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Die Markgrafschaft
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Seltene Geburtstagsfeier
Am 21. Juni feierte Frau Sybille
Zeller, geb. Imgraben, in Britzingen
ihren 100. Geburtstag. Es war
dies ein Ereignis, das nicht nur
der Gemeinde Britzingen Anlaß
gab, sich mitzufreuen und mitzufeiern
, sondern auch in anderen
Orten des Markgräflerlandes ein
frohes Echo weckte.
Ein hundertster Geburtstag ist
ja schließlich auch keine Alltäglichkeit
.
Schon einige Tage vorher hatte
ich das Geburtstagskind besucht.
Ein feingeschnittenes Gesicht, umrahmt
vom Schmuck ihres Silberhaares
und durch das leuchtende
Blau der Augen besonders lebendig
, lachte mir aus den Kissen
entgegen.
Als ich sie bat, mir etwas aus
ihrem Leben zu erzählen, da
meinte sie: „I ha halt all gschafft, un bi der
Arbet sin die Jöhrli grutscht un i bi alt worde.
Als Siebemonet - Chind bini gebore, un 's het
niemes denkt, aß ich emol hundert wird. Der
Dokter scho gar nit; denn er het zue de Eitere
gsait, si werde mi nit lang bhalte dörfe, i sei
halt arg schwach un chlei. Aber so goht's meng-
mol mit dene Prophete!"
1869 wurde sie konfirmiert, und nach der
Schulentlassung mußte sie in der elterlichen
Landwirtschaft fleißig mithelfen. 1882 verheiratete
sie sich mit Ernst Friedrich Zeller. Über
fünfzig Jahre war sie ihm eine treue Lebensgefährtin
. 1934 wurde ihr Mann ihr durch den
Tod genommen. Sieben Kinder, 13 Enkel und
15 Urenkel sind ihr geschenkt worden, und alle
umsorgt sie mit mütterlicher Liebe. Sie selbst
verlor die Mutter mit 15 Jahren und hat diesen
Verlust in ihrem späteren Leben manchmal
bitter gespürt.
Von den Ereignissen in der Welt draußen
weiß sie nicht mehr viel. Der Krieg 1866 und
auch der 1870/7ler Krieg sind ihr aber noch im
Gedächtnis. Auch an das Friedensfest 1871 kann
sich die Greisin noch gut erinnern. Damals hätten
die Schulkinder in der „Krone" ein Glas Wein
bekommen und auch Wurst und Weißbrötchen
seien an die Kinder verteilt worden.
Die beiden Weltkriege sind ihr natürlich
ebenfalls eindrücklich geblieben.
Wie bescheiden früher gelebt werden mußte,
sei an nachstehenden Zahlen klargemacht: Eine
Taglöhnerin bekam in den Siebziger- und Achtzigerjahren
pro Tag 40 Pfennig, ein Taglöhner
70 bis 80 Pfennig. Ein Viertel Britzinger kostete
damals 18 Pfennig, ein Pfund Fleisch 60 bis 80
Pfennig. Die meisten Leute, sagte die Greisin,
konnten sich nur am Sonntag die Fleischzugabe
leisten. Auch habe man in ihrer Jugend die
Frucht noch mit der Sichel geschnitten, und den
täglichen Wasserbedarf holten die Frauen am
Fiau Sybille Zeller mit ihrer Urenkelin
Foto: Chr. Frenzel, Müllheim
Dorfbrunnen und trugen ihre Last auf dem Kopf
auf einer sogenannten „Chrätze" heim.
Noch mit 94 Jahren ging Frau Zeller täglich
in die Reben oder auf den!, Acker, und hat oft mit
wenigen Stückchen Würfelzucker in der Tasche
den ganzen Tag bei schwerer Arbeit ausgehalten.
Als echte Markgräflerin trinkt sie natürlich auch
heute noch ihr ,,Schöppli Wii" und will diese
köstliche Gabe unseres Herrgotts nie missen.
„E Rusch", sagte sie, „hani no kein gha, aber
der Wii schmeckt mer all no!" Und wir gönnen
ihr dies Verlangen von ganzem Herzen.
Als die Blattfallkrankheit das erstemal in
ihren Reben auftrat, hat Frau Zeller in ihrer
energischen Art die befallenen Weinstöcke
kurzerhand abgehauen, bis sie dann später eines
besseren belehrt wurde.
Wie gesund ihre körperliche Konstitution ist,
sei an nachstehendem Beispiel erläutert: Mit
95 Jahren brach sich Frau Zeller einen Oberschenkel
. Dieser, für einen jungen Menschen
schon sehr schwere Bruch, heilte bei Frau Zeller
ohne „Nagel" wieder zusammen. Ihre heitere
Art, der gute Britzinger und nicht zuletzt ihr
Gottvertrauen, haben die greise Patientin wieder
auf beide Beine gestellt.
Noch heute hört man sie fast täglich singen,
und manches Lied aus ihrem Gesangbuch weiß
sie auswendig aufzusagen, ein Zeichen dafür, daß
sie dieses geistige Gut in der Jugend fleißig gesammelt
hat. Nun wird es ihr in ihrem Alter zu
einer Quelle innerer Freude und Kraft.
An ihrem Geburtstag durfte die Jubilarin sowohl
von den Britzingern wie auch von ihren
Angehörigen viel Aufmerksamkeit und Liebe
erfahren. Von überallher waren sie gekommen,
und die geräumige Bauernstube konnte die vielen
Gäste kaum fassen. Und als dann am Abend
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