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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-04/0013
Die Markgraf Schaft

11

Mit dem Frühlingswetter erwacht auch wieder
die Sehnsucht zum Reisen, und die ersten Überlegungen
, wo die Sommerferien zu verbringen
seien, werden angestellt. Die Inseratenteile von
Zeitungen und Zeitschriften machen verlockende
Angebote für alle möglichen Ferienreisen und
Ferienaufenthalte und verlangen monatelange
Vorausanmeldung. Bunte, vielversprechende Prospekte
kommen mit der Post ins Haus geflogen.
Aber alles kann mich nicht locken, mein Ferienziel
ist der Schwarzwald. Im vergangenen Sommer
kam ich nämlich zu der Erkenntnis, daß es
nirgendwo schöner sein könne. Und wie es zu
dieser letzt jährigen Schwarz waldreise kam, will
ich hier berichten.

Es stand fest, daß wir in Ferien fahren. Dieser
Entschluß — das hatte ich meiner Frau und mir
selbst geschworen — sollte unumstößlich sein.
Voll Selbstbewußtsein legte ich jeden Monats-
ersten fünfzig Mark in eine sogenannte Reisekasse
. Allerdings war ich ebenso in den letzten
Tagen jedes Monats gezwungen, die Hälfte dieses
Betrages wieder zu entnehmen, da der Lebensstandard
auf Null zu sinken drohte. Das hätte
vielleicht die Vorfreude auf die Reise vermindert,
und gerade sie war doch das Schönste, sie war
der eigentliche Genuß. Ich holte mir auf dem
Verkehrsbüro ein ganzes Paket von Prospekten.
Die meisten waren unentgeltlich zu erhalten, für
die übrigen gab ich gerne ein paar Mark aus.
Gute Karten von der Schweiz, von Italien und
Österreich wurden erstanden. Der Anschaffungswert
betrug zwölf Mark. Schließlich mußte ich
mich aber auch noch eingehend über die Sehenswürdigkeiten
dieser Länder orientieren. Also
hatte der Buchhändler nicht viel Mühe, je einen
Reiseführer für die Schweiz, für Österreich und
Italien an mich zu verkaufen. Es sind sehr gute
instruktive Werke mit eindrucksvollen Bildern,
für die ich den ansehnlichen Betrag von 45 Mark
auf den Ladentisch zählte. Alles was für die geplante
Reise erstanden wurde, ging natürlich auf
Konto Reisekasse. Ich griff immer wieder hinein,
als verwahre sie unerschöpfliche Mittel. Sprachführer
mußten noch her. Denn wie sollte ich mich
sonst in der französischen Schweiz oder in Italien
verständigen können? Ich lernte bis spät in die
Nacht. Dann las ich stets meiner Frau noch ganze
Abhandlungen vor aus der Geschichte und über
das Volkstum und Wirtschaftsleben unserer erträumten
Reiseländer, bis ich merkte, daß sie
schon lange schlief. Auch mit der Gastronomie,
den Spezialgerichten der einzelnen Gegenden
machte ich mich vertraut. In der welschen
Schweiz wollte ich das berühmte „Fondue*' bestellen
, eine Speise aus geschmolzenem Käse mit
allerlei Zutaten vermengt. Eine ,,Berner Platte"
und „Engadiner Nußtorte" schwebten mir vor.
Beim Studium der italienischen Sprache hatte ich
mir einen festen Wortschatz erarbeitet: „Spaghetti
, Macaroni, Ravioli, Risotta".

Gepäck wollten wir nicht viel mitnehmen, das
konnten wir unserem Motorrad Triumph 125
nicht zumuten. Also so wenig wie möglich. Doch

die Liste zeigte bald, daß wir einen kleinen
Möbelwagen bräuchten. Man mußte doch in
Bezug auf das Wetter mit allen Möglichkeiten
rechnen, was bedeutet, daß die Reisegarderobe
sowohl Badehose als auch Wintermantel einschließt
. Wir einigten uns, von den Damenkleidern
doch einiges zu streichen und kamen auf
den glänzenden Einfall, daß es Kleider sein müssen
, die man waschen kann, aber nicht zu bügeln
braucht. Das sind die idealen Reisekleider! Also
beschlossen wir, für meine Frau zwei Nylon-,
Perlon- oder Everglacekleider zu kaufen. Wir
fuhren in die Stadt. Nylon und Perlon war zum
Davonlaufen teuer. Wir kauften Everglace. Seither
merken wir, daß die halbe Welt Everglace
trägt. Da die Anschaffung ausgesprochen mit
Rücksicht auf die bevorstehende Reise erfolgte
und in einem anderen Kapitel des Haushaltsetats
nicht mehr unterzubringen war, griff ich erneut
in die Reisekasse. Triptiks und Visum waren
besorgt, sie schmälerten die angesammelten Gelder
um weitere zwanzig Mark. Nun war es so
weit. Am nächsten Morgen sollte die Fahrt beginnen
. Am Abend schüttete ich den kostbaren
Inhalt der Kassette auf den Tisch. 52,60 Mark
waren es — in Worten? Zweiundfünfzig Mark 60!
Wir zählten es zu zweit. Wir zählten es ein paarmal
. Dann gingen wir schlafen. Es waren immer
noch 52,60 Mark!

Am andern Morgen packten wir einen Teil
unserer Ferien-Reiseutensilien wieder aus. Wir
brauchten doch nicht so viel. , Ich steckte die
52,60 Mark ein. Die Sonne lachte. Das Motorrad
glänzte, daß sich die Landschaft darin spiegelte.
Und es ratterte und ratterte durchs schöne Wiesental
. Von Schöau aus machte es ihm warm bis
es die Höhe ob Bernau erreicht hatte. In Bernau
waren außer uns schon viele andere Feriengäste.
Ausnahmsweise bekamen wir trotzdem noch ein
nettes Zimmer, Betten mit mollig weichen Daunendecken
. Wir schlüpften gleich nach dem
Abendessen ins Bett und lasen in den Reiseführern
über die Schweiz und Italien. Ich hatte
vergessen, gerade sie daheim wieder auszupacken.
Als wir erwachten, regnete es. Alles war grau in
Grau. Das kann man in der Schweiz oder in
Italien auch nicht schöner haben. Am ersten
Morgen begrüßte ich meine Frau auf Französisch
: „Bonjour madame, avez-vous bien dormi?,
's rägnet dusse; 's isch am beschte mir bliibe im
Bett!"

Am zweiten Morgen schien die Sonne wieder
. War das eine Freude! Stolz auf meine
italienischen, mühsam erarbeiteten Sprachkenntnisse
rief ich: ,,0, Signora, chumm stand uf,
d'Sunne schiint. . . mir wai wandere!" Wir wanderten
durch die Wiesen an dem Bernauer Bächlein
entlang, das uns» vom Thomabild her so vertraut
war. Des Weg hörte plötzlich auf, führte
auf der anderen Seite des Baches weiter. Wir
setzten uns ans Ufer, mitten in rote Taglichtnelken
und gelbe Trollblumen. Das Wasser
sprang kichernd und übermütig an uns vorüber.
Wir überlegten wie wir weiterkämen. Ich zog


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