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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-01/0007
Die Markgrafschaft

5

ein Hund um die Ecke, der allem Anschein nach
Abkömmling aus allerlei Rassen war. Temperamentvoll
, wie er war, rief Rudolph Vogel laut
aus: „Na, was ist denn das für ein scheußlicher
Straßenköter!" Da bog das großherzogliche Paar
um die Ecke. Trotzdem es diese Bemerkung
gehört haben mußte, grüßte es freundlich
lächelnd und ging mit seinem Hund weiter.

Als großer Weinkenner wußte Rudolph Vogel
den Markgräflerwein wohl zu schätzen und besang
ihn in vielen Liedern. Am Stammtisch war
er eine gern gesehene Persönlichkeit. Sein
rastloses Weiterstudieren, sein überragender
Intellekt, sein weitgedehnter Interessenkreis, sein
Eingehen auf die Interessen der anderen, vermittelten
ihm bei seinem besonderen Gedächtnis
ein universales Wissen und machte ihn zu einem
anregenden Gesellschafter, der auf alle Fragen
zu antworten wußte. Er war eine Respektsperson
und Herrschernatur, welcher eine Distanz von
Mensch zu Mensch angeboren war, doch war er
von tiefem Gemüt und großer Feinfühligkeit.
Sein weiches Herz, sein Wissen um die Not, das
ihm aus dem Erleben der eigenen Jugendzeit und
aus seiner Arbeit als Arzt kam, erwarb ihm das
Vertrauen seiner Mitbürger in kummervoller
Zeit. Hilfsbereitschaft war ihm oberstes Gebot,
nicht nur bei Patienten oder Studenten. So half
er auch zahlreichen Bauern in aller Stille von
den sie bedrängenden Gläubigern. Hilfsbereitschaft
ist auch der Leitfaden, der durch alle seine
Märchen geht. Er hatte einen idealistischen Glauben
und ein Vertrauen an das Gute im Menschen,
er war eine phantasievolle Künstlernatur.

Als ein gewissenhafter und besorgter Arzt
stand er seinen Patienten väterlich gegenüber.
Gerne vertrauten sie ihm ihren Kummer an,
und er wußte sie in herzlicher Weise seelisch
gut zu beeinflussen. Doch öfters mußte er auch
Strenge walten lassen, namentlich als zur Zeit
des ersten Weltkrieges lungenkranke Patienten
von der Reichsversicherung in sein Haus kamen.
Diese Lungenkranke fügen sich oft sehr schwer
in die notwendigen Verbote. Mit viel Vergnügen
erzählt man sich in Oberweiler, welche Kämpfe
der Doktor ausfocht, um der Vorliebe mancher
dieser Patienten für den verbotenen guten
Markgräflerwein entgegenzutreten. Böse Ahnungen
ließen ihn öfters das nahe gelegene Gasthaus
besuchen, um nachzusehen, ob Patienten sich dort
verbotenen Gelüsten hingaben. Doch der Wirt,
der jedenfalls nicht von der Schädlichkeit des
Wein- und Tabakgenusses für die Patienten überzeugt
war, paßte scharf auf. Sobald die ärztliche
Autorität in Sicht kam, sperrte er die Patienten
in die Küche, wo sie fröhlich weiter trinken und
rauchen konnten. Der Arzt trank in der Gaststube
sein Viertele und die unfolgsamen Patienten
konnten sich durch die Hintertüre retten.
Wehe aber, werm dies mißglückte, dann wurden
die Nichteinsichtigen, die sich der gebotenen Anordnung
nicht fügten, mit einem fürchterlichen
Donnerwetter sofort in ihre Heimat entlassen.
Auch in die anderen Gasthäuser, ja, bis nach
Schweighof, tat er zu diesem Zweck manchen
Gang.

Auch innerhalb seiner Familie war Rudolph
Erasmus Vogel eine unbedingte Respektsperson.
Die eigenen sieben Kinder und später die Enkel
konnten von ihm durch ein einziges Wort zum
Gehorsam gebracht werden. Entstanden Meinungsverschiedenheiten
, so war er stets der unangefochtene
Schiedsrichter, auch bei seinen
Schwiegerkindern. Die kleinen Kinder mochte er
besonders gern, und es war rührend, wenn er
etwa der Einladung seiner Töchterchen zum
Puppenkaffee Folge leistete. Mit ernsthafter
Miene nahm er die winzigen Geschirrchen iri
seine große Hand und aß von den zusammengebrauten
„Appetitlichkeiten" und lobte sie. Gern
saß er mitten in dem tosenden und jubelnden
Lärm seiner Kinderschar, zu der sich oft noch

Markgräflers Weinlied

Mag, wer will, Tokayer nippen,
Kosen mit der veuve Cliquot,
Oder mit, verwöhnten Lippen
Schlürfen köstlichen Bordeaux;
Laben mag an solchen Sorten
Sich der Herr Finanzbaron:
Dich nur preis' ich aller Orten,
Meines Landes echten Sohn!

Blut von unserm Blut — geboren
In der Heimat schönem Land,
Treu von uns gepflegt, gegoren
In der heim'schen Sonne Brand:
Sei gegrüßt mir, Wein der Weine,
Edler Traube laut'rer Saft,
Du, der eine — feine — reine
Wein der schönen Markgrafschaft!

Rudolph E. Vogel

fremde Kinder gesellten, still mit seinem Buch
beschäftigt. Lüge und Klatsch waren bei ihm
streng verpönt. Sein ganzes Streben war, seine
Kinder zu tüchtigen Menschen zu machen, alles
Schmutzige von ihrer Seele fern zu halten und
dem Reinen, Schönen und Edlen zu erschließen.

Auf sein Äußeres hielt er nicht viel, und es
hatte Not, ihn zu einer neuen Hose oder einem
neuen Hut zu bringen. Seine Spaziergänge
unternahm er stets ohne Mantel und Schirm,
auch im kältesten Winter. Rudolph Vogel hatte
eine eiserne Gesundheit. Erst im hohen Alter
trug er einen Havelok.

In den letzten Jahren lebte er zurückgezogen.
Er unterhielt sich gerne stundenlang über
Philosophie und wissenschaftliche Fragen mit
seinem ältesten Sohn, zu welchem er in einem
freundschaftlichen Verhältnis stand.

Bis zu seinem Tod war er geistig völlig rüstig.
Das Wissen, welches er als Arzt um sein nahendes
Ende hatte, machte ihn in der letzten Zeit oft
melancholisch. Gerne hätte er seine Familie über
seinen Tod hinaus versorgt. Dies gehörte zu den
Gedanken, als der Tod sein irdisches Leben in
ein ewiges wandelte. Ein buntes, reiches und
doch besinnliches Leben war dahingegangen, als
1923 der unermüdlich Tätige auf Oberweilers
Friedhof seine Ruhestätte fand. Luise Honold


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