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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-01/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 1/1956

Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Schwarzwaldvereins

8.Jahrgang

lftidjtö alö Me lödjrtge Tflatte?

Wir haben am Jahreswechsel eine Reihe von
Botschaften gehört, von Politikern, Geistlichen,
Künstlern, von Berufenen und Unberufenen.
Manche waren zuversichtlich, andere anklagend,
andere fordernd. Wir haben auch in einer Zuschrift
das Zitat eines japanischen Dichters gelesen
, und dieses Zitat hat uns in seiner Hoffnungslosigkeit
angerührt; mehr als von manchem
anderen, das wir von prominenter Seite hörten,
wurden wir betroffen von der Bilanz, die dieser
japanische Haiku-Dichter des 17. Jahrhunderts an
einem Jahresende gezogen hat und die er so
formulierte:

„Viele Pläne hatt' ich gesponnen
doch das Jahr ist zu Ende
und wieder hab' ich nichts als
die löchrige Matte".

Betroffen sind wir nicht
so sehr von der materiellen
Resignation des japanischen
Dichters, der vermutlich
nicht mit irdischen Gütern
gesegnet war. Das soll auch
im Jahre 1955 nach Christus
vielen seiner bundesrepublikanischen
Kollegen
ähnlich ergangen sein, wenn
bei uns auch anstelle der
löchrigen Matte das karg
möblierte und schwach geheizte
Zimmer des Poeten
zu setzen wären. Aber was
uns anrührt, ist das andere,
das hier in diesem japanischen
Vers auch vorzüglich

gemeint ist: nämlich die geistige Not desjenigen,
dem das Schicksal die Erfüllung in seinem Werk
zumindest sehr erschwert, so daß er bei der
Bilanz von Resignation befallen wird.

Die Problematik, die hier aufgezeigt wird, ist
zeitlos. Aber es will uns scheinen, daß sie unserer
Zeit in einem ganz besonderen Maße aufgegeben
ist. Wie vielen Bemühungen von Politikern, Erziehern
, Künstlern und von vielen anderen, die
irgendwie im öffentlichen Leben tätig sind, blieb
auch im vergangenen Jahr der letzte Erfolg versagt
, wie viele aufopferungsvolle Tätigkeit ist
uns allen in den Händen zerronnen; wie viele
Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, und wie
viele gute Hoffnungen — wir wollen die törichten
unter ihnen ganz ausscheiden — werden auch
am Ende des Jahres 1956 wiederum nicht in Erfüllung
gegangen sein! Aber steht diesem zu
erwartenden Ergebnis nicht auch ein anderes
Resultat gegenüber? Und bleibt uns am Ende
nicht doch mehr als die „löchrige Matte"? Wir
glauben, diese Frage stellen, heißt sie bejahen,

weil sonst nämlich an ein Dasein überhaupt nicht
mehr zu denken wäre. Viele von denen, die da
guten Willens sind, hätten Grund zur Resignation
. Zu dieser aber darf es um der Welt willen
nicht kommen. Wenn wir die Bilanz ziehen, dann
wiegt doch wohl auch eine jener kleinen Hilfen,
die wir einem Mühseligen und Beladenen zukommen
ließen, schwer; und auch auf die Gefahr
hin, daß man uns sentimental schilt, sei es gesagt,
daß wir der Überzeugung sind, daß jedes gute
Wort, das da auf einem zerfurchten Gesicht ein
Lächeln hervorruft, sein gutes Gewicht hat. Und

vor allem sei eines gesagt:
daß das Große oft in einer
stillen Bescheidenheit geschieht
. Verständlich, daß
dabei nicht die große Zahl
in der Bilanz erscheint.

GOCTHC

Gezeichnet von Rudolf Warnecke

Aber wir dürfen nicht
übersehen, daß die Welt
von dieser stillen Größe
lebt, von diesem Brot, dessen
Name wäre: einfache
Pflichterfüllung, die tägliche
Mühsal, der fortdauernde
Mut, den beschwerlichen
Weg der Gerechtigkeit und
des Friedens zu gehen.

Würde uns dieses Brot
genommen werden und
würde man uns an seiner
Stelle das versteinerte Brot
einer entseelten und entstellten
Welt reichen, dann
hätten wir wahrhaftig nichts
als die „löchrige Matte", auf der zu ruhen bitter
und trostlos wäre.

Unsere Situation scheint mehr denn je dazu
angetan zu sein, uns zu überzeugen, daß die
Hoffnung auf Erfüllung allerdings nur berechtigt
ist, wenn wir die geistige Fundierung des Daseins
erkennen. Dies aber setzt wiederum den
Glauben an eine göttliche Ordnung voraus. „Um
die Gültigkeit dieses Glaubens zu erproben", so
schreibt Violet Markham in „The Listner" vom
28. 5. 1953, „gibt es nur ein Mittel, nämlich ihn
in der Praxis zu betätigen. Da wird sich zeigen,
ob er unserem Leben ein größeres Maß von
Richtung, Glück und heiterer Gelassenheit zu
geben vermag oder nicht. Das Leben ist ein von
Geheimnissen umwittertes Abenteuer, und es
gibt Zeiten, wo der eingeschlagene Pfad dunkel
erscheint und die Richtung ungewiß. Aber
schließlich und endlich ist es doch ein wohl
bereiteter Pfad, und weise und erhabene Geister
haben ihre Spuren hinterlassen, um denen, die
folgen werden, Licht und Geleit zu geben".


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