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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1955-06/0007
Die Markgrafschaft

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leiter und Kritiker, der Herausgeber und* Schriftsteller
wurde durch seine Leitung des Deutschen
Schriftsteller-Verbandes vor immer neue schwierige
Aufgaben gestellt. Sein letztes Lebensjahr
— es war das sechsundvierzigste — brachte eine
schwere Erkrankung infolge von Überarbeitung.
Als ich ihn im Herbst 1919 in seinem geschmackvoll
erbauten und eingerichteten Hause zu Berlin-
Steglitz besuchte, fand ich ihn, kaum genesen,
bereits wieder in voller Arbeit. Die Spuren der
Krankheit waren noch unverwischt, aber bereits
nach wenigen Minuten hatte er im Gespräch die
alte Lebhaftigkeit, das alte Feuer wiedergewonnen
und begann von seinen Plänen zur sozialen
Sicherstellung der reproduzierenden Künstler und
zur Hebung der durch den Krieg arg gesunkenen
künstlerischen Kultur zu sprechen. So war der
letzte Eindruck, den ich von ihm empfing, ein
durchaus zu edler Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft
auffordernder.

Sein Tod wenige Wochen nach seinem 47. Geburtstag
bedeutete für die deutsche Kulturpolitik
einen Verlust, für den die deutsche Schriftstellerwelt
jener Tage kaum einen vollgültigen Ersatz
bieten konnte. Storck hatte sich ja im Lauf zweier
Jahrzehnte eine Position geschaffen, die eng und
innig an Eigenart und Wesen seiner Persönlichkeit
gebunden war.

Wir wollen heute nicht von ihm Abschied
nehmen, ohne ihn mit einigen Worten aus seinen
Veröffentlichungen zu uns sprechen zu lassen.

In seinem Buch „Musik - Politik" von 1911
erzählt er: ,,Ich habe das Glück gehabt, den
schönsten Teil meiner Jugend im schweizerischen
Bauernhause meiner Mutter verleben zu dürfen.
Das war ein rechtes Singehaus, hoch oben in den
vorderen Jurabergen. Abends, wenn man nach
dem Nachtessen sich noch auf der Bank vor dem
Haus ein Viertelstündchen ausruhte, fing immer
eine Sopranstimme ganz unvermittelt zu singen
an. Der Alt fand sich schnell dazu. Die Buben
hatten zwar erst behauptet, zu müde zu sein, aber
lange widerstand der Baß doch nicht, und nun
fielen auch die Tenöre schließlich ein. Von den
Nachbarhäusern kamen etliche herüber und
sangen mit. War man hier still, so klang's sicher
aus dem Unterdorf herauf, und durchs ganze
Bergdörfchen wallten so die Lieder auf und ab,
zeigten, daß, wenn Hände und Füße auch noch
so müde waren, die Herzen immer noch Gottes-
und Weltfreude genug besaßen, um Schönheit
lieben zu können!"

Storcks Ausführungen über die Notwendigkeit
der Musik im Gottesdienst legen für sein religiöses
Einfühlungsvermögen klares Zeugnis ab.
Musikfeste können den Gottesdienst nicht ersetzen
. Sie haben nach ihm nur Sinn, wenn sie
„Musikwerte großer Kunst Bevölkerungskreisen
und Landesteilen vermitteln, die sonst zu dieser
Musik nicht kommen, oder wenn sie Kunstwerke,
vor allen Dingen neueren Entstehens, zu Gehör
bringen, die unter gewohnten Verhältnissen nicht
auf Aufführung rechnen können".

Zu helfen und zu fördern, ist ihm stets Herzensanliegen
. So sagt er bei Behandlung der
sozialen Nöte im deutschen Musikleben: „Unsere

deutschen konzertierenden Künstler müßten es
als Ehrensache betrachten, Front zu machen
gegen ein System, das Not, Verzweiflung und
Elend über viele ihrer Berufsgenossen gebracht
hat, und sich einmütig zusammenschließen zu
einem Schutz- und Trutzbündnis gegen alle
Widerwärtigkeiten ihres Berufes. Die Gründung
einer Art Genossenschaft konzertierender Künstler
, verbunden mit einer Pensionsanstalt und
Zentralstelle für Engagementsvermittlung ist der
Weg, der zur Freiheit und zum Erfolg führt".

Im Vorwort zur 3. Auflage seiner „Geschichte
der Musik" von 1918 heißt es dann: „Ich bin nun
der Überzeugung, daß die wichtigste Pflegestätte
zur Erzielung einer gesunden Musikkultur das
Haus ist. Und darum wendet sich mein Buch vorwiegend
an das musikalische Haus. Allerdings
nicht an jenes Haus, in dem aus Langeweile oder
äußerlicher Prunksucht gesungen oder geklimpert
wird, nicht an jenes Haus, für dessen Art die
Salonmusik kennzeichnend ist". — „Ich möchte
doch erreichen, daß etwas von der Liebe, die
mich selber zu dem Gegenstande erfüllt, auf den
Leser übergeht. — Das hat den Ton des Ganzen
bestimmt".

Wir können jedoch sagen, daß Storcks gesamtes
schriftstellerisches Werk von diesem Wunsch
bestimmt ist. Dies allein schon macht seine Persönlichkeit
für uns liebenswert und erinnerungswürdig
. Kurt Engelbrecht

Keöe auf ficbel (Schluß von s. 2>

ihm wohl... — Aber er streckte mir den Kopf
mit einem so entsetzlichen Ausdruck des Wohlbehagens
entgegen, daß ich vor Grauen nimmer
länger in der Nähe bleiben konnte".

Erst aus diesen letzten Erschütterungen des
menschlichen Herzens heraus, aus der Not des
angefochtenen Herzens gewinnen die dichterischen
, menschlichen und religiösen Aussagen
Hebels echte Verbindlichkeit. Wo wir heute gerne
im Nihilismus und Skeptizismus reagieren oder
in einem Kollektiv Bergung suchen, vertraute er
einem verborgenen Sinngehalt der Dinge —
gerade angesichts ihrer Vergänglichkeit. Weil er
um das Ende der Dinge litt, war ihm die Gegenwart
, Heimat wie Menschen, so viel wert, daß er
sie mit letzter Hingabe und Liebe umgriff. Aber
das Herz, das sich im Wort dieser Heimat verschrieb
, wußte um den Schmerz des Abschieds.
Möge uns in einer solchen Stunde jene Haltung
und Hoffnung gegeben sein, der Johann Peter
Hebel in der Erzählung „Unverhofftes Wiedersehen
" Ausdruck verlieh: „Ich habe nur noch
wenig zu tun, und komme bald, und bald wird's
wieder Tag". Wer so schreiben konnte, ist Christ
gewesen, weil er um den Frieden wußte, den die
Welt und die Heimat nicht geben können.

Nur selten hat Johann Peter Hebel die Umgebung
in diese Tiefe schauen lassen. Vielleicht
meint er dies, wenn er in einem Brief einmal von
einem „Mysticismus" spricht, den jeder für sich
in sich tragen muß. Für uns ist, und damit kommen
wir zum Schluß, wesentlich, daß die Aus-


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