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Die Markgrafschaft
Dort sah ich auch zum erstenmal ein winziges
Kräutlein, das im Volksmund einen gelehrt
klingenden Namen trägt, das Büsileeri. Hier
ist der botanische Name bildhafter; er heißt
Katzenpfötchen. Dieses kleinblättrige,
filzige Kräutlein wächst im Gebirge in sonnigen
trockenen Lagen. Ein kleines Wunder sind diese
winzigen Blütenkörbchen aus trockenen, schöngefärbten
Schuppen. Weiß, rosa und purpurrot
stehen sie auf spärlichen Wiesenflächen und sind
haltbar wie Immortellen.
Die Gersbacher winden kleine Kränzchen davon
, die sie mit zur Kirche nehmen und nachher
daheim in die Stube hängen, damit sie das Haus
schützen sollen. Solange wir dort lebten, habe
ich jedes Jahr ein Kränzchen gewunden. Heute
kommt ab und zu eins von lieben Menschen zu
mir, das dann unter den Bildern meiner Lieben
hängt.
Trefflich benennt auch der Markgräfler die
Scabiose. Er sagt Gufechüsseli zu ihr,
und wirklich sieht das aus dichten Knötchen
gebildete Blütenpolster aus, wie mit Nadelköpfchen
besteckt.
Oft mußte ich für meine Mutter Chatze-
w a d e 1 holen, damit sie für Vater Nierentee
kochen konnte. Das war kein Rückfall in das
Zeitalter, in dem man mit Krötenherzen und
Fledermauszungen Krankheiten heilte und hatte
nichts zu tun mit Katzenschwänzen. Nur die
buschige Form prägte diesen Namen für das
Zinnkraut oder den Ackerschachtelhalm
.
Wie der Volksmund heute noch aus seiner
farbigen, bildhaften Sprache Namen schöpft, soll
ein letztes Beispiel zeigen. Als ich kürzlich in
der Heimat war, schaute ich aus einem lieben
kleinen Bauernhaus in den Garten und bewunderte
eine Akelei. ,,Wie hesch du gsait zue dene
Blueme?" fragte Luise. „ A k e 1 e i „So! Mir
hän halt nit gwüßt, wie si haiße, no häm mer
ne halt Glunkerli gsait*4. Die wunderfeinen
Glockenkrönchen an den dünnen Stielen umhängen
lose den Stengel. Was aber im Alemannischen
lose hängt, „glunkt" halt. Übernimmt
eines vom andern den neuen Namen, so
wird er geprägt zur festen Bezeichnung im
Volksmund.
^an^nit^üerftan
Dies ist die tiefste der Erinnerungen
an jenes Glück der Kölner Knaben jähre,
die mir das Märchen und die Nibelungen,
dazu das Licht bescherten vom Altare,
wie es Sankt Gereon dem Sinn entfachte:
daß mir ein Lehrer Hebel still vermachte!
Der alten Schule Klasse lag geborgen
zum Hofe hin, darauf die Linden standen.
Wir vierzig Jungen waren ohne Sorgen,
weil wir uns in dem Guten vor uns fanden,
der nachmittags, bevor wir ihn verließen,
stets ein Geschichtlein in das Dämmern sprach —
bedachtsam, Satz um Satz melodisch Fließen!
Sein Bilder-Spiel hielt jeden Lauscher wach.
Doch unvergeßlich bleibt die eine Stunde,
in der mich — was ich später erst erfuhr —,
das Göttliche der Dichtung traf als Kunde:
das Ewige im Schlag der Zeiten-Uhr!
„Kan - nit - verstan!"
Noch höre ich das Wort,
das durch die weißgetünchte Stube klingt!
Ich fühl': es trägt den Lehrer selber fort
ins Wunder, wie es seiner Stimme schwingt.
Dann führte mich des Dichters liebe Hand
aus der beschränkten Enge in die Weite,
nach Amsterdam, ans Meer, in fremdes Land.
Ich sah die Handelsstadt, des Hafens Breite,
zahllose Schiffe, mächt'ger Häuser Strahlen;
denn Sommer war's: weißblauer Himmel Malen!
Ich war der Handwerksbursche, der da suchte,
der Indiens Schätze, Kostbarkeiten buchte,
dem plötzlich in des üpp'gen Lebens Fülle
der Tod begegnet: leis und ohne Hülle!...
Ein Frevel wär's, in Versen nachzusagen,
was uns des Dichters Prosa-Kunst entfaltet,
die schicksalsträchtig dich und mich gestaltet
in dieses Handwerksburschen dunklem Fragen ...
„Kan - nit - verstan!"
„Ich kann Euch nicht versteh'n!"
Wir Jungen lauschten, sah'n Kristall — und Scherben,
die schwarzen Mäntel stumm vorübergeh'n —
den Leichenzug, die kleine Schar der Erben!
Wir spürten dies: wie groß dein Schiff, dein Haus,
ob du am Stecken gehst, an goldnem Stab,
ob arm du bist, ob um dich weht der Braus:
von deiner Wiege führt der Weg ins Grab,
und jedes Grab ist eng — doch Mutter Erde,
die dich zurücknimmt in ein neues „Werde!" ...
Dies war die Stunde, die mir Hebel und
mich Hebel schenkte: jenem reichen Bund
der Epiker des Rheines, die, beseelt,
in Anekdoten seit Jahrhunderten
das Weltgeschehen spiegeln: ungequält
was manche quälte, auch bewunderten
verhalt'nen Wortes streng zum Sinn-Bild formten —
aus eignem Geiste, wenn die andern „normten"!
Ich kann nur dies noch: werkend steh'n und danken!
Das Ewige ist schlicht.
Du bleibst der Meister.
Was tut dir Lärmen lappenbunter Geister?
Der Mensch im Schicksal: Leben voller Ranken!
Und doch — wie ist die Schöpfung überlegen!
Sie war vor mir und dir, und sie wird dauern.
Was soll dein Lachen, Fluchen, was dein Trauern?
Aus dieser Sicht allein empfängst du Segen:
die Ruhe, wenn um dich die Stürme toben —
durch Hebel Kraft — trotz ihnen — All zu loben!
Theodor Seidenfaden
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