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Die Markgrafschaft
Nr. 8/1955
Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Schwarzwaldvereins
7. Jahrgang
,? Wüllen an btt Voff
Ein Grußwort an das zweite Markgräfler Weinfest
Wenn in den ersten Septembertagen in Müllheim
das zweite Markgräfler Weinfest veranstaltet
wird und daran die Markgräfler Winzer aus
über sechzig Gemeinden teilnehmen, Zehntausende
Besucher aus dem In- und Ausland erwartet
werden und in verschiedener Weise und auf
verschiedenen Veranstaltungen das Lob des
Weines verkündet wird, dann dürfen die Hebelfreunde
nicht abseits stehen. Zwar ist die wichtigste
Aufgabe dieses Festes die Werbung für
den Wein, der als Gutedel, als Silvaner und
Traminer, als Ruländer und Riesling auf den
Rebhügeln am Oberrhein gebaut wird. Dies ist
ein wirtschaftliches Anliegen, für das wir nicht
gerade zuständig sind. Aber dies ist nur die eine
Seite. Die andere Seite ist die mit diesem Fest
verbundene Begegnung des Markgräfler Volkes,
das für vier Tage einmal aufgerufen ist, in einer
großen Festgemeinschaft zu feiern. Und dazu
dürfen wir Hebelfreunde ein herzliches Grußwort
geben. Denn dieser Begegnung, bei der sich
Stadt und Land, jung und alt, Winzer und Handwerker
, Geschäftsleute und Beamte, groß und
klein treffen, kommt doch auch eine menschliche
Bedeutung zu, und es kann bei der Huldigung an
den flüssigen Sonnenschein gar nicht anders sein,
als daß man diese! Begegnung in einer beschwingten
, in einer aufgeschlossenen Weise vollziehen
wird.
Das aber ist, so will uns scheinen, eine bedeutsame
Seite des Festes. Hier kann dem
Städter wieder einmal bewußt werden, welche
Mühe und Arbeit aufgewendet werden müssen,
bis der Wein in seinem Glase funkeln und duften
kann. Er braucht nur die Gesichter der alten
Winzer einmal betrachten. Wieviele Fältchen
wird er darin finden, die in einem Leben voller
Sorge um sein so vielen Unbilden ausgesetztes
Tagewerk in den Reben entstanden sind. Wieviele
Enttäuschungen haben eine tiefe Falte in
das Winzergesicht gegraben! Da werden die Erinnerungen
an böse Frostnächte wach, die in
wenigen Stunden die Ernte vernichtet haben. Da
darf man wieder einmal an die schweren Hagelwetter
denken, die großen Schaden angerichtet
haben; an so mancherlei Schädlinge, die zu bekämpfen
viel Geld und viel Arbeit kostet; an die
großen, alle Kräfte anspannende Aufgabe der
Neuanlagen; an den ganzen Kampf um die wirtschaftliche
Existenz der Winzerfamilie, die mit
allen Gliedern jahraus jahrein schafft und werkt
und dabei nicht auf Rosen gebettet ist.
Wir freuen uns über eine Besonderheit dieses
Festes, wie wir sie im letzten Jahre in Efringen-
Kirchen schon beobachtet haben: über die Ehrung
der über achtzig Jahre alten Winzer. Dies scheint
uns eine sehr lobenswerte Tat. Wir könnten uns
gut vorstellen, daß Johann Peter Hebel darauf
gerne anstoßen würde! Wenn sich im Weinbau
ebenso wie in den anderen Zweigen der Landwirtschaft
manches geändert hat durch den Fortschritt
der Wissenschaft und der Technik, und
wenn der Existenzkampf der Winzer diese zwingt
zu neuen, anderen Methoden der Arbeit im Rebberg
und im Keller, dann sollte man nie vergessen
, daß auf die Erfahrungen der Alten nicht
verzichtet werden kann. Wir meinen dabei nicht
nur die handwerkliche Erfahrung des Standes,
sondern auch die Lebenserfahrung, die ein Mann
in über einetn halben Jahrhundert in der Werk-,
statt des Herrgotts gemacht hat, wo er gelernt
hat, im aufgeschlagenen Buch der Natur über
Vergängliches und Bleibendes zu lesen, wo er
spürte, wie da einer tiefer wurzelt, wenn ihm
felsiger Grund wehrt, wie da einer, wenn es
hart auf hart geht, nur mit eben diesen tiefen
Wurzeln bestehen kann; und, nicht zuletzt, wo er
anerkannt hat, daß ohne die Hand dessen, der
Herr ist über alles, alles umsonst ist. Diese Anerkennung
hat der alte Winzer mit den vielen
Falten im Gesicht und dem gebeugten Rücken
vollzogen. Und damit hat er den ungeschriebenen
, aber auch unverlierbaren Meister-Brief
erworben. Hut ab vor ihm!
Deshalb scheint uns das Programm des Heimatabends
am 3. September gut zu sein. Denn
wer die Ehrfurcht übt, darf sich um so freier
dem freundlichen Glanz des Bechers hingeben.
Musik und Wein, der volle Becher und das Lied
gehören zusammen. Und wenn beim Müllheimer
Weinfest mit dem Heimatabend begonnen wird,
dann hat dies nicht nur zufällige Bedeutung.
Wer weiß, wie sehr die Verwurzelung im Heimatboden
die erste Voraussetzung für die stete
schwere Arbeit in den Reben ist, der wird wohl
kaum von Sentimentalität sprechen, wenn wir
meinen, daß die Pflege des Heimatgefühls, heimatlichen
Brauchtums, der Muttersprache, der
dörflichen Gemeinschaft nicht weniger wichtig
ist als die Pflege im Rebberg und im Keller. Es
wäre der Anfang vom Ende, wenn nur noch das
zählen sollte, was man zusammenrechnen kann
mit der Addiermaschine. Mit einiger Sorge
beobachten wir, wie von der Technik her Dinge
gefördert werden, die schwerwiegende Eingriffe
in Gewachsenes bedeuten. Wir sind nicht berechtigt
, als Fachleute hier zu sprechen. Aber wir
dürfen als Heimatzeitschrift doch davor warnen,
durch rücksichtsloses Verfechten des Nützlichkeitsstandpunktes
bestimmte Funktionen der
Natur gründlich mißzuverstehen und damit erst
recht Schaden anzurichten. Diese Überlegungen
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