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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-07/0006
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Die Markgrafschaft

weg erweist. Ein keckes Bürschlein drängt sich
vor und zeigt auf das Titelblatt der 1809 erschienenen
Schrift „Über den Einfluß der Naturwissenschaften
auf das gesamte Staatswohl". Er
liest das Geleitwort: „Sic non verbis et titulis,
sed rebus respublica regitur" und patscht sich
zustimmend dabei auf den Schenkel. Da fällt des
Lauschers Blick wohl auf einen schlanken Knaben
, seine braunen Glieder sind hager und sehnig
, mit kleinen Grübchen quillt das volle Puttenfleisch
um ihn, aber gesunde Kraft blitzt aus den
hellen Augen. Er hält ein feines Büchlein in der
Hand, wie es jene Zeit noch zu schaffen wußte,
es ist ein schlichtes Halblederbändchen, goldene
Antiqua leuchtet auf dem roten Rückenschild,
und ein kanariengelber Schnitt paßt gut zu den
braun geäderten Deckeln. Es ist Gmelins „Nothülfe
gegen Mangel an Mißwachs'' aus dem Jahr
1817, eine zum Wohl des notleidenden Volkes
geschriebene Schrift, die manches Beherzigens-

Richard Nutzinger

Wenn er in unserer Zeit gelebt hätte, dieser
Valentin Boltz, so hätte er fraglos den Hebelpreis
erhalten. Denn er war ein bedeutender alemannischer
Dichter, einer der ersten sogar, dazu von
Geburt ein Elsäßer, tätig in der Schweiz und
gestorben im Markgräflerland; und da neuerdings
die Hebelpreise von Stuttgart aus bestimmt
werden, so wäre dazu noch der Umstand für ihn
günstig ins Gewicht gefallen, daß er in seiner
ersten Amtszeit in Württemberg gewirkt hat.

Von seiner Kindheit und Jugend wissen wir
soviel wie nichts, auch nicht, an welchen Universitäten
er seinen theologischen Studien oblag. Er
nennt sich nur immei* und mit Nachdruck: Valentin
Boltz von Ruf ach, einem Ort bei Kolmar. Dort
muß er um das Jahr 1500 das Licht der Welt erblickt
haben. Von dem Kolmar des ausgehenden
Mittelalters wissen wir, daß dort oft Volksschauspiele
öffentlich aufgeführt wurden, u. a. auch
durch die Bürger von Rufach. Diese Darstellungen
haben offenbar auf den jungen Valentin
einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt und ihn auf
die Bahn des Volksspieldichters gedrängt.

Erst als ein Dreißigjähriger tritt er in unser
Blickfeld, als er von Herzog Ulrich von Württemberg
den Auftrag erhielt, das Kloster Alpirsbach
der reformierten Lehre zuzuführen. Allein der
Abt dachte nicht daran, sein Kloster aufheben zu
lassen, und schickte den jungen Reformator un-
verrichteter Dinge wieder fort. So war schon
dieser Anfang seiner theologischen Tätigkeit ein
recht unglücklicher.

Wir treffen nach einem kurzen Aufenthalt in
Tübingen, wo er als Diakon wirkt und als Übersetzer
der Komödien des römischen Lustspieldichters
Terenz ins Deutsche zum erstenmal dichterisch
hervortritt, den Vierzigjährigen dann in
Schorndorf im Württembergischen als Prädikan-
ten. Hier überkommt ihn ein neues Unglück:
seine Ehefrau geht ihm durch; er betitelt sie

werte auch für unsere Enkel noch hat. Die
Stimme aus den hohen Baumkronen her tönt
voll und schwer in unsere Nacht, wie es nur die
ewig lebendige Kraft eines gütigen Herzens vermag
.

Im silbernen Hauch, der aus den Wiesen steigt,
umschweben die Putten den Lauscher mit der
ganzen Anmut ihrer Zeit, ein reiner Klang aus
alten Tagen unserer deutschen Heimat am Oberrhein
rauscht innig empor, und wenn der nächtliche
Wanderer ein Sonntagskind ist, mag er
wohl im Glanz des Mondlichts zwei Gestalten in
den Gärten hinter dem Schloß wandeln sehen.
Es ist Johann Peter Hebel und „De Chrüterma
vo Badewiler", Karl Christian Gmelin, der als
„Steindoktor" und „Schlangenfänger" in mancher
Kalendergeschichte dem Gedächtnis erhaltene
Freund des alemannischen Dichters. Und
immerfort rauscht es wundersam in den alten
Bäumen.

nicht sehr liebevoll als eine „böse, unleidige
Bremse", und bei dem Scheidungsprozeß kommt
heraus, daß der Ehemann nicht ganz unschuldig
ist an der Flucht seiner Frau; die Ehe wird nicht
geschieden, sondern nur getrennt und Boltz dazu
verurteilt, ihr jeden Monat zehn Gulden Unterstützung
zu geben. Der Prediger haust nun weiter
mit einer jungen Magd, die Haushalt und
Stall versorgt. Aber dieser Zustand wird bei
evangelischen Pfarrern nicht geduldet. Andererseits
kann Boltz aber seine Magd nicht heiraten,
weil seine erste Ehe nicht geschieden ist. Er verfaßt
eine Klageschrift, man möge das erste Urteil
nochmals überprüfen und ihm wenigstens erlauben
, daß er sich mit seiner Magd verloben darf.
Aber auch in dieser zweiten Instanz verliert
Boltz den Prozeß, woraufhin er von den Schwaben
genug hat und durch die Vermittlung einiger
Freunde als Prediger in der Schweiz unterkommt.

In den nächsten Jahren finden wir ihn in
zwei Gemeinden im Kanton Glarus. Von da
macht er eine Reise nach seinem Heimatort
Rufach, wo seine alte Mutter noch lebt; gleichzeitig
hat er aber auch die Aufgabe, das Städtlein
Kaysersberg — bekanntlich der Geburtsort von
Albert Schweitzer — zur Reformation überzuführen
. Aber auch diese Bemühung mißglückt;
statt eines evangelischen Pfarrers zieht dort ein
Mönch auf.

Aber die kleinen Dörflein im Glarus, weitab
von der Stadt, genügen dem Tatendrang des
Valentin Boltz nicht, und er setzt es durch, daß
er nach Laufen bei Basel versetzt wird. Hier hat
er nun eine Stadt in unmittelbarer Nähe und
erntet in Basel die ersten Lorbeeren durch die
Aufführung eines biblischen Schauspiels: „Pauli
Bekehrung", das auf dem Kornmarkt zur Darstellung
gebracht wird. Dabei passiert allerdings,
wie ein Zuschauer berichtet, im ernstesten Augenblick
ein kleines Mißgeschick. Die Szene, wo der

Dalentin ^ofe

Ein alemannischer D i c h t e r p f a r r e r vor 400 Jahren


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