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Die Markgrafschaft
Nr. 9/1955
Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Schwarzwaldvereins
7. Jahrgang
über aller. Hadjt ift Hiebt
Würde ich gefragt, welches Kunstwerk am
Oberrhein, geschaffen in der Zeit nach dem großen
Zusammenbruch, am tiefsten und wahr-
haftigsten die Seelenhaltung des deutschen Menschen
in dieser Notzeit widerspiegeln würde,
müßte ich ein Werk von Franz Philipp nennen:
op. 80 „Uber aller Nacht ist Licht", Motette in
drei Sätzen nach Gedichten von Emil Gött. Es
ist in Ausgaben für Männerchor und gemischten
Chor im Verlag von Anton Böhm & Sohn in
Augsburg erschienen.
Und noch einmal gefragt, was ich für das
Bedeutungsvollste hielte, das zur Wiederbelebung
des Vermächtnisses von Emil Gött unternommen
worden sei, müßte ich wieder auf dieses
Werk hinweisen. Es wurde neulich bei der Emil-
Gött-Gedenkfeier in Jechtingen mit Recht darüber
geklagt, daß der Dichter so kläglich in Vergessenheit
geraten sei. Das war richtig* wenn
man damit die träge Masse der öffentlichen Meinung
im Auge hat; das war aber falsch, insofern
man der Gött-Motette von Franz Philipp nicht
gedachte! Seit wir dies Werk besitzen, muß die
Klage verstummen, Gött sei nicht mehr lebendig
unter uns.
Gewiß, alle Versuche, die heute hie und da
unternommen werden, Gött zu popularisieren,
haben fehlgeschlagen und werden dies immer
tun, denn Gött ist ein Dichteraristokrat, dessen
geistiger Standort auf der Höhe zwischen
Nietzsche und Tolstoi liegt. Bei Gött kann es
immer nur heißen: „Hinauf und empor!" Er wird
immer nur Menschen ansprechen, die den Willen
zur Elite haben. Daß dies nun nicht in esoterischer
Weise geschieht, sondern aus dem besten
volkhaften Wesen heraus, das ist die Geistesmacht
, die aus Philipps Vertonung klingt.
Man kann aus Text und Musik dieser Motette
in einer besonderen Art die Frage beantworten:
Was ist alemannischer Geist? Man hat die bisher
gültige Formel so ausschließlich unter dem Blick
auf Hebel gesehen, daß eine Erweiterung sicher
nicht uninteressant und unwichtig ist. Schließlich
wird jedes Zeitalter immer wieder neu zur Stellungnahme
aufgerufen.
Das erste Gedicht „Das walte Gott!" bringt
zunächst ein altvertrautes Wesensmotiv der
demütigen'Bescheidung unter den Willen Gottes.
Es ist die Haltung eines Menschen, der vom
Schicksal niedergeschlagen wurde, aber sich in
diesem Fall darauf besinnt, welch ein Gewinn in
diesem Verlust liegen könne. Und mit unbeugsamer
Zuversicht lenkt er sein Lebensschiff
weiter hinaus auf den Ozean, und wäre es zu
neuem Schiffbruch! Er bittet um Wind ins Segel,
gesteigert um Sturm, ja um Feuer! Und wieder
•mündet diese heroische Haltung ein auf das Ausgangsmotiv
, und das Gedicht endet mit der Bitte
an den „dunklen Gott", er möge treu am Steuer,
bleiben. Es ist ersichtlich, daß der alemannische
Geist sich hier in einer neuen Schau offenbart,
' und wir glauben, in einer zeitgemäßeren, wie sie
das gigantische Schicksal der Gegenwart fordert.
Die Zeiten idyllischer Sekurität sind vorüber.
„Feierlich, voll und energisch bewegt", das
sind die Anmerkungen, die der Komponist für
die Ausführung dieser Motette gibt. Die Musik
stellt noch eindringlicher als der Text eine
Polarität dar, hier die majestätische Größe Gottes
, dort die leidenschaftliche Selbstbehauptung
menschlichen Kämpfertums. Eine kleine persönliche
Note des Komponisten bedeutet der Schluß
mit einem * „Amen", wie es keimhaft in dem
Reimwort „Namen" wohl vorgeahnt sein konnte.
Die chromatische Sprache des Mittelsatzes wird
damit unter den mächtigen Wölbungsbogen der
Andacht gebändigt und beruhigt.
Die zweite Motette „Schwer ist die Last" läßt
die Gestalt des großen Einsiedlers von der Leinhalde
lebendig werden, der selber einmal von
seinem Werk gesagt hat, es sei ein zähes Ringen
zu Zähringen am Berg gewesen. Ausweglosigkeit
und Todesmütigkeit erfüllen hier die Zeilen, und
es herrscht nur noch die Sehnsucht danach, erlöst
und befreit sagen zu dürfen: Es ist vollbracht
! Und während die Erde weiter ihren Gang
geht, das Leben weiter pulst, wirr und schrill,
breitet sich um den heimgegangenen Dulder die
große Stille des Todes.
In diesem Gedicht lebt der Geist von Hebels
„Vergänglichkeit" auf, und wir kennen diesen
Wesenszug in der Landschaft der Totentänze,
Passionsbilder und Vesperdarstellungen als wesentlich
alemannisch. Neu ist hier nur wieder
»
die gestaltete Polarität von Lebenswille und
Todesstille, und daß hier die Musik eines Philipp
die höchsten Gestaltungsmöglichkeiten beseelter
Ausdruckskunst findet, ist dem Kenner seiner
Art nicht verwunderlich.
Nach diesen leidenschaftlichen Vorspielen ist
es nicht zu erwarten, daß der Schluß in gemüthafte
Bescheidung ausklingen kann. Schon der
Text mit den freien Rhythmen bei Gött „Über
allen Wolken bist du, o Sonne!, der ja die Grabschrift
des Dichters bildet, ist ein Triumphgesang
, und das Einswerden mit der Sonnenewigkeit
, wo bei Gött noch elementares Heidentum
aufklingt, hat bei Philipp sich zu österlichem
Auferstehungsjubel christlichen Empfindens verklärt
, ohne daß dadurch das pantheistische Allgefühl
des Textes zerstört wurde.
Was ist nun alemannischer Geist in dieser
Sicht? Wir möchten sagen: religiöse Durchdringung
der gesamten Lebenshaltung! Gottes-
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