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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-01/0006
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Die Markgrafschaft

alten Bergmanns- und Juristengeschlecht aus
thüringisch - sächsischer Gegend. Seine Jugend
war hart. Früh verloren er und seine beiden
Brüder die Mutter. An ihre Stelle trat bald eine
sehr sanfte, liebe Pflegemutter, die übergroße
Strenge des Vaters mildernd. Als Vierjähriger
ging er mit dem älteren Bruder zur Schule und
überflügelte alsbald seine Klassenkameraden. Im
Gymnasium in Halle, welches einen besonderen
Ruf hatte, gab er bereits als Sextaner Nachhilfestunden
. Aus eigener Kraft studierte er schließlich
Germanistik und Geschichte, machte dann
den Feldzug 1870/71 mit. Als er aus dem Krieg
heimkehrte, fand er die Mutter und den jüngeren
Bruder allein vor. Der Vater und der ältere Bruder
waren gestorben. Um dem jüngeren Bruder
das Studium der Chemie zu ermöglichen, ging er
als Hauslehrer einer russischen Adelsfamilie zwischen
1871 und 1877 nach Rußland. Dort hatte
er es sehr gut. Neben einer hohen Bezahlung
stand ihm ein persönlicher Diener zur Verfügung
. Gleichzeitig wurde er Mitarbeiter an der
Deutschen Petersburger Zeitung. Das Angebot,
schließlich ständiger Mitarbeiter zu werden, schlug
er aus, es zog ihn wieder nach der Heimat zurück
. In Marburg beendete er dann das eigene
Studium * und wurde Gymnasiumslehrer in Frankfurt
a. M. und in Mühlhausen in Thüringen.

Mit seinem jüngeren Bruder, welcher als
Chemiker Assistent im Laboratorium bei Professor
Mitscherlich in Freiburg war, gründete er die
erste Sulfitzellulosefabrik der Welt in Zell im
Wiesental. War vorher Papier aus teurer Lumpenfaser
hergestellt worden, so gewannen jetzt
die Wälder durch die Herstellung des Papiers aus
billiger Holzfaser beträchtlich an Wert. Nachdem
die Zellulose als Rohstoff bei den Papierfabriken,
vor allem auch in Frankreich, gut eingeführt
worden war, studierte Rudolph Vogel, bereits
Vater von sechs Kindern, aus Liebhaberei Medizin
in Freiburg im Breisgau und gründete dort
eine Studentenverbindung, in welcher mit ihm
zusammen ein mittelloser Student auf seine
Kosten studierte. Rudolph Vogel war bei Beginn
dieses Studiums mit 38 Jahren der älteste Student
an der Universität in Freiburg.

1892 baute er an einem herrlich gelegenen
Flecken in Oberweiler ein kleines Sanatorium.
Als die Familie in ihr neues Heim einzog, sang
die Jugend von Oberweiler das Lied dazu: ,,Alle
Vögel sind schon da". Aber bald war der „Her-
geloffene" doch heimisch. Noch mancher erinnert
sich des großen beleibten Mannes, der mit leicht
gebeugter Haltung und nach innen gerichtetem
Blick der blauen Augen, die Hände auf dem
Rücken, seinen Spaziergang durch Wald und
Feld unserer Heimat machte, von dem er mit der
Idee zu einem neuen Märchen zurückkehrte,
welches er bis tief in die Nacht hinein in einem
Zuge niederschrieb. Öfters wurde er gebeten,
diese vor Vereinen, Schulen sowie auch dem
großherzoglichen Hof vorzulesen. Einige Märchen
fanden auch Aufnahme in die Lesebücher der
Schulen.

Hatte ihn die Tätigkeit für seine Fabrik oft
weite Reisen in Frankreich und nach Paris

machen lassen, so ließ ihm die gemütliche
Lebensweise vor dem ersten Weltkrieg Muse,
mit seiner Frau verschiedene längere Vergnü-
gungs- und Erholungsreisen nach Italien zu machen
. Venedig, Genua, Florenz, Rom, Capri erfüllten
seine Seele mit dem Zauber des Südens
und der antiken Kultur. Auf einer Schiffahrt von
Genua nach Neapel freute er sich sehr, die
schlauen, geschäftstüchtigen Italiener enttäuschen
zu können. Das ausführliche, viele Gänge enthaltende
, sehr teure Menü, welches vorbezahlt
werden mußte, wurde nämlich klugerweise erst
aufgetragen, als das Schiff sich auf hoher See
befand und stark in den Wellen schaukelte. So
mußten die Fahrgäste aus den bei einer Seefahrt
so wohlbekannten Gründen von der Tafel verschwinden
und auf die köstliche teure Mahlzeit
verzichten. Zuletzt saßen Rudolph Vogel und
seine Frau als einzige nicht seekranke Passagiere
mit dem Kapitän, der wohl auch noch auf das
Krankwerden dieser beiden letzten Gäste gehofft
hatte, bei Tisch. Und die Italiener mußten wenigstens
für sie das ganze Essen auftragen.

Diese Reisen und seine Tätigkeit als Reichstagsabgeordneter
für den Kreis Rinteln-Hofgeismar
in Oberhessen unterbrachen seinen Aufenthalt
in Freiburg und später in Badenweiler
immer wieder und gaben neue Anregung. Viele
interessante Persönlichkeiten lernte er als Abgeordneter
kennen, welche dann oft ihren Sommerurlaub
in seinem Haus verbrachten. Darunter der
Kunstmaler Liebermann, Paul Liemann, Chefredakteur
der ,,Leipziger Neuesten Nachrichten",
Graf Ludwig Reventlow und andere kamen mit
ihren Familien.

Gerade zu jener Zeit, als Graf Reventlow im
Sanatorium als Kurgast weilte, trug es sich zu,
daß einige junge Burschen aus dem Dorf Gelüste
auf den Wein im Doktorhause hatten. Um diese
zu befriedigen, stiegen sie bei Dunkelheit in den
Keller. Man mochte im Hause einigen Spektakel
vernommen haben, jedenfalls eilte der Hausherr
in den Keller, begleitet von dem Grafen. Dort
fand er einen der Übeltäter hinter einem Faß
versteckt, griff ihn und verschlug ihm mit seiner
Bärenkraft gehörig die hintere Front. Der Graf
hielt ihm hierzu das Licht, machte trockene
Späße und amüsierte sich sehr über diese Abreibung
. Drei Tage lag der Missetäter dann im
Bett, bis er wieder laufen konnte, und die Eltern
des hoffnungsvollen Jünglings bedankten sich
sehr, weil ihnen dieser „blaue Denkzettel" lieber
war als ein von der Polizei geschriebener.

Mit dem Großherzog stand Rudolph Vogel in
einem freundlichen Verhältnis. Oft sahen sie sich
auf Spazierwegen und meist wurde er von dem
Fürsten angesprochen. Einst, als Rudolph Vogel
mit seiner Familie im Wald spazieren ging, kam

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