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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-04/0004
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Die Markgralschaft

Wesen nicht zur gleich vollendeten Entfaltung
wie bei Goethe gelangt. Die Höhe der poetischen
Dobelvision war1 ein nie wiederkehrender Gnadenakt
des Genius, der in der ihn umgebenden
Biedermeierwelt erschütternd wirkt; genau wie
manche Komposition des armen Schubert, die
nach einem Wort von Peter Altenberg an unbezahlte
Schneiderrechnungen erinnert. Hebel hielt
sich nicht auf dieser Höhe, wo er ein Geistesbruder
Goethes war, sondern er gesellte sich unter
dem schlechten Einfluß von Karlsruhe in den
unsichtbaren Logenkreis von Jean Paul, und die
Kritik seiner Gedichte durch J. H. Voß galt ihm
mehr als die Goethes. Was er im Proteusertum
zu manifestieren hatte, gewann im Lauf der
Jahre immer mehr den Charakter einer skurillen
Marotte, die er der Selbstironie preisgab. Diese
unsere Erkenntnis berührt aber niemals die
Offenbarungswelt der ,Alemannischen Gedichte",
in ihnen ist Hebel eine mit dem Universum eins
gewordene Erscheinung, und als Goethe ihn im
Jahre 1815 persönlich kennen gelernt hatte, huldigte
er ihm als Ebenbürtigem, wenn er ihn einen
„gar trefflichen Mann" nannte. So ist es wohl
auch darum möglich, daß jene sphinxhafte Stelle
im West-östlichen Divan gleichfalls als Huldigung
an den Gleichen zu werten ist. Goethe wandte
den erhabenen Blick seiner alles überschauenden
Ubersicht, den er voll Bewunderung auf Hafis
gerichtet hatte, zum Schluß seiner Dichtung vom
Osten auf den Westen zurück, und da mag er
unter den poetischen Erscheinungen der Romantiker
nichts wahrgenommen haben, das an ebenbürtigem
Wert den „Alemannischen Gedichten"
Hebels gleichgekommen wäre. Mit jener Behutsamkeit
, die für ein solches Brückenschlägen geboten
ist, um nicht in den Abgrund der Verwegenheit
zu stürzen, formt sich darum, im Reim

anklingend, jenes Fragment der Paralipomena
etwa zu dieser Frage:

Lockt ihr westwärts, holde Stimmen,
Die mir Heimatlielbe rieten
Und in AI amannen-Mundart
Auch den Perser überbieten?

Was aber kann Goethe bewogen haben, von
der Schreibweise „Alemannisch** abzuweichen?
Wir stoßen hier wohl ohne Fehldeutung auf die
unterirdische Gedankenverbindung, die sich aus
dem etymologischen Sinn des Stammwortes
„ALA" ergibt. Es bedeutet „Heiligtum", „Heil-
tum" oder schlechthin „Heil", so daß „Alamannen
" die deutschen Menschen sind, die sich in
einer besonders nachdrücklichen und ausschließlichen
Weise dem „HEIL" verpflichtet fühlen.

Von dieser Sinndeutung des alemannischen
Wesens her ergeben sich für die Gegenwart zur
Aufrüttelung aus epigonalem Mißverständnis besondere
und heute mehr denn je lebendige Aufgaben
. Der Philosoph Martin Heidegger hat in
seinem berühmt gewordenen Hebelvortrag zum
Ausdruck gebracht, daß die Stunde Hebels erst
noch kommen wird, und er hat uns Verpflichtungen
gewiesen, die im Materialismus unserer Tage
drohen vergessen zu werden. Ernst Jünger hat
warnend auf den musealen Betrieb unserer Geistespflege
hingewiesen. Daneben darf die mer-
kuriale Betriebsamkeit nicht übersehen werden,
die sich nicht scheut, selbst einen Hebel in die
Interessen des Fremdenverkehrs zu stellen. Es ist
notwendig, diesen Verfallserscheinungen des Geistes
gegenüber die mediale Bedeutung alles
Dichterischen hervorzuheben, die eine Offenbarung
immanenter Theonomie ist. Goethe und
Hebel gemeinsam eröffnen uns den Blick in dies
Geistesreich.

Darüber wird noch manches zu sagen sein.

Lfyimattceuet: Ootjn eines Waefcjcäflere

Der alemannische Dichter Paul Sättele

„Ich kenne Paul Sättele seit einem Menschenalter
und liebe seinen Charakterkopf. Er ist kein
Literat, er ist ein Mensch. Das ist viel mehr.
Wanderer, Bergsteiger, Jäger, Fischer, Segler,
Skiläufer, Gärtner, Tierfreund, Vogelnarr, dies
alles ist Paul Sättele, und er ist ein Dichter".

So beginnt das Nachwort, das der 80jährige
„Rosendoktor" Ludwig Finckh zum neuesten
Band der Silberdistel-Reihe schrieb, den Paul
Sättele unter dem Titel „Bodenseenovellen" uns
schenkte. Paul Sättele, der in Überlingen am
Bodensee wohnt (wie sein Bruder Karl, der ebenfalls
einen Namen hat als Schriftsteller und
Volkskundler), veröffentlicht in diesem Band
Erzählungen vom See (und auch vom Schwarzwald
), sowie ein Dutzend sorgsam ausgewählter
Gedichte. Der Band lenkt die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise wieder einmal auf einen der
Stillen im Lande, für den das Wort gilt: „Mehr
sein als scheinen".

Seine Wiege stand in der Baar. Als Sohn eines
Postverwalters wurde er vor 72 Jahren, am

30. Januar 1884 zu Dürrheim geboren, zu der
Zeit, da Scheffel von Donaueschingen zuweilen
nach Dürrheim kam, „zum Becherlupf mit dem
Post Verwalter".

Die Baar ist Paul Sätteles Heimat. Aber ist
nicht auch das weinfrohe Markgräflerland seine
Heimat und auch der Bodensee? Das nimmt uns
gar nicht wunder, wenn wir daran denken, daß
sein Vater aus Istein am Rhein stammte (wo der
Großvater Lehrer gewesen war), und wenn wir
hören, daß seine Mutter eine Konstanzerin war,
deren Eltern einerseits aus dem Bregenzerwald,
andererseits von der Insel Reichenau stammten.

Paul Sättele ist wie sein Bruder Professor
geworden und als Lehrer weit im Lande herumgekommen
. Aber sein Herz gehört allezeit dem
alemannischen Land und dem alemannischen
Volk.

Der Heimat seines Vaters hat er, als er ins
Schwabenalter eingetreten war, ein Denkmal
gesetzt in seinem 1925 erschienenen Gedichtband
„Markgräflertrübel", der — mit Holzschnitten


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