich aus dem Reb-
häusle in den Lieler Reben hinter der Eckt fliehen
. Das Wetter war arg schlecht. Sieh, in jenem
Häus mit dem schönen Blick über das Dorf hätte
er damals Schutz gefunden. In derselben Nacht
bekamen die Leute, die dazumal im Hause wohnten
, ein Büblein und der Erzherzog wäre Götti
gewesen. Die Österreicher sind die Hundsgrube
heruntergekommen*'.

„Ja, ja, in diesen unruhigen Zeiten hat sich
viel ereignet. Nach den Kirchenbüchern des
Pfarramtes Schliengen wurde im Jahre 1796 ein
Kind geboren. In welchem Haus es zur Welt
kam, läßt sich freilich nicht feststellen; lag das
Haus an deinem Weg oder an meinem? Die Taufurkunde
lautet in deutscher Übersetzung:

Taufurkunde

Pfarrer: Johann Baptist Brodbeck.

Kind: Catharina Schütz, geb. 26. Oktober 1796.

Vater: Johannes Schütz, Hofschuster der erlauchten
Regierung des Allergnädigsten Prinzen
Karl und des Hofmeisters, General Schmid.

Mutter: Justina Fontain.

Paten: Joseph Clais und Catharina Dietrich.

Und kaum waren die Wunden eines Krieges
vernarbt, so zogen sich wieder düstere Wolken
am Horizont zusammen. Warum waren auch die
Völker von eh und je so kriegerisch? 1813/14!
Denkst du daran?"

„Ja, das Volk hatte viel zu leiden, trotzdem
die Russen uns verbündete Truppen waren. Jeder
Tag brachte andere russische Einquartierung, oft
in ein Haus zwanzig bis dreißig Mann; das war
eine schwere Zeit für Männer und Frauen, insbesondere
für die jungen.

Ich denke da an die hübsche Jungfer Marianne.
In dem alten Haus mit seinem Wappen und der
Jahreszahl 1585 hat sie gewohnt. Auch die Russen
fanden Gefallen an ihr. Sie sollte diesen eines
Nachts den Weg nach Kandern zeigen. Sie sträubte
sich. Aber es nützte ihr nur wenig; gezwungen
ging sie mit den Russen. Es war eine stockfinstere
unheimliche Nacht. Mit einer Stallaterne schritt
die Marianne tapfer voran und erwog unter
Herzklopfen, ob der mit den Ihren ausgedachte
Fluchtplan wohl glücken würde. Und in den
engen Fußpfad zwischen dem dritten und vierten


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-04/0010