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Die Markgrafschaft
Dieser letzte Gottesdienst des Jahres stand stets
im Zeichen des Liedes „Nun laßt uns gehn und
treten". Die Gemeinde sang alle vierzehn Strophen
. Einmal hatten wir einen neuen Organisten,
der das nicht für möglich hielt. Er hörte auf zu
spielen, als acht Strophen gesungen waren. Da
sangen wir ohne Orgel weiter. In späteren Jahren
hat er alle Strophen mitgespielt. Wenn wir
aus der Kirche kamen, schlug es Mitternacht und v
das Läuten begann, und der Glockenton mischte
sich mit dem Blasen der Posaunen auf dem
Kirchturm: „Nun danket alle Gott".
Aus „Weihnachtliches Hausbuch". Johannes Stauda - Verlag, Kassel.
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Eine fröhliche Wintererinner ung an Kandern / Von Ida Preusch - Müller
Was gibt es im Winter schöneres für1 ein Kind,
als in sausender Fahrt die heimatlichen Hänge
hinunter zu rodeln auf seinem eigenen Schlitten.
Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich auch
einen so kleinen eigenen Schlitten gehabt hätte.
Aber nur Vaters alte Rehgeiß, ein hoher Bock,
der auf der einen Längsseite eine eiserne Lehne
hatte, stand auf unserem Speicher zu meiner Verfügung
. Als kleines Kind hatten sie mich darauf
gesetzt, festgebunden und im Schnee spazierengefahren
; dazu war er geeignet. Aber zum
richtigen schütteln? Was nützte es, wenn ihn
Vater schön grün gestrichen und mit weißen
und roten Linien seine Konturen betont hatte?
Was half es, wenn die beiden Kufen vorn ganz
hoch zusammenliefen zu einem schlanken Knopf,
wie bei einem richtigen Kutscherschlitten? Der
Sitz war in Stuhlhöhe und so lang, daß drei
nebeneinander sitzen konnten. Die lange Seitenlehne
erlaubte kein Sitzen rittlings; man konnte
nur beide Beine nach einer Seite hängen und das
hohe Biest bockte vornüber beim bergabfahren.
Schlimmer noch war das Ausgelachtwerden von
den Kameraden, weil er aussah wie Hintermüllers
„Schaarebank" (char ä banc).
So kann sich der Leser ein Bild machen von
den Winternöten des kleinen Mädels. Vater war
in dieser Hinsicht ganz stur und seine Pietät in
punkto Schlitten grenzenlos. Ich bin auch darauf
gefahren, sagte er nur. Mutters Reden half nichts,
und ich war deshalb auf die Bereitschaft meiner
Kameraden angewiesen, mich hintendrauf mitfahren
zu lassen. Daß ich dafür manchen Aufsatz
und manche Rechenaufgabe bei mir abschreiben
lassen mußte, versteht sich von selbst, und es
schien mir recht und billig, auch mal vorne drauf
sitzen und „wiise" zu dürfen.
Viele Schlittenbahnen hatten wir vor fünfzig
und mehr Jahren im Städtchen selbst. Welche
Gefahr sollte uns drohen, wenn sie auf die
Nebenstraßen oder gar auf die Hauptstraße
mündeten? Kein Auto machte die Straße unsicher
, und bei Schneewetter fuhren keine
Bauernwagen. Höchstens ein Mehl- oder Bierwagen
, dessen schweres Gespann sich von weitem
durch das Klingeln der Kummetglöckchen
ankündete. Oder ein Holzschlitten, vom Wälder
her, der knirschend und läutend einmal „dr
durfür" fuhr.
Vom Kapellenrain, auf welchem die katholische
Kirche steht, sausten wir am Gottesacker
herunter, fielen bei der starken Kurve am Forst-
garten ab und zu in den Schnee, rappelten uns
hoch und fuhren in sanfterem Schwung durch
die Ochsengasse bis auf die Hauptstraße.
Am Schwanenbergle, wo damals der Ladenanbau
des Ernst Berner noch nicht stand, fuhren
die Kleineren in Reihen hinunter, um über die
Straße hinüber auf dem Blumenplatz zu landen.
Das Schwanenbergle hatte seinen Namen vom
längst nicht mehr bestehenden Gasthaus zum
Schwanen, der einmal im jetzigen Hause des
Blechnermeisters Lerner war.
Der fröhliche Betrieb der Jugend machte auch
manche ältere und zum Teil sehr gewichtige
Frau „glustig", und so wählten sich diese Jahrgänge
den abhäldigen Marktplatz zur Rodelbahn.
In den Abendstunden, die durch die Straßenlampen
gerade so hell waren, daß man den Weg
sah, hörte man das fröhliche Lachen und Kreischen
der plötzlich wieder jung gewordenen.
Natürlich gesellten wir Backfische, die in der
Nähe wohnten, uns auch dazu. Ich hatte mit vierzehn
Jahren endlich den ersehnten Davoser
bekommen und konnte mich nun frei bewegen
und mich damit sehen lassen.
Die Reviere der Außenstädtler waren die
Straße vom Käppelebuck zum Bierdepot hinunter
und die Steiggasse, von der Villa Stein bis
zur Hammersteinstraße.
Die Hinterstädtler fuhren in der Feuerbacherstraße
bis gegen die Minderkanderbrücke; die
Oberstädtler hatten die „Wolfhüüli" für ihren
Gebrauch. Diese Bahn lief ins Specke Hof aus.
Für uns Unterstädtler waren die schönsten
Bahnen aber der „Bibeli", vom Wald an der
Villa Bindschedler herunter bis zu Jennys
Brücke und die „Deckimatt" vom Heuberg hinunter
bis in die damals erst im Anfang bebaute
Waldeckstraße. Diese Schlittenbahn war die
breiteste und steilste von allen und darum die
schönste. Weit im Städtchen hörte man den Ruf
„Baahn!", wenn wir am Waldrand oben abfuhren.
Manchem Obstbaum mußte man aber ausweichen,
und bei dieser Gelegenheit passierte mir einmal
ein Mißgeschick. Ich sollte in den Wesereisaal
zur Probe des Singspiels „Das Rosel vom
Schwarzwald", das der Gesangverein an seinem
zweiten Winterkonzert aufführen wollte. Ich war
Trägerin der Titelrolle. Die Hedwig aus der
Weserei war mit beim Rodeln und wir wollten
miteinander von der Bahn gehen. Ich wartete in
der Straße unten auf sie und versuchte dabei
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