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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1956-09/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 9/1956 Monatszeitschrift des Hebelbundes und des Sdiwarzwaldvereins 8. Jahrgang

Max Dufner- Greif:

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Wir weisen auf ein weniger bekanntes Gedicht
aus dem Nachlaß von Johann Peter Hebel:

Trost

Ball denk i: 's isch e bösi Zit,

un weger, 's End isch nümme wit;

ball denk i wieder: loß es goh,

wenn's gnueg isch, wird's scho änderst choo.

Doch wenn i näumen anegang

un 's tönt mer Lied un Vogelsang,

se mein i fast, i hör e Stimm:'

Bis z'friede! 's isch jo nit so schlimm!

Dieser Achtzeiler stand neben den berühmteren
Geschwistern bisher etwas vergessen am
Rande der Beachtung, bis er von Martin Heidegger
in seiner Zähringer Hebelrede in die
Gegenwartsmitte der geistigen Problematik gerückt
wurde; dies um so auffälliger und bedeutsamer
, weil hier der prominenteste Sprecher des
tragischen Existenzialismus sich zu der Version
bekannte: „'s isch jo nit so schlimm!"

Hebel sprach diesen „fast" optimistischen
Trost einmal aus der Lage seiner persönlichen
Lebenstragik heraus, zum andern aus dem Erlebnis
der napoleonischen Kriegsgreuel. Bei Heidegger
bilden die kriegerischen Schrecken des
Zeitalters ebenfalls den Untergrund, größer aber
als das persönliche Schicksalserlebnis ist offenbar
bei ihm die Notwendigkeit, eine Geistesfrage
der menschlichen Existenz überhaupt so oder so
zu beantworten:

Ist es schlimm — oder ist es nicht schlimm!

Voltaire hat in seinem „Candide" alle Versuche
Leibnitzens, die Welt in das Rosengewölk
der prästabilierten Harmonie zu hüllen, mit den
bitteren Laugen seines Hohnes Übergossen, und
Schopenhauer, der Erzvater des Pessimismus,
ruft uns grimmig zu: „Es ist die schlimmste
aller Welten!"

„Und dieser Welt", sagt-er, „diesem Tummelplatz
gequälter und geärigstigter Wesen, welche
nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt
, wo daher jedes reißende Tier das lebendige
Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung
eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit
der Erkenntnis die Fähigkeit Schmerz zu empfinden
wächst, welche daher im Menschen ihren
höchsten Grad erreicht und einen um so höheren,
je intelligenter er ist, — dieser Welt hat man
das System des Optimismus anpassen und sie
uns als die beste unter den möglichen andemonstrieren
wollen. Die Absurdität ist schreiend".

Nachdem Nietzsches Versuch, den Pessimismus
durch den Übermenschen und dessen Willen
zur Macht zu überwinden, in gewaltigen
Weltkatastrophen gescheitert ist, hat sich der
Menschheit unserer Tage eine Depression von
bisher ungekanntem Ausmaß bemächtigt, und

unser Zeitalter wurde von Dichtern wie Auden
und Camus geradezu das „Jahrhundert der
Angst" genannt. Die Angst wurde zum Leitmotiv
der Weltsymphonie, und ihre Deutungen durch
Sören Kierkegaard und Sigmund Freud bestimmen
heute die geistige Problematik der westlichen
Welt. Der realistische Jude definiert sie
als Gefühl der Hilflosigkeit unseres Daseins, als
Unsicherheit, als Trfcnnüngstrauma, als Ausger-
setztheit und „Gewör^enheit", wie Martin Heidegger
sagt, und er nennt uns als Heilmittel die
Tröstungen der Sublimation. Der idealistische
Däne sieht in der Angst dagegen die letzte Folgerung
menschlicher Freiheit, der nichts mehr
übrig bleibt, als ins Bodenlose und Abgründige
zu fallen, wenn der Glaube nicht die rettende
und erlösende Heilandshand darunter breitet,
und da er bei sich und seinen Zeitgenossen diesen
Glauben in wohlberechtigte Zweifel zieht, so
ist diese Angst zum apokalyptischen Urerlebnis
geworden und bedeutet das Ende der Dinge
schlechthin. Wer wollte angesichts dieser Geisteslage
sich bei dem Wort beruhigen: „'s isch jo
nit so schlimm!"

Ein wesentlicher Anteil an der heutigen Weltangst
ist durch die Furcht vor dem totalen Krieg
bedingt. Es bedurfte dieser brutalen Demonstration
, um der Menschheit über den letzten Sinn
des Krieges die Augen zu öffnen. Im alten Rom
stand ein Tempel des Mars, in dem der Kriegsgott
in mancherlei Gestalten dargestellt wurde.
Da erschien er zuerst in der herrlichen Jünglingsgestalt
des Achill als strahlender Held; ein anderes
Bildwerk zeigte ihn als Zuchtmeister harter
Männlichkeit; hier wieder sah man ihn als
Begründer und Erhalter des Staates; dort leuchtete
er prächtig als Sieger und Triumphator!
Aber nun waren noch zwei Gestalten da, die
Mars als den Bringer des blutigen Schreckens
und des bleichen Entsetzens darstellten. Wer
hätte den Mut, vor diesen beiden Bildern stehend,
zu sagen: „'s isch jo nit so schlimm!" Zumal,
wenn er die Greuel eines heutigen Atomkrieges
bedenkt! Ja; welcher Zeitgenosse, der vor den
Folgen der Radioaktivität in den Wolken und im
Regen nach dem Abwurf von Bikini-Bomben
schon bangt, könnte sich mit dem Hebelwort
unserer Betrachtung beruhigen? Höchstens ein
bezahlter Propagandist!

So erhebt sich die Frage: Müssen wir es nicht
ablehnen, daß dieses Hebelwort überhaupt in die
Debatte der Gegenwart gezogen wird? Betrachten
wir es genauer! Die beiden Eingangszeilen
entsprechen durchaus der heutigen Situation,
auch für uns ist die Zeit nicht nur böse, sondern
das.Ende ist ebenfalls nicht mehr weit. Dagegen
können wir uns mit den beiden folgenden Zeilen
nicht abfinden, wir dürfen es nicht einfach gehen


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