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Die Markgrafschaft
f)anö ^ TW)om a ^ Kantate
Franz Philipp, der bedeutende in Freiburg lebende
Komponist, kann am 24. August seinen 65. Geburtstag
/feiern. Dem alemannischen Kulturraum eng
verbunden, ist Franz Philipp für uns eine jener
ragenden Gestalten geworden, die als Mensch und
Künstler (Bewunderung und Hochachtung verdienen
. Unsere Zeitschrift will mit dem folgenden
Beitrag einen Hinweis auf diese Künstlerpersönlichkeit
geben, die uns in einer Zeit der Täuschungen
und der Atrappen echtes Brot zu reichen
berufen ist. D. R.
Ein in sich geschlossenes, vollendetes, aus
Seelentiefen einer bedeutenden Schöpferpersönlichkeit
mit zwingender Notwendigkeit erwachsenes
Kunstwerk erleben, heißt nichts anderes,
als eines jener Wunder erfahren, die heute leider
sehr selten geworden sind. Es zwingt nicht nur
zur Bewunderung, sondern vor allem zum Dank,
daß dergleichen in Zeiten der Zerrissenheit, ja
der offenbaren Kürstierfreude am Schildern dieser
unserer seelischen Zerrissenheit überhaupt
noch möglich ist.
Das war es, was ich nach der Aufführung der
Hans-Thoma-Kantate, des großen symphonischen
Chorwerkes von Franz Philipp in dessen Heimatstadt
Freiburg, und nach dem ersten Bekanntwerden
mit diesem weltanschaulich weitbogigen,
fast alle musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten
für seelisches Erleben meisterlich nutzenden
Oratorium zunächst empfand.
Als ich vor genau drei Jahrzehnten mit den
schlicht besinnlichen, nur von innerer Schau des
reifsten Alters zeugenden Gedichten des schon
lange innig verehrten Malers vertraut werden
durfte — er selber hatte mir auf eine Buchsendung
sein Gedichtbändchen „Die zwischen
Zeit und Ewigkeit unsicher flatternde Seele''
zugehen lassen ^— ja, da hätte ich nach dem
Erlebnis all der Wirrsale des ersten Weltkrieges
und der Inflationszeit nie geglaubt, daß diese
Gedichte der tiefen Stille und des zu innerst
Beunruhigt- und Erschüttertseins jemals Anstoß
und Anregung zu einer großen und überzeugenden
musikalischen Konzeption geben könnten.
Jetzt aber erlebte ich hier, daß es geschehen sei;
und man wird mich verstehen, wenn mir dies
fast wie ein Wunder erschien.
Nachdem es mir nun vergönnt war, den
Schöpfer des Oratoriums, das nur seine Bescheidenheit
eine Kantate nennt, persönlich kennen
zu lernen, begreife ich, wie das unmöglich Scheinende
Tat werden konnte, ja mußte. Aus der
Persönlichkeit des Meisters Philipp spricht nicht
nur der liebenswerte deutsche Musikprofessor,
nicht nur der sein Fach beherrschende Könner
und Gestalter, sondern auch der Seelenverwandte
des unvergeßlichen Malerdichters.
Dem Lebensalter nach gehören beide Meister
zwei ganz verschiedenen Generationen an. Als
sich 1920 mit der ersten Vertonung eines Gedichtes
von Thoma der Freundschaftsbund zwischen
Maler und Musiker schloß, stand jener im
81., dieser im 30. Lebensjahre. Aber beide gehörten
dem gleichen Reiche jener Geister an, für die
das Zeitliche und Zeitbestimmte nur dann Wichtigkeit
und Bedeutung hat, wenn es der Ewigkeit
verpflichtet ist und im Anschauen des
Ewigen betrachtet und erfaßt werden kann.
Die Dichtungen von Hans Thoma sind durchhaucht
und getragen von tief innerlicher, echter,
allem äußerlichen Schein abholder Frömmigkeit.
Es ist in ihnen ein Klang, der an Meister Eckehart
gemahnt. Der diese Verse von der unsicher
zwischen Zeit und Ewigkeit flatternden Seele
schrieb, war wie Meister Eckehart ein nach der
Gnade des Gott-Aufgeschlossenseins Suchender
und Trachtender. Gerade dies aber ließ in dem
dreißigjährigen Musiker, der sich einer vollen
Beherrschung aller Mittel seiner Kunst bewußt
geworden war, den Akkord naher geistiger Zugehörigkeit
und Verwandtschaft erklingen. Des
großen, weitberühmten Landsmannes schlichte
Verse gingen ihm nach und ließen ihn nicht
mehr los. Kein Wunder, daß sie ihn, nachdem er
dem 1924 Gestorbenen die Totenfeier musikalisch
unvergeßlich gestalten konnte, von Jahr zu
Jahr immer dringlicher zu musikalischer Entäußerung
in ganz großer Form nötigten. Das
Ergebnis ist die symphonische Kantate „Zwischen
Zeit und Ewigkeit", die vor drei Jahren in
Aachen uraufgeführt wurde. Sie gibt unüberhör-
bares Zeugnis von hingebender, auch letzte Tiefen
ausschöpfender Versenkung in die Gedanken-
und Gefühlswelt des großen Künstlers, der auch
als Maler stets ein Dichter war.
Der textliche Aufbau der Kantate hat seine
eigene Geschichte. Irgendwie hatte man erfahren,
daß der Komponist in seiner tiefen Ergriffenheit
von den Versen des Malers beabsichtige, diese
einem größeren symphonischen Chorwerk zu
Grunde zu legen, als ihm auch schon von verschiedenen
Persönlichkeiten, die dem Maler nahe
gestanden hatten, so von Hermann Eris Busse,
von Josef August Beringer, dem Thoma - Biographen
, wie von Kurt Karl Eberlein und anderen
Texte zugingen, die aus zum Teil noch nicht
einmal veröffentlichten Gedichten Hans Thomas
zusammengestellt waren. Aber die Musik, die in
einer beseelten Persönlichkeit lebt, wahrhaft
lebt, ist ein eigenwillig Ding. Keine von den
Textgestaltungen, die ihm unterbreitet wurden,
wollte dem Musiker für das, was ihm als Tondichter
und Symphoniker vorschwebte, brauchbar
erscheinen. Den inneren Stimmen lauschend,
die wie aus der Ewigkeit her vom toten Freunde
zu ihm drangen, dabei nur seiner Kunst gehorchend
, schuf er sich aus den Thoma'schen Versen
seinen eigenen Text. Nur so konnte es ja dann
dem Komponisten, der sich mehr und mehr zu
einer Künstlerpersönlichkeit von ganz eigenem
Gepräge entwickelt hatte, gelingen, ein Werk zu
gestalten, bei dem das gesungene Wort des
Chores und der Solisten der musikalisch-symphonischen
Ausdeutung nicht nur gleichwertig, sondern
auch völlig entsprechend ist. •
Ein dreiteiliger Aufbau schien sich dem
Symphoniker fast von selbst zu ergeben. Die
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