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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-07/0004
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Die Markgrafschaft

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„De Chrüterma vo Badewiler"

Aus alten Baumwipfeln der Residenz am Landgraben
rauscht es an Sommertagen im Juni auf.
Stimmen der Vergangenheit werden lebendig. Mit
einer heiteren Geschichte lockt so ein Luftgeist
den Lauscher herbei.

Es war einmal an einem schönen Herbsttag
des Jahres 1815, so fängt es wohl wie in einem
Märchen an, als Goethe in Karlsruhe weilte, um
dort botanische und mineralogische Studien zu
machen, denn damals lebte und wirkte in jener
Stadt ein großer Freund und Kenner der Natur,
ein Wanderer nach den fernsten Pflanzen in ganz
Europa, und das war eben jener Karl Christian
Gmelin, der mit dem Hofgärtner Johann Michael
Schweykert zusammen die Bäume gepflanzt hat,
aus deren Kronen es jetzt zu uns Enkeln niederrauscht
.

Im Rundsaal des neuerbauten Museums erwarteten
Hebel, Weinbrenner, Gmelin und der
Physiker Boeckmann den berühmten Geheimrat
aus Weimar, der nach einiger Zeit mit Bieden-
feld in guter Laune vom Mittagessen kam.

„Wir gehen von hier", schlug nach würdiger
Begrüßung alsbald Hebel vor, „in das Naturalienkabinett
, das im Hofbibliotheksgebäude bei der
Schloßkirche untergebracht ist".

So brach man denn dahin auf. Auf dem Wege
schlössen sich ihnen der Kupferstecher Haldenwang
und der Landschafter Kunz an, und wiö sie
gerade an den Eingang des Kabinetts kamen,
schlenderte Feodor Iwanowitsch heran, der damals
zu den Merkwürdigkeiten des badischen
Hofes gehörte. Der Kaiser von Rußland hatte
diesen Kalmücken der Markgräfin Amalie geschenkt
, welche den jungen Soldaten aus seiner
asiatischen Leibeigenschaft entließ. Da ihr Schützling
eine natürliche Gabe für die Künste des
Zeichnens und Malens besaß, ließ die Fürstin ihn
in Deutschland und Italien ausbilden, und zu
jener Zeit war er als Hofmaler in Karlsruhe tätig.
Dieser Mann ging noch halb in der Kleidung seiner
tatarischen Heimat einher, war gewöhnlich
ein gutmütiger und harmloser Mensch, der aber
unter der Wirkung des badischen Weines, den
er leidenschaftlich liebte, sich zu allerhand Tollheiten
hinreißen ließ und dann kein Blatt vor
den Mund nahm, wie man bei uns sagt, und bei
Iwan hätte es dann besonders ein Feigenblatt
sein dürfen, denn seine Witze waren von dieser
Art. Er hatte auch an diesem Tag einen starken
Trunk getan, sein Gesicht war erhitzt, und die
Beine gingen wie zwei fremde Wanderburschen
durch das Dunkel der Nacht. Nun war wohl
Goethe selber keinem guten Tropfen abhold, auch
liebte er herzhaft alle unverfälschte Natur, aber
es ging eine eisige Kühle von ihm aus, als ihn
Iwan mit kalmückischer Zärtlichkeit begrüßen
wollte. In diesem gefährlichen Augenblick kam
gottlob atemlos ein Hofbedienter angestürzt,
der beauftragt war, den Maler zum Großherzog
zu holen. Der wilde Kerl zeigte alsbald seine
große Belesenheit, indem er den klassischen Ausspruch
des Götz von Berlichingen von sich fluchte,
ohne freilich damit Goethe umzustimmen, stürzte
dann fort nach dem Schloß, drehte sich aber noch
einmal um und winkte dem Geheimrat und
Staatsminister aus Weimar mit dem Hut das
Versprechen zu, er wolle in aller Kürze in das
Naturalienkabinett nachkommen.

„Ausgestopft", sagte Goethe lächelnd zu Gmelin
, „müßte er sich dort gut ausnehmen!"

Gmelin erzählte zunächst, wie er 1786 die Leitung
des Kabinetts übernommen habe, wie es
Dank der Unterstützung durch die markgräflichen
Herrschaften ausgebaut worden sei, wie er
es endlich 1794 auf drei Jahre vor dem räuberischen
Zugriff der Franzosen nach Ansbach geflüchtet
habe, und führte dann die Besucher
durch die sauberen Säle.

Der sonst so ernste und nie aus der Haltung
kommende Gmelin war durch die Gegenwart des
großen Mannes innerlich aufgeschlossener als je,
in heiterer Laune sprudelte er über von geistreichen
Einfällen, die um so seltsamer in ihrem
Ausdruck dadurch wurden, daß der Sprecher in
seinen ernsten Zügen auch nicht ein einziges
Fältlein des Übermuts spielen ließ.

Goethe ging zwischen Gmelin und Hebel im
Kabinett auf und ab und war nach seiner Art
unermüdlich in forschenden Fragen. Haldenwang
hatte sich etwas abseits mit Kunz und Boeckmann
in ein Gespräch über die strittige Farbenlehre
vertieft. Biedenfeld aber stand mit Weinbrenner
in einem Fenster, und der große Baumeister
erzählte ihm von seinen Erlebnissen in
Rom, bis er endlich mit einem grimmigen Seitenblick
bemerkte:

„Mit Goethe allein sein möchte ich hundert
Jahre, man genießt dabei den großen Geist vollkommen
und lernt in jeder Minute etwas Neues
von ihm, aber so in Gesellschaft hinter ihm herzulaufen
, erscheint mir fast wie hofschranzig und
langweilig!"

Darin tat er nun den beiden Männern unrecht
, namentlich Gmelin war dafür bekannt, daß
er nur vor Recht und Wahrheit das Haupt beuge,
aber niemals einem hohen Herrn mit gern gehörter
Schmeichelei zu gefallen suchte, und es
war mehr die eigene Verdrießlichkeit, nicht mehr
wie am Morgen beim Besuch seiner Bauten in
der Mitte der Aufmerksamkeit zu sein, die Weinbrenner
so gallig werden ließ.

Da Gmelin in diesem Augenblick laut auflachte
, was zu den Seltenheiten dieses Lebens
gehörte, trat die ganze Gruppe um ihn zusammen
, es war gerade bei der Abteilung der Muscheln
. Nun hatten diese Männer alle in ihrer
Jugend ein Zöpfchen getragen und zärtlich von
Phyllis geschwärmt. So hatte Gmelin mit grazienleichten
Fingern ein besonders schönes Stück
der Sammlung ergriffen, nannte erst den Namen
lateinisch, um dann als ein guter Kenner der
Alten in gleicher Sprache fortzufahren, die Mu-


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