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Die Markgrafschaft
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fiel. Aufatmend öffnete die Dol-
dengundel ein Fenster, so als ob
sie etwas Bedrückendes hinauslassen
müsse. Sie sah den Müller
zornig den Weg hinaufschreiteri.
Doch so ganz wohl war es ihr
nicht.
Die nächsten Wochen und Monate
brachten indessen nichts
Absonderliches, was Frau Gundula
Anlaß zu größerer Unruhe
gegeben hätte. Zwar hörte sie,
daß der Neuenfelser öffentlich
erklärt habe, er werde sein Eigentum
auch gegen den Willen des
Markgrafen und des Burgvogtes
holen. Daran werde ihn niemand
hindern, denn er fürchte den
Teufel nicht, geschweige denn
irgend einen Menschen.
Vom Müller hörte sie nichts.
Nur war der häufig abwesend.
Hielt er sich aber einmal kurze
Zeit im Tale auf, so steckte er
droben auf dem Neuenfels bei dem wilden Burgherrn
. Etwas anderes aber berührte die klug
beobachtende Frau schon seltsamer: die Talbewohner
kehrten seltener im „Dolden" ein und
mieden die Wirtin auch, wenn sie über die
Straße schritt, um da und dort nach ihren Fel-
Auf der Herbstweide
Foto: Ida Preusch-Müller
dern und Wiesen zu sehen. Das bekümmerte die
Wirtin natürlich; da sie sich aber keiner Schuld
bewußt war, wirtschaftete sie ruhig weiter in
der Hoffnung, diese Verstimmung unter den
Leuten würde sich von allein wieder einrenken.
(Schluß folgt.)
Wltim Olkoßmuttet:
Gekannt habe ich sie nicht, und doch lebt sie
in meinem Gedächtnis. Ihre Photographie steckt
im Familienalbum mit der hellbraunen Lederdecke
, in welcher kunstvolle Ornamente eingeprägt
sind. Sie ist groß und schlank und trägt
ein längsgestreiftes, graues Seidenkleid. Darüber
liegt die schwarze Seidenschürze reich gefältelt
und ein duftiges schwarzes Spitzenhalstuch. Die
Markgräflerkappe ist schmäler wie die heutigen,
mit ganz kurzen seitlichen Fransen. Am rechten
Zeigefinger steckt der breite Goldring mit den
schiefen Viereckchen und den wie feine Perlchen
ziselierten Rändern. Das ovale Goldplättchen
darauf ist mit roten und blauen emaillierten
Blümchen geschmückt. Schmal scheint ihr Gesicht
mit der hohen Stirne, über welcher das
blonde Haar glatt gescheitelt, über die Ohren
leicht eingedreht, liegt. Klug und wissend
schauen ihre braunen Augen, und unsere
Näherin, welche meinen Vater als junges Mädchen
hüten mußte, erzählte mir oft, daß sie so
respektvoll gewirkt habe, daß jeder Handwerks-
bursche vor ihr den Hut zog., Auch daß damals
ihre Altersgefährtinnen lächelten, als sie mit
dem viel jüngeren Bauernsohn ging. Aber sie
hätten sich so gut verstanden und wahrhaft
geliebt, daß das Gerede bald verstummt sei, als
sie sahen, daß es den beiden ernst war mit dem
Heiraten.
Ihre Mutter stammte aus dem Grampp'schen
Geschlecht und deren Vater war der Stabschirurg
, Geburtshelfer und Obertierarzt Christian
Dietrich Grampp, der am 11. 5. 1772 in Feldberg
geboren wurde und später in Müllheim wirkte,
wo er am 13.4. 1836 starb. Seine Großtochter
Minna geb. Kallmann, welche die Patin meines
Vaters war, heiratete hier den Mühlen- und Hofbesitzer
Frick. Die Ferientage, die ich als Kind
bei ihr verleben durfte, zählen zu meinen schönsten
Kindheitserinnerungen.
Die Großmutter meiner Großmutter war die
Tochter des Chirurgen Riegger aus Niederweiler.
Von ihr und der Mutter hatte meine Großmutter
die feinen Handarbeiten gelernt. Die vielen
Paare weißer Baumwollstrümpfe waren jedes
Paar mit einem anderen breiten Rand kunstvoller
Strickmustern verziert, die Namenszeichen
aber waren jeweils in einer anderen Farbe mit
feinen Glasperlchen eingestrickt.
Meine Großmutter heiratete in erster Ehe den
Bauernsohn Jakob Hollenweger, dessen Geschwister
früh gestorben waren bis auf seinen Bruder
Friedrich, der ledig blieb. Sie hatten einen schönen
Besitz. Aber auch Jakob erkrankte; trotz der
sorgfältigen Pflege durch die Großmutter und
dem Bemühen der Ärzte, starb er nach längerer
Krankheit. Die Ehe war kinderlos geblieben, und
so fiel ein Teil des Vermögens an Friedrich zurück
, der nun als reichster Bauer im Dorfe galt.
Mit Hilfe einer treuen Wirtschafterin führte er
den großen Betrieb weiter, der vorbildlich war.
Er war ein strenger Herr, aber klug und weit-
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