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Die Markgrafschaft
Nr. 6/1955 Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Sdiwarzwaldvereins 7. Jahrgang
Kebt auf f)ebel / m*™ &*-
Sie dürfen von mir keine allgemeine oder
spezielle Würdigung des dichterischen Werkes
von Johann Peter Hebel erwarten. Das ist eine
Aufgabe, eine schöne Aufgabe für einen Dichter
oder ein Auftrag, der einem Germanisten wohl
ansteht. Ich bin weder Dichter noch fachmännischer
Kritiker in der Welt der Dichtung, und was
ich in dieser Richtung hin sagen könnte, wäre das
unverbindliche Wort eines Liebhabers und Freundes
des Rheinischen Hausfreunds und der alemannischen
Gedichte. Nun war Johann Peter
Hebel nicht nur Dichter, sondern als Dichter zugleich
ein Mann der Kirche, zuerst freilich weniger
als Pfarrer, dann aber mehr als Pfarrer, nämlich
Prälat und in dieser Eigenschaft so etwas wie
der oberste Geistliche der jungen vereinigten
evangelisch - protestantischen Landeskirche und
daher in einer nicht alltäglichen Verantwortung
stehend. Und so möchte ich aus diesem mir fachlich
vertrauten Blickpunkt der Kirche her in
dieser Stunde auf Hebel etwas sagen dürfen. Wir
wollen ihm so begegnen, daß wir an ihn eine
etwas inquisitorische Frage richten, für die aber
Hebel als Schulmann und späteren Examinator
sicherlich Verständnis gehabt hätte — wir wollen
fragen: wie steht's mit deinem Christentum?
Über Hebels Stellung zur Kirche und zum
Christentum ist natürlich schon mancherlei Gutes
und Erhellendes gesagt worden. Es gibt kaum
eine Monographie oder einen Aufsatz über ihn,
der nicht Bezug nähme auf den seltsamen Tatbestand
, daß er eigentlich nie Pfarrer gewesen
ist, obgleich Laufbahn und innere Neigung ihn
für diese Aufgabe geradezu prädestinierten. Wir
lesen allenthalben von seinem, des Prälaten Anteil
am Werk der Union, das heißt der Vereinigung
der reformierten und lutherischen Konfessionspartei
in einer evangelischen Kirche; wir
hören Gutes über seine Toleranz und überkonfessionelle
Haltung; wir hören von seinem Beitrag
für den kirchlichen Unterricht durch Schaffung
einer biblischen Geschichte und eines Katechismus
. Aber hinsichtlich einer präzisen Erfassung
seines innersten Glaubens und seiner eigentlichen
religiösen Überzeugung liegt keine besondere
Arbeit vor. Hier sind wir, sofern uns diese Frage
überhaupt interessiert, auf das eigene Suchen
und Finden angewiesen. Eine wertvolle Hilfe
dafür sind die von Wilhelm Zentner 1939 herausgegebenen
Briefe Hebels.
Nun könnte man sagen: diese Hinweise genügen
, denn Hebels Bedeutung liegt im Dichterischen
und nicht im Theologischen. Wir haben von
Hebel keine die Welt bewegenden reformatorischen
Schriften; was vielmehr an theologischen
und religionsphilosophischen Schriften von ihm
vorliegt, zeigt zwar einen gediegenen theologischen
Schulsack, ist aber nicht so, daß wir darauf
besonders eingehen müssen. Das ist richtig. Es
ist sogar noch das Weitere richtig, daß nämlich
Johann Peter Hebels Frömmigkeit sich scheinbar
durchaus im Rahmen der kirchlichen Frömmigkeit
seiner Zeit bewegt. Hebel ist aufgewachsen
mit den Bewegungen der Aufklärung, welche
über die philosophischen Grenzen hinausstrebend,
auch Fäden in das Kleid der Frömmigkeit ihren
Teil hineinwirkte: der christliche Glaube wird
zur Moral, die Moral zu Humanitätsidealen, Gott
zum fabricator mundi, zum Schöpfer der Welt,
der die Welt nach ihrer Erschaffung ihren eigenen
Gesetzen überläßt. Was über die Wahrheit
Gottes zu finden und zu glauben ist, findet der
Mensch letztlich in sich! selbst. So hören wir denn
auch aus der 13. Frage seines Katechismus auf
die Frage „Wie gelangt der Mensch zur Erkenntnis
Gottes?" die Antwort: „Gott ist unsichtbar
dem menschlichen Auge; aber das Gemüt ahnet
und sucht ihn; es kann sich nicht zufrieden geben,
bis es seinen Gott gefunden hat. Die Vernunft
erkennt ihn aus sich selbst und seinen Werken
und Wirkungen. Die Heilige Schrift bestätigt
diese Erkenntnis auf die erfreulichste und befriedigendste
Weise". Mit anderen Worten: die
Quelle der letzten Wahrheit ist nicht das Wort
Gottes, das im Wort der Schrift auf uns zukommt,
sondern die Vernunft, das Gemüt, die Schöpfung
der Welt. Das ist Aufklärung, und es wäre ungeschichtlich
, zu leugnen, daß Johann Peter Hebels
Frömmigkeit Bestandteile dieser für uns überwundenen
Religiosität in sich aufgenommen
hatte.
Aber: es wäre völlig falsch, weil sachlich unzureichend
, Hebels Christentum nur in diesem
Rahmen und in dieser Schicht zu sehen. Die
eigentlichen und entscheidenden Elemente seiner
Frömmigkeit liegen tiefer und wo ganz anders,
als daß sie auf dem Wege dieses von der Aufklärung
her bestimmten Bildungschristentums
gefunden werden könnten. Im Gegenteil: wir
haben briefliche Äußerungen von Hebel, in denen
er sich gegen die wendet, welche Gott „vernünfteln
" und zu einem Paragraphen machen, und er
spricht mit Hochachtung von Jung Stilling und
davon, daß „eine Minute unter solchen Menschen
mich zum frommen gläubigen Kinde" umschafft,
das ,,alle hebräische und griechische Weisheit und
Torheit vergißt".
Wir müssen also schon tiefer schauen, um das
Urgestein seiner Frömmigkeit zu finden, und
wenn wir das tun, dann stoßen wir auf die Tatsache
, daß es die Frömmigkeit seiner Mutter
gewesen ist, die ihm entscheidende Glaubensinhalte
vermittelte. Wir kennen sicherlich die oft
herangezogene Stelle aus einer nicht gehaltenen
Predigt über Psalm 73 Vers 28: „Ich habe schon
im zweiten Jahr meines Lebens meinen Vater,
im dreizehnten meine Mutter verloren. Aber der
Segen ihrer Frömmigkeit hat mich nicht verlas-
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