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Die Markgrafschaft
Nr, 8 /1956 Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Sdiwarzwaldvereins 8. Jahrgang
Franz Schneller:
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Der Atlas, der über Länder und staatliche
Gebilde ausweist, enthält auch Teilkarten von
Landschaften, in denen nur an sie gebundene
Mundarten gesprochen werden. Damit soll nicht
gesagt sein, daß dort die Hochsprache unbekannt
wäre. Denn überall wird sie gelehrt. Überall
bedient sich ihrer der Schriftverkehr, der amtliche
, der geschäftliche, die Zeitung, die Schule
so gut wie die Kirche. Aber dort, wo noch die
Bodenständigkeit einem Volk, einem Stamm
seine ganz bestimmte Eigenart gibt, wird von
Mensch zu Mensch die Mundart gesprochen. Die
Kinder unter sich bedienen sich ihrer, die Familie
. Sie ist die Volkssprache der Vertraulichkeit
und Liebe, die nicht etwa einschränkt, die
im Gegenteil das Unermeßliche häuslich nahe
bringt und unter einer bestimmten Sternenlage
natürlich zu eigen macht.
Landschaften, die eine eigene Mundart aufweisen
, beweisen mit ihrer charakteristischen
Sprache, daß sie mit dem Menschen, den sie
hervorbringen, eine starke Einheit bilden und
Volk tragen, stets mit der ganzen Welt trächtig,
mit ihrer Weite, mit ihren Wundern. Darum
wird derjenige, der die bodenständige Mundart
nicht kennt, seine Sprache nur halb kennen. Er
ahnt eben nicht, daß die Hochsprache aus Mundarten
zusammengeflossen ist und daß sie ihrer
stets als Quelle der Bereicherung bedarf. Niemand
weiß dies besser als die Dichter, die begnadeten
Schöpfer der Sprache. Ihnen ist offenbar
, daß in den Sprichwörtern, den Redensarten,
in den einzelnen Wörtern, die der Alltag hervorbringt
, die Pulse der lebendigen Sprache klopfen,
immer frisch und gewärmt vom Gemüt. Darum
wird das Hören der Mundart einem jeden, der
für sie ein Ohr hat, zur Freude. Wo sie erklingt,
wird die Einsamkeit des Menschen aufgehoben,
vergnügliche Geselligkeit stellt sich ein. Sie verrät
Haltung, Würde, natürliche Selbstbewußtheit
. Sie strahlt Geistes- und Gemütskraft aus,
sie erstaunt mit ihrem Erfahrungsspeicher, mit
ihrer Kraft, mit ihrem Glanz, mit ihrem Zarten,
mit ihrer religiösen Prägung auch. Aus jedem
Wort blickt dich ein Gesicht an, hintergründig
durchwaltet von geheimen Beziehungen der
Seele. Und dies ist nur möglich dort, wo der
Mensch in landschaftlicher Gebundenheit sich
selbst überlassen in Geduld das große Liniennetz
seines Wesens spinnt und sein eigenes Wort entwickelt
, seine eigene Musik in sich trägt, deren
Rhythmus der Rhythmus des atmenden Lebens
ist. Der Mensch dieser Art wendet noch das
einzelne Wort mit Ehrfurcht an, weil es ihm viel
bedeutet, weil es naturnah mit den Grundverhältnissen
des Lebens verbunden bleibt und
darum menschlich tief als Trägerin echten Glaubens
anspricht, im Gegensatz zum aromlosen,
alles Edlen baren Wortes der Gemeinsprache,
das abgewetzt und platt, der Erbärmlichkeit des
Zeitgedankens verfallen, alle Würde eingebüßt
hat.
In der Mundart durchdringen sich alle Schichten
der Geschichte eines Volkes. Sie bewahrt
ältestes Gut der Hirten, der Erzväter, der Sagen
und Erfahrungen, die in vernebelte Vorzeiten
hinabreichen. Gewiß ist es weder möglich, noch
wünschenswert, der Mundart allein das Wort zu
reden. Es soll so bleiben, daß das Hochdeutsch in
der Schrift und in allem Öffentlichen den Vorzug
behält. Das Hochdeutsch ist die Staatssprache
. Aber wir wollen die Mundart dort pflegen
, wo sie hingehört, wenn die Entwicklung der
im Umgang gebräuchlichen, charakterarmen und
verwaschenen Allerweltssprache nicht zur völligen
Verlotterung führen soll.
Wir wollen nicht einmal soweit gehen, daß
wir der Schweiz, unserer alemannischen Stammesschwester
als Vorbild der Pflege der Mundart
folgen wollen. Dort hat man es noch kürzlich
erlebt, daß der protestantische Pfarrer eines
Dorfes im Bernerland seine Predigt auf Berndeutsch
hielt. Und bei einer Fernsehsendung
sprach ein katholischer Geistlicher über die
Schutzengelfrage in seinem Luzerner Dialekt,
wobei er nicht davor zurückschreckte, das Wort
der Bibel in die Mundart zu übertragen. Sicherlich
ging er dabei von der Überzeugung aus, daß,
was für manchen in der Hochsprache schon allzu
glatt geworden sein mag, in der Mundart unmittelbar
zu Herzen dringen möchte. Dies kann
auch in manchen Fällen zutreffen, doch wird für
andere bei einer solchen Methode die Feierlichkeit
des Gottesdienstes darunter leiden. — Aber,
darin dürfen wir unsere Nachbarn wirklich bewundern
, daß sie unter sich ganz selbstverständlich
ihre Mundart anwenden, wobei es ihnen gar
nichts ausmacht, von den deutschen Nachbarn
deswegen als rückständig bewertet zu werden,
wenigstens von denen, die weiter von ihnen
wegwohnen und die vom Gewicht der Eigensprache
keine Ahnung haben.
Im Gegensatz zu solchen sind gerade in unseren
Tagen Stimmen durchgedrungen, die weithin
aufhorchen ließen. So hält sich in aller Erinnerung
und schwingt weiter, was der Philosoph
Martin Heidegger als Deuter des Schöpfers der
alemannischen Gedichte, Johann Peter Hebel
anläßlich einer Begegnung von Bernern und
Freiburgern ins Wort rief. So sei denen, die es
nicht erfuhren, gesagt, daß Heidegger die hebel-
schen Gedichte der großen Dichtung zurechnet
Und er meint, daß deshalb die Zeit, da sie nahr-
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