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Die Markgrafschaft
Wirkungen dieser Erfahrung der Fragwürdigkeit
aller irdischen Dinge und des Menschen die
sogenannte Humanität Hebels in ein völlig neues
Licht rückt. Hebel glaubte an den Menschen, an
das Gute im Menschen, nicht, weil er die Abgründe
menschlichen Wesens optimistisch übersehen
würde. Ich glaube, er wußte, wozu der
Mensch im Bösen fähig sein konnte, genau so,
wie er wußte, daß diese von ihm so geliebte und
besungene Welt nicht ewig und das Letzte ist.
Aber spricht es nicht aus vielen Zeilen und
Äußerungen, daß Hebels Menschenliebe gerade
darin alles andere als Schwärmerei ist, weil sie
ausgesagt wird angesichts der Fragwürdigkeit des
Menschen. Und hier hat Hebel die Bibel am
tiefsten verstanden. Nach der Botschaft des
Neuen Testamentes liebe Gott seine Welt, nicht
weil die Menschen gut sind, sondern gerade, weil
sie verlorene Söhne sind. Das Ziel seiner Liebe
ist, daß wir unsere Menschlichkeit wieder gewinnen
. Wie sollten wir anders dieser Gottestat
danken, als daß wir uns zur Menschlichkeit rufen
lassen. Und nichts anderes als ein Ruf zur
Menschlichkeit ist etwa die Geschichte vom
„Schneider in Pensa", und Hebel hat recht, wenn
er die Geschichte schließt mit den Worten: „Das
war das Götteskind Franz Anton Egelmeier,
Schneidermeister in Asien", die weil er alles verkaufte
, was er hatte, um es denen zu geben, die
als rechtlose Kriegsgefangene nicht mehr besaßen,
was den Menschen zum Menschen macht. Dieser
Anruf Hebels läßt die 130 Jahre, die zwischen
ihm und uns liegen, zusammenschrumpfen, und
es ist uns, als ob er jetzt zu uns sprechen würde:
redet nicht so viel von eurem und meinem Christentum
, sondern handelt! Was die Welt jetzt
braucht, sind nicht Worte, sondern die stille Tat
des Herzens.
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(Schluß)
In seiner Bittschrift vom 30. August 1771 an
den Markgrafen um Schutzaufnahme seines
Sohnes in Vögisheim, führte Abraham Weyll
weiter aus:
,, . . . Da das völlig an den österreichischen
Gränzen liegende Badenweilerische Dorf Opfingen
zum Vieh Handel besonders wohl situieret ist,
so machte ich mir um so größere Hoffnung zur
dasigen Schutz Annahme meines Sohnes, je deutlicher
ich in meinen unterthänigsten Vorstellungen
dargethan, daß dadurch weder dieser Gemeinde
die mindeste Beschwerung, noch auch
jemand anders als einig und allein denen
Breysacher Juden, welche den Vieh Handel in
denen Badenweilerischen niederen Vogteyen fast
alleinig betreiben, einiger Abbruch an der Nahrung
zugezogen werde.
Dieweilen aber ermeldte Gemeinde auf Anstiften
des Juden Vorstehers Joseph Meyers von
Müllheim, welcher diese Gnade lieber einem
seiner Angehörigen gönnete, allerhand aus einem
bloßen Vorurtheil entsproßten Einwendungen dagegen
gemacht, so hatte ich das betrübte Schicksal
, damit ebenfalls abgewiesen zu werden.
Es bliebe mir also nichts anderes übrig, als daß
ich und mein Sohn in Rücksicht auf obbelobte
gnädigste Zusicherung einen solchen von Sulzburg
abgelegenen Ort aussuchen mußten, worin-
nen wir einestheils durch unseren ehrlichen
Handel uns bereits bekannt und so beliebt gemacht
, daß wir von diesen Inwohnern keine
Hindernisse gegen meines Sohnes Aufnahme
besorgen dörften, und allwo andern Theils mein
Sohn seinen Gottesdienst in einer nicht zu weit
entfernten Jüdischen Synagoge abzuwarten Gelegenheit
erlangete.
Dieses ist das theils zum Oberamt Röttlen und
theils zur Herrschaft Badenweiler gehörige Dörflein
Vögisheim, wohin ich also mein letzteres
Gesuch um so zuversichtlicher gerichtet, da ich
versichert war, daß von Seiten der dortigen
Gemeinde, ohnerachtet der mir äußerst aufsäßige
Müllheimer Juden Vorsteher und dessen
Anhang sich alle ersinnliche Mühe gegeben,
selbige gegen mich widerwärtig zu machen, nicht
die geringste Einwendung dagegen vorgetragen
werden würde.
Je weniger ich solchennach an dessen gnädigsten
Willfahr kraft ofterwehnten Hochfürstl.
Decreti zu zweiflen Ursache hatte, desto kränkender
war es vor mich und die meinigen, da wir
wider alles best gegründete Verhoffen vernehmen
mußten, daß Euer Hochfürstl. Durchlaucht
auch auf dieses Gesuch, vermuthlich aus Veranlassung
der von gedachtem Müllheimer Juden
darwieder eingereichten Vorstellung eine abschlägliche
Resolution ertheilen lassen.
So gewiß aber Euer Hochfürstl. Durchlaucht
denen Sulzburger Schutz Juden, welche dero
Gnade durch übles Verhalten sich nicht unwürdig
gemacht, gleiche Hochfürstl. Milde und Vorsorge
wie denen Müllheimer Juden, allwo von verschiedenen
Familien zwey bis drey Brüder den
Schutz erlanget, schenken werden, so getrost verhoffe
ich auch, daß Höchstdieselben mein und
der meinigen bejammernswürdige Bedrängnis in
gnädigste Beherzigung ziehen, und mich also in
meiner flehentlichsten Bitte um den Schutz vor
meinen 2ten Sohn in Vögisheim um so weniger
unerhöret lassen werden, je dreister ich zu behaupten
mir getraue, daß alles dasjenige, was
der Müllheimer Juden Vorsteher zu Behinderung
meines Gesuchs vorzutragen sich erkühnet,
nicht aus einer ihme obliegenden Vorsorge vor
die ihme untergebene dasige Schutz Juden, als
unter welchen nur allein dessen Befreundte von
seiner Nahmens der ganzen Judenschaft gegen
mich eingesandten Bittschrift Wissenschaft gehabt
, sondern einig und allein aus mißgünstigen
Absichten, und der Besorgnis entsproßten, daß
mein Sohn nach erlangtem Schutz in Vögisheim
ihme und seinen reichen Angehörigen in dem
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