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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-04/0003
Die Markgrafschaft

Nr, 4/1956 Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Sdiwarzwaldvereins 8. Jahrgang

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Versuch einer Deutung von Max Dufner-Greif

In den Paralipomena zum west-östlichen Divan
hat Goethe als Schlußpunkt folgenden geheimnisvollen
Satz geschrieben:

„Und in Alamannen-Mundart
Auch den Perser überbieten".

Mitten im „Carnaval" op. 9 von Robert Schumann
stehen seltsam und scheinbar nicht minder
unergründlich einige Pfundnoten, deren Sinn uns
genau so dunkel bliebe, wenn wir nicht aus den
Briefen und Aufzeichnungen des Tonsetzers wüßten
, daß diese sogenannten „Sphinxes" ASCH
bedeuten, also den Ort eines Liebesbundes mit
Ernestine von Fricken.

Wir suchen aber bei Goethe vergebens nach
einem Hinweis, der uns eine Deutung des obigen
Fragments zur vollkommenen Klarheit erheben
würde, und es erfordert viel behutsame Vorsicht,
wenn wir nun unsererseits den Versuch einer
Sinngebung unternehmen.

Es ist wohl erlaubt, dabei an der Stelle anzuknüpfen
, wo Goethe sich über die alemannische
Mundart geäußert hat, und das ist jene berühmte
Rezension, die er 1804 in der „Jenaischen allgemeinen
Literaturzeitung44 über die zweite Auflage
der bei Macklot in Karlsruhe erschienenen „Alemannischen
Gedichte" (für Freunde ländlicher
Natur und Sitten) von J. P. Hebel veröffentlicht
hat. Obwohl es nichts schaden würde, gelegentlich
einmal den gesamten Wortlaut wieder in
Erinnerung zu bringen, so genügt es für unseren
Deutungsversuch, daß wir uns auf die Zentralstelle
beschränken. Sie lautet:

„Wenn antike oder andere durch plastischen
Kunstgeschmack gebildete Dichter das sogenannte
Leblose durch idealische Figuren beleben, und
höhere, göttergleiche Naturen, als Nymphen,
Dryaden und Hamadryaden, an die Stelle der
Felsen, Quellen, Bäume setzen, so verwandelt der
Verfasser diese Naturgegenstände zu Landleuten,
uncl verbauert, auf die naivste, anmutigste Weise,
durchaus das Universum, so daß die Landschaft,
in der man denn doch den Landmann immer
erblickt, mit ihm in unserer erhöhten und erheiterten
Phantasie nur eins auszumachen scheint".

Zu diesem Urteil Goethes über die Wesen-
haftigkeit Hebels setzen wir eine Briefstelle in
Verbindung, die dieser am 6. April 1809 an Hitzig
geschrieben hat. Sie lautet:

„Wenn die theol. Gesellschaft noch bestünde,
so hätte ich ihr diesmal einen Aufsatz über den
Polytheismus geschrieben. Ich gestehe Dir —
denn eine Beichte unter Freunden ist so heilig,
als die am Altar, daß es mir immer mehr einleuchtet
, und nur die Gefangenschaft, oder Vormundschaft
, in welcher uns der angetaufte und

anerzogene und angepredigte Glauben behält,
hinderte mich bisher, den seligen Göttern Kirchlein
zu bauen. Unser dermaliger philosophischer
Gott steht, fürchte ich, auf einem schwachen
Grund, nämlich auf einem Paragraphen, und seine
Verehrer sind vielleicht die törichtesten Götzendiener
, denn sie beten eine Definition an, und
zwar eine selbstgemachte. Ihr Gott bleibt ewig
ein Abstraktum und wird nie kongret. — Als
mari zur Zeit der Bibel nur ein paar Kubikklafter
vom Weltall kannte, war es keine Kunst, sich mit
Einem Gotte zu begnügen, und ihn menschlich zu
lieben, weil man ihn menschlich denken konnte.
Und doch konnte selbst der sanktionierte Monotheismus
nur mit Zwang und nie mit Glück den
Götterglauben und die Anbetung derer, die uns
näher sind, als der einzige, ewige unfaßbare über
den Sternen entfernt halten. Ich möchte mich
gerne mit einem oder einigen Göttern dieser Erde
begnügen, die um uns sind, die uns lieben und
beobachten, die unsere Blütenknospen auftun,
unsere Trauben reifen, denen wir trauen können,
und die sich lediglich nichts darum zu bekümmern
haben, wer für die anderen Sterne sorgt, so
wenig als wir. Sie sollten nicht allmächtig,, nicht
allweise, nur mächtig und weise genug für uns
sein, nicht souverän, sondern untergeordnet
einem noch mächtigeren und weiseren, um den
sie, nicht wir uns zu bekümmern haben. Sie sind
vielleicht schon so oft erschienen, den Juden und
Griechen, beiden in der Gestalt und Form, in der
sie ihnen erfaßbar waren, dort Engel, hier Dämonen
; sie würden vielleicht auch uns noch eben
so wie jenen wahrnehmbar sein, wenn wir nicht
durch den Unglauben an sie die Empfänglichkeit
ihrer Wahrnehmung verloren hätten. Das Organ
dazu ist in uns zerstört. Wir haben ihnen keine
einzige Form mehr übrig gelassen, in der sie uns
erschaubar werden könnten. Doch davon einmal
mündlich. Einstweilen verrate mich dem Stand
Basel nicht, wiewohl ich nicht neben Stilling zu
stehen hoffe".

Die inneren Bezüge zwischen den Worten
Goethes und Hebels, die ohne äußere Beziehung
aufeinander geschrieben sind, treten klar hervor.
Goethe hat diesen zugleich universalen und polytheistischen
Wesenszug bei Hebel deutlich erkannt
und beschrieben. Doch während es sich
hier um eine geistige Kongruenz beider handelt,
die sich bei Goethe als klar gestaltete Weltanschauung
des Henkaipan in unzähligen Werken
immer wieder gleich geoffenbart hat, handelt es
sich bei Hebel um die einmalig scheue Beichte
einer sorgsam gehüteten Provinz der Verborgenheit
, die damals schon den Zeigefinger von Basel
zu befürchten hatte. Auch ist bei Hebel dieses


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