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Die Markgrafschaft
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In leisem Gespräch blieben wir beisammen,
bis ich fort mußte, um den letzten Zug noch zu
erreichen.
Es war der Franzosenzug, der bis Neuenburg
fuhr und in den letzten zwei Wagen deutsche
Fahrgäste mitnehmen durfte. Hell strahlten
seine Fenster, und die beschlagenen Scheiben
ließen eine behagliche Wärme vermuten. Unsere
zwei letzten Wagen waren aber ohne Licht und
Heizung. Man konnte nicht erkennen, wer neben
einem saß. Wie so oft, hatte der Zug Verspätung
und kam auch diesmal erst in Müllheim an, als
das Bähnchen nach der Stadt schon weg war.
Traurig und durchfroren ging ich als Letzte
heimzu. Ich sann über so vieles nach und der
einsame Weg war länger als sonst. Aber ich
durfte diesen schweren Gedanken nicht nachgeben
und gab mir einen Ruck. Jetzt erst sah
ich den wunderbaren Nachthimmel. Stern an
Stern funkelte dort oben am großen Weihnachtsbaum
, der allen Menschen in dieser Nacht
leuchtete.
Da erfüllte mich ein großes Glück, daß ich
einem einsamen Kranken ein wenig Weihnachtsfreude
hatte geben können mit einem kleinen
Lied. Als ich dann daheim in meiner einsamen
Stube meine drei Lichtlein anzündete, spielte ich
die drei Weihnachtslieder noch einmal für mich
allein. So viel Trost und Ruhe hatte mir nie
vorher ein Weihnachtslied gegeben.
Jda Preusch-Müller
•... unb bzn Wenfdjen ein flöot)lgefallen
Man schrieb den 24. Dezember 1922.
In dem kleinen Haus draußen vor dem Dorf,
der Landstraße zu, war stille Betriebsamkeit.
Soeben hatte die Mutter aus dem verschneiten
Garten das Tannenbäumchen hereingeholt, um es
in der hinteren Stube für den Abend zu richten.
Die vier Kinder, drei Mädchen und ein Bub,
hantierten in der Küche und hörten sich gegenseitig
die Verse ab, die sie am Abeijd bei der
Bescherung als Überraschung für die Eltern vortragen
wollten. Immer wieder aber verstummte
der laute Vortrag, und das große Rätsel der
Bescherung beschäftigte die kindlichen Gemüter.
Jedes hatte ja seine Wünsche und Hoffnungen.
Das kleine Plappermäulchen, das Elslein, wußte
schon mit Bestimmtheit, daß ihm das Christkind
ein0 neue Puppe bringen würde, auch ein schönes
Bettchen und eine Küche hatte es für sein
Puppenkind gewünscht und verteidigte ihr
Wunschrecht mit der ganzen Energie ihrer
sechsjährigen Persönlichkeit.
Die älteren Geschwister waren bescheidener
in ihren Wünschen. Sie wußten schon etwas
von der Not der Zeit, wußten, daß man für
das tägliche Brot allein Hunderttausende ausgeben
mußte, und der Verdienst des Vaters kaum
für die notdürftigsten Erfordernisse des Lebens
ausreichte. Mit jedem Tag verlor das Geld mehr
an Wert, konnte man dafür weniger kaufen. Der
Otto hatte schon längst seine Schlittschuhe auf
der Wunschliste gestrichen und Helene und Anna
wären mit warmen Strümpfen und einer neuen,
bunten Schürze einverstanden gewesen.
Draußen peitschte der eiskalte Wind mit
heftigen Stößen die alten Pappeln am Ufer des
Baches und trieb den feinen glitzernden Schnee
durch alle Ritzen an Fenstern und Türen. Mit
Riesenkräften schüttelte er an den Läden und
legte an die Straßenränder hohe Schneewehen. Er
blies in die Schornsteine und jagte den Rauch
mit lautem Heulen über die Dächer.
Es war Abend geworden. Der Wind hatte
nachgelassen, und die Lichter des Himmels legten
ihren milden Glanz auf eine stillgewordene
Erde. Heller Schein fiel auch aus den Fenstern
der Häuser, und die sonst um diese Zeit noch
belebten Straßen und Plätze lagen verlassen.
Auch in dem kleinen Häuschen draußen am
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die guten iDülens find
Dorfrand hatte die Mutter das Licht angezündet
und im Ofen der Stube knisterte ein lustiges
Feuer.
„Wo mag sich wohl der Vater heute verspätet
haben?" sagte bekümmert die Mutter zu der
Tochter Helene. „Es wird ihm doch nichts zugestoßen
sein!" Schnell nahm sie einen warmen
Schal von der Ofenstange und schritt hinaus in
den Garten vor dem Haus, um nach dem Vermißten
Ausschau zu halten. Keine Menschenseele
schien heute abend unterwegs zu sein;
auch vom Vater war nichts zu sehen. Schon
läuteten die Glocken der Dorfkirche den Heiligen
Abend ein, und auch das Geläute des Nachbardorfes
war deutlich zu hören.
Friede auf Erden! jubelten die Glocken und
füllten Täler und Hügel mit ihrem weihnachts-
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