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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-04/0012
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Die Markgraf schalt

ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, um
Gotteswillen, so könnt ich's freilich besser verdauen
'. Wenn aber die Wirtin sagte: ,Aber, frommer
Pilgrim, eine solche Suppe kann euch doch
unmöglich Kraft geben', so antwortete er: ,ei,
wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe
nehmen, so wär's freilich nahrhafter!'
Brachte nun die Wirtin eine solche Suppe und
sagte: ,Die Tünklein sind doch nicht so gar weich
worden', so sagte er: ,Ja, und die Brühe sieht gar
dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll
Gemüs darein oder ein Stücklein Fleisch oder
beides?' Wenn ihm nun die mitleidige Wirtin
auch noch Gemüse und Fleisch in die Schüssel
legte, so sagte er: ,Vergelt's euch Gott! Gebt mir
jetzt Brot, so will ich die Suppe essen!' Hierauf
streifte er die Ärmel seines Pilgergewandes zurück
, setzte sich und griff an das Werk mit Freuden
, und wenn er Brot und Wein und Fleisch und
Gemüse und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte
bis auf den letzten Brosamen, Faser1 und Tropfen,
so wischte er den Mund am Tischtuch oder am
Ärmel ab, oder auch gar nicht und sagte: ,Frau
Wirtin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt
, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht
einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür.
Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so
will ich euch eine heilige Muschel bringen'".

„Und ist er je wieder gekommen, Nachbarin?"

,,Nein, nie. Er hat sich so durchgefressen und
ist wohl verdorben und gestorben. Sag, hast du
auch solche Erinnerungen aufzuwarten, he?"

„Kurzweiliges weiß ich auch noch zu berichten
. Sogar ein Gruseln zog oftmals den Leuten
über den Rücken, wenn sie es hörten, wie der
alte Hansbaschi seltsame Dinge vollbrachte. Da
wurde aus dem Chämi ein „Harne", der schön
geräuchert war, geholt; d'Guttere mit Nußwasser
verschwand ab der Bühni, wo sie unterem Fenster
destillieren sollte. Der alte Hansbaschi zog
seine Bücher, das 6., 7. und 8. Buch Mosis zu
Rate. Und die Schelme fanden keine Ruhe und
mußten das Gestohlene zurückbringen. Nur die
Leute getrauten sich nicht mehr recht die Sachen
selbst zu genießen. Ein Gruseln ging ihnen über
den Rücken. Wer wußte, ob nicht der Böse drin
steckte. — Ein Geschichtlein weiß ich noch, als
ob es erst gestern geschehen wäre. Immer noch
höre ich den Seppe-Doni erzählen: ,E nagelneui
Segese isch mir mitsamt em Fuedderfaß us em
Schopf ab em Nagel gstohle worde. Was hani do
gmacht? I bi zuem alte Hansbaschi gange un
hanem mi Leid gchlagt. Chönnsch mer nit helfe',
hani gfrogt. ,Jo friili', sait er druf, ,aber numme,
wenn die gstohleni Sach nit über's fließend Wasser
trait worde isch. Jetz gohsch heim un richtsch
eweng Schmalz un Salz un Rebriis un au no drei
haselni Ruete in de drei höchste Näme. Wenn de
aber d'Ruete holsch, derf di uf em Heimweg
niemes seh, sunscht chasch si eweg keie un wieder
anderi hole. Hit z'Nacht, ebbis vor de' Zwölfe,
chumm i derno uffe. Derno wenn mer luege, was
z'mache isch'. Also hani des Sach grichtet un in
der Hohle ans Freye Rai hani drei Haselruete
gschnitte. Mit der erschte bini numme chu bis an
d'Stroß, derno het mi ebber gseh un ich ha si

eweg keit. Zweimol isch's mer so gange un erseht
bim dritte Mol hani Glück gha un ha si unbseh
un unbschraue heimbrocht. Ebbis vor de Zwölfe
isch der Hansbaschi chu. Vum Rebriis het er e
Für im Herd gmacht un het abwechslig bal Salz,
bal Schmalz ins Für keit und zwische-ine het er
mit dene drei Haselruete das Für peitscht un
derzue ebbis brummlet. Wu's derno Zwölfi
gschlage het, keit er die Ruete eweg und het
gseit: ,So, Seppe-Doni, jetz gang emol in Schopf
go luege'. Un richtig, Segese un Fuedderfaß sin
wieder schön am Ort ghange"'.

„Weil wir gerade beim Gruseln sind, will ich
auch noch etwas erzählen, was sich zugetragen
hat am Schliengener Berg, wo ich mich so steil
und mühselig gen Süden ziehe. Ich denke da an
den Jobek, den alten, bärbeißigen Fuhrmann.
Immer noch sehe ich seine blauen Augen unter
den buschigen Brauen blitzen. Er war mit einer
schweren Fuhre unterwegs gen Basel. Da, am
zweiten Stich parierten ihm auf einmal seine
Rosse nicht mehr; keinen Strick zogen sie mehr
an. Und warum? Eine Katze sprang im Zickzack
über den Weg und die Tiere waren ganz ver-
gelsteret. Da holte der Jobek mit seiner Peitsche
mächtig aus und das Katzenvieh bekam wohl
seinen Teil ab. Von da an ging die Fahrt dann
ohne Hindernisse vonstatten. Und als der Fuhrmann
nach zwei Tagen zurückkam, sah. er auf
dem Walz'schen Hof eine Frau am Waschbockten
stehen mit einem arg verbundenen Kopf. ,So, du
Lueder, hani di verwitscht! Bisch du die Chatz,
die vermalefitzti, gsi. Gell, i ha e scharfe Zwick!"

„Denkst du noch an die Zigeunerhorde, die in
den siebziger Jahren die Gegend unsicher machte
? Zuerst kampierten sie auf den Altingermatten
. Ach, war das eine Landplage!"

„Ja, und dann lagerten sie auf den Wiesen, an
denen mein Weg als Heerstraße vorbeizog. Dreihundert
Mann stark war die Bande, ein wildes,
unbändiges Volk. Auf welche Art mochten sie
wohl zu den Schätzen gekommen sein, die ihr
Hauptmann barg? Manchmal meine ich, die flinken
Hufe des Rosses noch zu spüren, auf dem die
junge Zigeunerin splitternackt ins Dorf ritt, um
den Laib Brot zu holen, der ihr unter dieser
Bedingung versprochen war".

„Und was gab es noch Schönes? Dudelsackpfeifer
, Bärentreiber mit Tanzbär und possierlichen
Äffchen".

„Und Zirkusleute, die über den Dorf platz,
über mich, ihr Seil spannten und frohgemut
darüberwandelten, schwebten, als ob ihnen nirgends
eine Gefahr drohe!"

„Dann gab es auch wandernde Musikanten
mit Geigen oder Blasinstrumenten, Drehorgelmänner
, Und Bänkelsänger sangen ihre herzerweichenden
Moritaten. Alles, alles ist vorüber;
aus ist's mit der Romantik. Die Technik hat
gesiegt. Wer weiß, ob uns dieses Jahrhundert
nochmals Wunden schlägt, oder ob wir beide uns
an der Schwelle des Jahrtausends wieder über
Vergangenheit und Zukunft unterhalten. Wer
weiß es?" E.Jäger


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